Martin Bastian, Houlihan Lokey

Chemie lässt sich auf Fusionspartys blicken

Seit Monaten nehmen Fusionen und Übernahmen in der Chemieindustrie wieder zu. Es geht um Portfolioumbau, Marktanteile und die Verbesserung des ESG-Footprints. Am Ball sind Finanzinvestoren und Strategen.

Chemie lässt sich auf Fusionspartys blicken

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Lieferketten, Nachhaltigkeit und Umweltschutz – die globalen Themen der Wirtschaft schlagen sich auch in den strategischen Weichenstellungen der Chemieindustrie nieder. „ESG-Themen spielen eine große Rolle für Investitionsentscheidungen und M&A-Prozesse in der Chemie. Die Branche ist auf der Suche nach umweltverträglichen Chemieprodukten und Recyclingverfahren sowie alternativen Energiequellen und Rohstoffen“, erläutert Martin Bastian, Head of Chemicals Europe der Investmentbank Houlihan Lokey.

Großes Thema für die Hersteller von Kunststoffen, Farben und Fasern sind Preise und die Verfügbarkeit von Rohmaterialien. Anbieter haben einzelne Produktionen gedrosselt, weil Rohstoffe oder Vorprodukte nicht verfügbar sind oder so teuer, dass sich die Herstellung nicht mehr lohnt, weil Preissteigerungen beim Abnehmer nicht zeitnah möglich sind.

Stabilisierung der Lieferketten

So hat zum Beispiel BASF wegen gestiegener Erdgaspreise ihre Am­moniakproduktion an den Standorten Ludwigshafen und Antwerpen zurückgefahren. Die Bedingungen für einen wirtschaftlichen Betrieb einer Ammoniakanlage für die Herstellung von Düngemitteln hätten sich erheblich verschlechtert, be­gründete der Chemiekonzern den Schritt. Für andere Anwendungen rechne sich die Produktion von Ammoniak indes nach wie vor.

Um die Lieferketten zu stabilisieren und den weiten Weg nach China abzukürzen, intensiviert die Branche auch Investments in Europa, insbesondere Osteuropa, erklärt Bastian. „Die Konzerne durchforsten zudem ihre Produktionsstrukturen und stellen zur Optimierung der Prozesse marginale Standorte zum Verkauf oder schließen sie“, ergänzt der Branchenexperte. So hat Evonik jüngst angekündigt, ihren Standort Lülsdorf, wo Basischemikalien hergestellt werden, mittelfristig in neue Hände geben zu wollen. Dem traditionsreichen ostdeutschen Chemiestandort Schkopau (Werbespruch zu DDR-Zeiten: „Plaste und Elaste aus Schkopau“) könnte nach Einschätzung regionaler Medien die größte Veränderung des Jahr­hunderts bevorstehen. Der US-Konzern Dow, der nach der Wende das Areal der Buna-Werke übernommen hatte, erwäge, sich von allen Bereichen jenseits des Kerngeschäfts zu trennen.

Auch Finanzinvestoren zeigen Interesse an Chemiefabriken. So hat BASF Ende 2020 ihren Produktionsstandort in Kankakee/Illinois an die private Investmentgesellschaft One Rock Capital Partners verkauft. Der Dax-Konzern hatte das US-Werk 2010 mit Übernahme des Spezialchemiekonzerns Cognis erworben. Eine Analyse habe ergeben, dass das Profil des Standorts langfristig nicht mehr zur Unternehmensstrategie passe. Der Käufer One Rock will aus dem Werk ein „starkes, eigenständiges Unternehmen“ entwickeln.

