Brennöfen der Keramikindustrie sind anfällig
md Frankfurt
Die Keramikindustrie gehört zu den nach Umsatz kleineren Branchen in Deutschland. Gleichwohl ist ihr Energiebedarf im Vergleich zu anderen Industrien hoch, denn Keramik muss bei hohen Temperaturen gebrannt werden. Hinzu kommt, dass die Brennöfen in der Regel nicht einfach ausgeschaltet werden können, ohne schweren Schaden zu nehmen. Daher sorgt sich der Bundesverband Keramische Industrie (BVKI) als Dachverband der feinkeramischen Industrie (Geschirr, Sanitärkeramik, Technische Keramik) um die Versorgung mit Erdgas, mit dem die Brennöfen beheizt werden.
Zweite Stufe des Notfallplans
Diese Sorge hat sich nun verstärkt. Denn angesichts des Rückgangs der Gaslieferungen aus Russland hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die zweite Stufe des Notfallplans Gas aktiviert. Rationierungen für die Industrie will er nach Möglichkeit zwar vermeiden, aber Habeck fügte hinzu: „Ich kann es natürlich nicht ausschließen, weil es so voraussetzungsreich ist, was wir tun.“
Die russische Gazprom lastete die durch die Ostsee führende Gaspipeline Nord Stream 1 zuletzt nur noch mit rund 40% der Vollkapazität aus – angeblich wegen der andauernden Wartung einer für den Normalbetrieb notwendigen Gasturbine durch Siemens Energy. Beobachter vermuten dagegen, dass die Senkung des Gasdurchflusses politisch motiviert ist, was Moskau abstreitet.
Bereits im März, nach Ausbruch des Ukraine-Krieges am 24. Februar, hatte der BVKI ein Positionspapier zur Notwendigkeit von Erdgas für die Feinkeramik veröffentlicht. Darin warnte der Verband, der Konflikt gefährde in besonderem Maße die stabile Versorgung mit Erdgas direkt und Elektrizität indirekt.
Sollte es in der Folge der Auseinandersetzung zu einem Gasmangel oder gar einem weitgehenden Ausfall der Gasimporte aus Russland kommen, so der Verband, wird die zur Verfügung stehende Restgasmenge auf der Basis von Krisen- und Notfallplänen, die auf dem Energiewirtschaftsgesetz, der Gassicherungsverordnung und dem Leitfaden „Krisenvorsorge Gas“ beruhen, priorisiert verteilt werden. Dazu müsste die Bundesregierung allerdings die dritte Stufe des Notfallplans Gas ausrufen.
Eine Rangfolge bei der Energieversorgung in Krisensituationen schützt zunächst die privaten Haushalte, gefolgt von Unternehmen zur Herstellung des Grundbedarfs (etwa Lebensmittel) und Unternehmen mit anderer strategischer Relevanz, deren kontinuierlicher Produktionsprozess nicht einfach abschaltbar ist. Dazu zählen die Industriezweige Stahl, Nichteisenmetalle, Glas, Chemie und Raffinerien. Der Subsektor der feinkeramischen Industrie, die technische Keramik, gehört nicht dazu, obwohl – wie der BVKI betont – ohne die Produkte dieser Branche Unternehmen mit strategischer Relevanz (z.B. Stahl, Chemie) nicht produzieren können. Weniger überzeugend ist die Argumentation des Verbandes für eine höhere Priorisierung anderer Keramik-Subsektoren, etwa für Geschirr, Sanitärkeramik und Ofenkacheln.
Kurzfristig kein Ersatz
Die Forderung von Wirtschaftsminister Habeck nach einer Senkung des Gasverbrauchs in der Industrie, u.a. damit die Befüllung der Gasspeicher forciert werden kann, trifft beim börsennotierten Keramikspezialisten Villeroy & Boch daher auf Unverständnis. „Unsere keramischen Produktionen sind auf mit Erdgas erzeugte Prozesswärme angewiesen“, teilt das Unternehmen auf Anfrage der Börsen-Zeitung mit. Kurzfristig könne Erdgas in der Produktion nicht ersetzt werden. „Ersetzen könnten wir einen Teil des Erdgases, das wir zur Stromerzeugung in unserem eigenen Blockheizkraftwerk nutzen, indem wir Strom extern zukaufen“, heißt es weiter.
