EuGH

Bei Wettbewerbsverstößen haften Töchter für ihre Mütter

Ein Tochterunternehmen kann für wettbewerbswidriges Verhalten der Muttergesellschaft haften. Dies schlug Generalanwalt Giovanni Pitruzzella gestern dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg in einem Verfahren vor, in dem ein spanisches...

Bei Wettbewerbsverstößen haften Töchter für ihre Mütter

op Luxemburg

Ein Tochterunternehmen kann für wettbewerbswidriges Verhalten der Muttergesellschaft haften. Dies schlug Generalanwalt Giovanni Pitruzzella gestern dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg in einem Verfahren vor, in dem ein spanisches Gericht den EuGH um Auslegung des EU-Rechts bittet (Rechtssache C-882/19). Ein spanisches Unternehmen klagt auf 22000 Euro Schadenersatz, die es für den Kauf von zwei Lkw des Daimler-Konzerns angeblich zu viel bezahlt hat. Der erhöhte Preis sei nur durch wettbewerbswidrige Absprachen der europäischen Lkw-Hersteller zustande gekommen.

Tatsächlich trafen 1997 bis 2011 die wichtigsten europäischen Lkw-Hersteller DAF, Daimler, Iveco, MAN und Volvo/Renault unerlaubte Preisabsprachen. Sie sprachen sich über die Anhebung der Bruttolistenpreise, den Zeitplan für die Einführung neuer Emissionssenkungstechniken und die Weitergabe der damit verbundenen Kosten an die Kunden ab. Wegen Verstoßes gegen das EU-Wettbewerbsrecht verhängte die EU-Kommission im Juli 2016 deswegen eine Rekordstrafe von 2,93 Mrd. Euro gegen vier der fünf betroffenen Unternehmen. MAN wurde auf der Grundlage der Kronzeugenregelung der Kommission von 2006 die Geldbuße (rund 1,2 Mrd. Euro) vollständig erlassen, da das Unternehmen die Kommission über die Existenz des Kartells informiert hatte.

Die höchste Einzelstrafe entfiel mit 1,09 Mrd. Euro auf Daimler. Im Einklang mit ihrer Mitteilung über Vergleichsverfahren minderte die Kommission die Geldbußen aller Kartellmitglieder um 10%, da die Firmen ihre Beteiligung am Kartell einräumten. Nach dieser Entscheidung der EU-Kommission kam es zu einer Fülle von Klagen auf Schadenersatz in mehreren Ländern, denn alle Personen oder Unternehmen, die durch wettbewerbswidriges Verhalten ge­schädigt werden, können vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf Schadensersatz klagen.

Seine beiden Lkw hatte der Kläger von der zum Daimler-Konzern gehörenden Gesellschaft Mercedes-Benz Trucks España erworben, die sich damit verteidigte, ihr dürfe als eigenständigem Unternehmen das wettbewerbswidrige Verhalten der Mutter nicht zur Last gelegt werden. Dem widerspricht der Generalanwalt in seinem Vorschlag. Er weist darauf hin, dass der EuGH schon anerkannt habe, dass ein Mutterkonzern für das wettbewerbswidrige Verhalten einer Tochter haften könne. Gleiches müsse auch für die Haftung einer Tochtergesellschaft für Wettbewerbsverstöße der Mutter gelten, wenn beide im selben Bereich tätig sind und das Verhalten der Tochter zu den Wettbewerbsverstößen beigetragen hat.

Nicht nur beim unmittelbar betroffenen Daimler-Konzern wird der Entscheidungsvorschlag des Generalanwalts auf Stirnrunzeln stoßen. Doch würde ein entsprechendes Urteil des EuGH, der in seinen Urteilen dem Generalanwalt meistens folgt, zur effektiven Durchsetzung des Wettbewerbsrechts beitragen. Ob dann das spanische Gericht der Schadenersatzklage stattgibt, bleibt offen.