Im InterviewStefan Oelrich

Bayer Pharma hat „sechs Blockbusterkandidaten am Start“

Stefan Oelrich, der im Vorstand von Bayer für die Pharmasparte verantwortlich ist, strotzt beim Blick auf die Entwicklungspipeline vor Zuversicht. Vom Sturz von der Patentklippe will er nichts wissen.

Bayer Pharma hat „sechs Blockbusterkandidaten am Start“

IM INTERVIEW: STEFAN OELRICH

„Wir haben sechs Blockbusterkandidaten am Start“

Chef von Bayer Pharma: Patentklippe in Umsatzdelle gewandelt – Trotz Umsatzflaute mehr Geld für F&E – Große Hoffnung ruht auf früher Pipeline

Zwei schwere Jahre stehen der Pharmasparte von Bayer ins Haus. Beim umsatzstärksten Produkt Xarelto – in der Spitze spielte der Thrombosehemmer einen Jahresumsatz von fast 5 Mrd. Euro ein – ist das Patent abgelaufen, und bis die neuen Medikamente vergleichbare Umsätze erzielen, muss zunächst viel Geld in die Markteinführung gesteckt werden. Dennoch ist Stefan Oelrich, der im Bayer-Vorstand für die Sparte verantwortlich ist, mit Blick auf die Pipeline beinahe euphorisch.

Herr Oelrich, Sie schreiben sechs Medikamenten aus der Pipeline Blockbusterpotenzial zu. Sprich: Jedes dieser Medikamente soll in der Spitze einen Jahresumsatz von mehr als 1 Mrd. Euro erwirtschaften. Zugleich stehen Sie mit dem Thrombosehemmer Xarelto an der Patentklippe bzw. sind schon einen Schritt weiter. Bekommen Sie den Turnaround hin?

Wir haben das Pharmageschäft in den vergangenen fünf Jahren völlig neu aufgestellt. Dadurch stellt sich der Patentablauf von Xarelto nicht mehr als Patentklippe, sondern vielmehr als Umsatzdelle dar. Wir haben sechs Blockbusterkandidaten am Start. Das ist einzigartig in der Bayer-Historie. Nie zuvor haben wir gleichzeitig so viele große Produkte eingeführt.

Dennoch drohen 2025 und 2026 Umsatzausfälle und ein deutlicher Margenverfall.

Wie gesagt, wir haben sechs neue Produkte am Start. Gleichzeitig verlieren wir die Exklusivität für unser umsatz- und margenstärkstes Präparat Xarelto. Trotz starken generischen Wettbewerbs rechnen wir auch zukünftig mit Xarelto-Umsätzen von rund einer Milliarde Euro. Allein mit dem Krebsmedikament Nubeqa und den verschiedenen Einsatzgebieten von Kerendia schaffen wir es weitgehend, die Xarelto-Delle in den nächsten zwei Jahren auszugleichen. Obendrauf kommen Acoramidis gegen Herzinsuffizienz, Elinzanetant, ein hormonfreies Präparat, das Beschwerden in der Menopause lindert, und das Augenmedikament Eylea in der neuen Dosierung.

Auch bei Eylea läuft das Patent aus. Schaffen Sie es mit der neuen Dosierung, den Umsatzausfall der alten Variante auszugleichen?

Das ist unsere Ambition. Mit der neuen Dosierung haben wir eine deutliche Lebensverlängerung für das Produkt erreicht. Wir wollen die Umsätze für Eylea in den nächsten Jahren auf ähnlich hohem Niveau stabilisieren.

Das ist ein normales Tal, das wir jetzt durchlaufen. Um perspektivisch wieder Richtung 30% zu gehen, müssen wir Wachstum erzeugen.

Stefan Oelrich

Ist der Patentablauf bei biologischen Produkten wie Eylea nicht so entscheidend?

Bei biologischen Produkten entscheiden auch nach Patentablauf die behandelnden Ärzte und nicht die Apotheker, welches Produkt ein Patient bekommt. Solange sie überzeugt sind, dass ein bestimmtes Produkt für ihre Patienten die richtige Behandlungsoption ist, wird es verschrieben werden. Das haben wir in ähnlichen Fällen generischen Wettbewerbs beobachtet, nachdem ein Produkt aus dem Patent lief, doch das als Biosimilar bei Ärzten keinen Zuspruch fand. Wenn wir von der neuen und verbesserten Version von Eylea nicht so überzeugt wären, würde ich ihre Sorge teilen.

Tatsache ist aber auch, dass Ihnen allein aufgrund der hohen Markteinführungskosten für die neuen Medikamente der Ertrag wegbricht. Für 2025 haben Sie eine operative Marge von 23 bis 26% prognostiziert. Das ist für ein forschendes Pharmaunternehmen wenig schmeichelhaft.