Ein Ausfall der Gasversorgung würde zu immensen Produktionsausfällen führen, warnt Villeroy & Boch. „Um Schäden an unseren Anlagen zu vermeiden, können insbesondere unsere Brennöfen nicht kurzfristig abgeschaltet werden. Wir sind daher mit dem zuständigen Netzbetreibern und Versorgern im Austausch, um im Krisenfall der Notfallstufe ein kontrolliertes Herunterfahren der Öfen zu gewährleisten.“
Für den Fall, dass der Gasbezug nur gedrosselt wird und nicht komplett eingestellt werden muss, erarbeite Villeroy & Boch angepasste Produktionspläne innerhalb des globalen Produktionsnetzwerkes.
Kaum Einsparpotenzial
In der Gesamtheit der feinkeramischen Industrie sind nach Aussage von Christoph René Holler, Hauptgeschäftsführer des BVKI, bereits in den vergangenen Jahren kurzfristig umsetzbare Einsparpotenziale realisiert worden, „da unsere Mitgliedsfirmen im harten internationalen Wettbewerb stehen und alle vermeidbaren Produktionskosten minimieren“. Weitere Einsparungen im Erdgasverbrauch wären gemäß Holler nur durch einen radikalen Technologiewechsel möglich, der eine entsprechende Vorlaufzeit braucht – „sofern alternative Brennverfahren für den jeweiligen Werkstoff überhaupt verfügbar sind“.
Das von Habeck noch für diesen Sommer geplante Gasauktionsmodell sehen der Verband und Villeroy & Boch eher skeptisch. Eine Gasauktion soll industriellen Verbrauchern Anreize bieten, Gas einzusparen. Im Kern geht es darum, dass Industriekunden, die auf Gas verzichten können, ihren Verbrauch gegen Entgelt verringern.
Bei Villeroy & Boch hat man zumindest ein wenig Sympathie für das Konzept. Es beruhe auf der Annahme, dass es um ein freiwilliges Anbieten von Reduzierungen gegen Kompensation gehe. „Die Idee ist durchaus interessant, wenn es gelingt, genügend Unternehmen zu finden, die entweder alternative Energieträger einsetzen oder den Verbrauch kurzfristig reduzieren können“, heißt es.
Für Villeroy & Boch sei das Modell wohl nicht interessant, da bei einem temporären Werksstillstand die Kosten weiterliefen und das Unternehmen zusätzlich die Deckungsbeiträge aus den nicht produzierten Waren verlöre. „Die Ausfälle würden über ein Kompensationsmodell sicher nicht ausgeglichen.“
Nächster Preisschub
Sowohl Villeroy & Boch als auch der BVKI befürchten, dass durch das Auktionsmodell der Gaspreis noch stärker steigen wird als allein durch die Verknappung – was dann vor allem die Unternehmen treffen würde, die weiter uneingeschränkt, also ohne die Nachfrage zu senken, Gas bezögen.
Holler relativiert abschließend den Gasverbrauch der Feinkeramik. „Geht man von einem Gasverbrauch der gesamten Industrie in Deutschland von ca. 250 TWh aus, benötigt die gesamte Keramikindustrie mit 9,3 TWh davon weniger als 4%. Die von uns vertretenen Sektoren der Feinkeramik haben 2020 etwa 1,1 TWh verbraucht – also weniger als 0,5% des gesamten Industrieverbrauches.“ Der Gasverbrauch von Villeroy & Boch lag nach Unternehmensangaben im Vorjahr konzernweit bei 450 GWh.