Zu beobachten ist insgesamt eine zunehmende M&A-Aktivität in dem Sektor. Fusionen und Übernahmen nehmen seit Sommer 2020 wieder deutlich zu. Eine größere Transaktion war Anfang 2021 der Verkauf der Sparte Specialty Ingredients von Lonza für 4,2 Mrd. sfr an die Finanzinvestoren Bain Capital und Cinven. Gut 4 Mrd. Euro legte auch die thailändische PTT Global Chemical aus Bangkok auf den Tisch, um Allnex zu kaufen, den Weltmarktführer für Bindemittel für die Farben- und die Lackindustrie. Verkäufer ist der Finanzinvestor Advent. Der zuletzt größte Deal kam im September zustande, als Standard Industries, ein weltweit tätiges Industrieunternehmen im Privatbesitz, die Übernahme von W. R. Grace & Co ab­schloss –  weltweit führender Anbieter von Katalysatoren und technischen Werkstoffen. Die Transaktion hatte ein Volumen von 6,3 Mrd. Dollar.

Jüngste Transaktion in der Branche ist der Erwerb der Mannheimer MBCC Group, die ehemalige BASF-Bauchemie, durch den Schweizer Sika-Konzern, der die Einheit für 5,5 Mrd. sfr vom Finanzinvestor Lone Star übernimmt. Die US-Beteiligungsgesellschaft hatte den weltweit führenden Anbieter von bauchemischen Produkten und Lösungen erst im Herbst 2020 für 3,2 Mrd. Euro vom Ludwigshafener Chemiekonzern gekauft.

„Private Equity ist auf der Käufer- und Verkäuferseite aktiv, aber auch die Strategen sind aktiver geworden und bauen Portfolios um“, fasst es Bastian zusammen. „Es sind nicht viele Specialty Chemicals Assets im Angebot, und diese Optionen werden genutzt.“ M&A habe sich als Wachstumsquelle etabliert, zumal man sich Wachstum derzeit noch für billiges Geld kaufen könne. „Es liegt nahe, günstiges Kapital für strategische Ziele zu nutzen.“

Höhere Bewertungen

Die Unternehmensbewertungen haben sich in Coronazeiten behauptet, zumal zunächst in der Krise erfolgreichere Assets ins Schaufenster gestellt wurden. „Die Multiples haben sich auf einem nach wie vor hohen Niveau von rund 10- bis 12-mal Ebitda eingependelt, während sie in früheren Jahren eher zwischen 8 und 9 lagen“, erklärt der Berater. In den vergangenen zwölf Monaten wurde das höchste Multiple mit 20,5 im Segment Aromen und Duftstoffe erzielt in der Übernahme von Iberchem durch Croda – abgeschlossen im Dezember 2020.

Forciert werden strategische Entscheidungen in der Chemieindustrie auch vom globalen Thema Energy-Transition. Sowohl Kunden als auch Investoren machen Druck auf mehr Nachhaltigkeit in der Produktion, erläutert Bastian das Szenario. „Früher standen primär Hersteller von Tabak, Waffen, Alkohol auf der schwarzen Liste großer Fonds, mittlerweile trifft das auch energieintensivere Geschäfte“, fasst es der Berater zusammen.

M&A-Transaktionen in der Chemieindustrie 2021
ZielKäuferVolumen 1Multiple 2Monat
MBCC GroupSika6 00011,5November
GraceStandard Industries6 72715,3September
Ashland Performance AdhesivesArkema1 65015,0August
IFF Microbial ControlLanxess1 1009,6August
OxitenoIndorama1 3008,1August
AllnexPTT Global Chemical4 75012,7Juli
NiacetKerry1 01515,4Juni
Clariant-PigmentgeschäftHeubach/SK Capital Partners90011,0Juni
Albemarle Fine ChemistryGrace5709,5Juni
Trinseo Rubber BusinessSynthos5708,7Mai
RecticelGreiner75912,2Mai
PQ Performance ChemicalsCerberus/Koch1 1007,7März
Emerald Kalama ChemicalLanxess1 07511,9Februar
Lonza Specialty IngredientsBain Capital/Cinven4 40013,0Februar
1) Unternehmenswert in Mill. Dollar; 2) bezogen auf das Ebitda Quelle: Houlihan LokeyBörsen-Zeitung
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