Dies muss man differenzierter betrachten. Durch den Umsatzrückgang bei Xarelto wird die Bruttomarge belastet. Gleichzeitig steigen die Aufwendungen für die Markteinführungen einer Vielzahl neuer Blockbuster-Produkte. Das ist ein normales Tal, das wir jetzt durchlaufen. Um perspektivisch wieder Richtung 30% zu gehen, müssen wir Wachstum erzeugen. Bis dahin wollen wir die Marge in den mittleren 20ern halten. Aufgrund des Xarelto-Effekts rechnen wir ab 2028 mit einer Ertragsverbesserung.

Gehen Ihre Investoren da mit?

Wir standen vor der Entscheidung, die Marge zulasten der Innovation zu halten oder Marge zu opfern zugunsten der Zukunft. Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden. Wir investieren heute einen deutlich höheren Anteil am Umsatz in die Forschung als je zuvor. Als ich Ende 2018 anfing, waren es rund 14%. Zuletzt hatten wir 18% und wollen in Richtung 20% gehen. Im Gegenzug wenden wir prozentual weniger für den Vertrieb auf. Kurzum: Wir sind heute wesentlich effizienter in der Vermarktung und erfolgreicher in der Innovation.

Leider bekommt man an der Börse dafür noch keinen Bonus, weil das Risiko in diesem Stadium der Entwicklung naturgemäß hoch ist.

Stefan Oelrich

Wie sieht es mit der jüngeren Pipeline aus?

Heute haben wir in der frühen Entwicklungs-Pipeline eine Qualität, die Bayer in dieser Form noch nie hatte. Leider bekommt man an der Börse dafür noch keinen Bonus, weil das Risiko in diesem Stadium der Entwicklung naturgemäß hoch ist. Ob in Onkologie, Gen- oder Zelltherapie – wir haben überall Produkte mit transformatorischem Potenzial. Nehmen wir das Beispiel Parkinson. Hier haben wir inzwischen gleich zwei Produkte in der späteren Entwicklung, eine Zelltherapie und eine Gentherapie. Wenn die nächsten Studien konkludent sind, berechtigen sie zur Zulassung. Im Idealfall haben wir bis zum Ende der Dekade ein, wenn nicht gar zwei Produkte gegen eine Krankheit, die furchtbare Konsequenzen für Patienten und ihre Angehörigen hat.

Was macht Sie zuversichtlich, dass der Durchbruch gelingt?

Ein Beleg dafür, wie gut wir unterwegs sind, ist das Verhalten der Zulassungsbehörden. Wir haben bei beiden Produkten bislang Daten aus Phase-I-Studien. In diesen schweren Krankheitsfällen nimmt man keine gesunden Patienten in die erste Phase der klinischen Entwicklung auf. Auf Basis der bislang vorliegenden Daten werden wir jetzt aber von behördlicher Seite dabei unterstützt, die Forschung zu beschleunigen, weil das so ein großer Durchbruch wäre. Dadurch wird das Risiko zwar nicht kleiner, aber die Hoffnung, dass es zum großen Wurf werden könnte, erhöht sich.

Was macht Sie so sicher, dass Sie 2027 wieder wachsen?

Einerseits erwarten wir, dass der Umsatz mit Xarelto bei rund einer Mrd. Euro liegen wird. Andererseits kommen dann die Umsatzzuwächse unserer bis dahin eingeführten Blockbuster-Produkte voll zum Tragen.

Es ist nicht nur eine Frage, wie viel Geld wir aufwenden. In der Pharmaforschung sind auch die Innovationskriterien entscheidend.

Stefan Oelrich

Wie wird sich das F&E-Budget nach vorne geblickt entwickeln?

Wir haben vergangenes Jahr mehr als 3 Mrd. Euro investiert. Wir versuchen, die F&E-Investitionen trotz flacher Umsätze stetig zu steigern. Aber es ist nicht nur eine Frage, wie viel Geld wir aufwenden. In der Pharmaforschung sind auch die Innovationskriterien entscheidend. Das betrifft zum einen die Fokussierung auf die Therapiegebiete Kardiologie, Onkologie, Zell- und Gentherapien und Immunologie. Zum anderen haben wir als Qualitätskriterium festgelegt, dass jeder Wirkstoff, den wir entwickeln, einen Therapiestandard verändern muss.

Sie wollen die F&E-Produktivität verbessern und haben die Forschungsabteilung 2024 um 500 Köpfe verkleinert. Zugleich möchten Sie mehr in F&E investieren. Können Sie den Widerspruch auflösen?

Wir forschen heute ganz anders. Wir haben zum Beispiel in den vergangenen Jahren viel in Forschungsaktivitäten in den USA investiert und sind dort in das Biotech-Cluster hineingewachsen. Dadurch gehen Forschungsaufwendungen auch stärker in externe Kooperationen. Wir sind heute viel weniger nach innen und viel stärker nach außen fokussiert. Dies spiegeln auch die Verschiebungen beim Personal wider.

Erhöht das zwangsläufig die Produktivität?

Nehmen wir unser Unternehmen Vividion als Beispiel. Dort sind rund 200 Forscherinnen und Forscher tätig. Die arbeiten inzwischen bereits an vier Produkten in der klinischen Entwicklung. In der alten Aufstellung wäre es undenkbar gewesen, so eine Produktivität aufzubauen. Von den von uns erworbenen Biotech-Firmen wie Vividion, BlueRock oder AskBio haben wir gelernt, dass die Produktivität am größten ist, wenn sie als gewachsene Einheiten ihre Innovationen weiter vorantreiben und an passenden Stellen von den Teams bei Bayer unterstützt werden.


Zur Person

Stefan Oelrich ist im November 2018 als Chef der Pharmasparte zu Bayer zurückgekehrt. Seine Aufgabe ist es, der Division wieder eine Zukunftsperspektive zu geben. Binnen fünf Jahren ist es dem 56-Jährigen gelungen, eine aussichtsreiche frühe Pipeline aufzubauen. Natürlich ist dabei viel Hoffnung im Spiel. Doch am Gelingen seiner Mission lässt Oelrich, der zwischen 2011 und 2028 für Sanofi arbeitete, keine Zweifel aufkommen.


Inwieweit hängt das mit dem neuen konzernweiten Organisationsmodell Dynamic Shared Ownership (DSO) zusammen?

DSO wirkt sich dabei wie ein Katalysator aus. Wir setzen unsere Forschungsprojekte in kleinen Einheiten auf. Wir bauen die Einheiten um das Produkt herum, mit einer End-to-End-Verantwortung. Vorher waren wir funktional gegliedert. Jetzt verfolgen wir den Biotech-Ansatz. Die Akquisitionen waren dabei ein guter Weg, um unsere eigene Forschungsproduktivität zu stärken. Unsere heutige Forschungsmannschaft ist besser als früher und der interne Wettbewerb um die begrenzten F&E-Mittel unterstützt die Produktivität.

Der Regierungswechsel in den USA hat womöglich auch Auswirkungen auf die forschenden Pharmaunternehmen. Bayer forscht in den USA, produziert aber vorwiegend in Europa. Was würden Zölle für Sie bedeuten?

In der Pharmaproduktion haben wir einen überdurchschnittlich hohen Anteil in der EU, verfügen allerdings auch über Produktion in den USA. Gleichzeitig investieren wir disproportional viel in den USA. Wir müssen schauen, was da am Ende herauskommt.

Spielen Sie mit dem Gedanken, Produktion in die USA zu verlagern?

Wenn langfristig Zölle zum Tragen kommen sollten, werden wir uns mit der Politik zu diesem Thema zusammensetzen müssen. Und damit meine ich nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Europäer. Die Frage ist, was das für die europäischen Wertschöpfungsketten bedeutet. In der pharmazeutischen Industrie macht die Produktion nur einen Teil der Wertschöpfungskette aus. Ich will hier nicht spekulieren. Aber natürlich machen wir uns – wie jede andere Pharmafirma, die in Europa stark ist – Gedanken.

Der neue US-Gesundheitsminister steht Wissenschaft bekanntermaßen kritisch gegenüber. Was bedeutet das für den Forschungsstandort USA?

Das einzigartige Forschungsumfeld dort steht unter anderem auf zwei Säulen: Einmal ein staatlich gefördertes Forschungssystem, in das viel Geld fließt. Da schaut Europa genau hin und überlegt, selbst Anreize zu setzen, um vielleicht Investitionen nach Europa zu lenken. Den größeren Unterschied macht aber die Gesamtarchitektur des amerikanischen Kapitalmarkts. In Amerika gibt es ein blühendes Feld von Biotech-Innovationen, das sich aus dem akademischen Bereich speist. Das akademische Wissen wird in Produkte übersetzt, aus denen Start-ups werden. Dann gehen diese Firmen an die Nasdaq, dort passiert dann die echte Wertschöpfung. Das findet in Europa kaum statt. Von daher würde es mich stark verwundern, wenn die Vereinigten Staaten gerade dieses hochproduktive Ökosystem in Frage stellen sollten.

Das Interview führte Annette Becker.

Das Interview führte Annette Becker.