Deutschlands Einhörner

Der Weg an die Börse führt über den großen Teich

Der Sprung privat finanzierter junger Unternehmen an den öffentlichen Kapitalmarkt ist in Deutschland auch und gerade für Einhörner schwierig.

Der Weg an die Börse führt über den großen Teich

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Bei diesem Zukauf hat sich mancher Beobachter die Augen gerieben: Das Mobility-Start-up Flixbus, mit mehr als 3 Mrd. Dollar Firmenwert in der jüngsten Finanzierungsrunde eines der schwersten Einhörner aus Deutschland, kauft die US-Bus-Ikone Greyhound. Bei dem Deal erstaunte nicht nur der Kaufpreis, bei dem der Fernbusbetreiber geschätzt mit einem Drittel seines Jahresumsatzes bewertet wurde – während der Käufer von privaten Investoren auf den 3- bis 4-fachen Umsatz taxiert wird –, vor allem erscheint auch die strategische Überlegung bei der Akquisition auf den ersten Blick nicht gänzlich nachvollziehbar. Denn Flixbus erkauft sich zwar für kleines Geld den Einstieg in die USA und noch dazu eine Kultmarke. Allerdings hat das Unternehmen, das bisher als Mobility-Plattform „asset-light“ war, jetzt plötzlich 1000 Busse auf der Bilanz und jede Menge Fahrer auf der Gehaltsliste.

Fast könnte man sagen „AOL kauft Time Warner“, witzelt der VC-Investor Daniel Wild im Podcast „Start-up Insider“. Jedoch könnte ein anderer strategischer Gedanke bei dem Zukauf eine entscheidende Rolle gespielt haben: Bei einem mehr als 3 Mrd. Dollar schweren Unicorn bietet sich für die Investoren fast zwangsläufig ein IPO, gegebenenfalls noch ein Spac, als Exit-Kanal. Und dabei schielen sie nach wie vor – fast ebenso zwangsläufig – auf die Wall Street.

Um junge Unternehmen mit risikobehaftetem Geschäftsmodell – Wachstumsfokus, absehbar lange Verlustphase – zu finanzieren, fehlt es in Deutschland an der „nötigen Breite des öffentlichen Kapitalmarktes“, befindet Wild im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Der Gründer und Aufsichtsrat der börsennotierten Beteiligungsgesellschaft Mountain Alliance sieht dabei nicht primär die notorische Skepsis deutscher Anleger gegenüber vermeintlich unausgegorenen Geschäftsideen oder Forschungsrisiken als Problem an – obwohl dies häufig als Grund genannt wird, warum die als hochriskant geltende Biotech-Szene hierzulande noch immer auf Finanzierungsschwierigkeiten stößt. Sowohl Biontech als auch Curevac gingen an die Nasdaq. Wild hält dagegen, dass vor allem regulatorische Fesseln eine entsprechende Entwicklung des hiesigen Kapitalmarkts verhindern. Das fängt mit der Aktienquote von Versicherern an und erstreckt sich über vielfältige Anlagerestriktionen bei großen und kleinen Institutionellen.

Himmelweiter Unterschied

Dies spiegele sich auch im Vergleich zweier Zahlen: „In Deutschland macht der Anteil von Venture Capital 0,06% vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus, in den USA sind es 0,6%“, betont Wild. Zwar hat der immense Anlagedruck, „das unfassbar viele Geld“, das Assetmanagern zur Verfügung steht, dazu geführt, dass „sie ein, zwei Stufen im Risiko hinzunehmen“. Klassische Kapitalsammelstellen wie Pensionsfonds und Versicherer erhöhen ihr Engagement bei Private-Equity-Fonds, um die nötigen Renditehebel zu haben, nachdem mit Staatsanleihen schon lange kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Jedoch fehlt es an Mechanismen, die die Risiken eines Going Public aus Sicht der Investoren überschaubarer machen, und es fehlt an einer nennenswerten Zahl leuchtender Beispiele. Wenig bis gar nicht ausgeprägt ist hierzulande ein „grauer Kapitalmarkt“, auf dem bereits vorbörslich Aktien eines Unternehmens gehandelt werden können, erklärt Wild. Dafür war der skandinavische Musik-Streaming-Pionier Spotify ein gutes Beispiel, der nach einem solchen Markttest sogar ein Direct Listing (ohne Hilfe eines Bankenkonsortiums) wagte.

Fehlende Leuchttürme

Während derlei Versuchskaninchen in Deutschland nicht bekannt sind, mangelt es unter den wenigen IPOs aus der Einhornszene in jüngerer Zeit leider nicht an abschreckenden Beispielen. Die Aktie der zum Börsengang mit mehr als 8 Mrd. Euro bewerteten Auto1 kannte nach einem ganz kurzen Höhenrausch zum Auftakt seither nur eine Richtung: in Stufen abwärts. Trotz einer jüngsten Erholung notiert das Papier aktuell noch rund 15% unterm Emissionpreis, zwischenzeitlich waren die Titel davon bereits bis um zu 35% abgerutscht. Die Kurs-Performance ist ebenso wenig vertrauenerweckend wie die der Softwareschmiede Teamviewer, die zwar kein Start-up mehr war, als sie an die Börse ging, aber auch ein junges Unternehmen mit Fokus auf Wachstum und ambitionierter Bewertung. Wild ist der Meinung, dass die offensichtliche Wertkorrektur durch die Börse – wie im Falle Auto1 – nicht „automatisch bedeuten muss, dass die vorbörsliche Bewertung überhöht war“. Stattdessen sei dies eben auch „ein Zeichen, dass es an einer breiten institutionellen Investorenbasis mangelt, die in solche Werte hineingehen können“.

Während das IPO-Jahr am hiesigen Finanzmarkt nach einem starken Auftakt komplett aus der Puste geraten ist, ist europaweit zumindest eine rasante Aufholjagd gegenüber den USA zu beobachten. Dem Analyseportal Pitchbook zufolge ist der Erlös aus Public Listings (also inklusive Direct Listings, IPOs und Spacs) in Europa in den ersten neun Monaten auf 116 Mrd. Euro (172 Mrd. Dollar) in die Höhe geschnellt, nach rund 21 Mrd. Euro im Vorjahr. Allerdings dominieren Trade Sales mit rund 500 in dieser Zeit in Europa bei weitem die Zahl der IPOs mit 135. Überdies machen Börsengänge von mit Wagniskapital finanzierten Unternehmen in Europa rund ein Viertel des globalen Volumens aus. Ihr wertmäßiger Anteil erreicht allerdings nur 14%. Damit ist für Unicorns und ihre Investoren weiterhin klar, dass sich andernorts deutliche höhere Bewertungen realisieren lassen. Die USA vereinten im dritten Quartal über die Hälfte des gobalen IPO-Werts der Start-up-Szene auf sich.

Obwohl eine weitere Deregulierung für Investoren vonnöten sein mag, ist in Europa zumindest festzustellen, dass die großen Börsen bemüht sind, jungen Unternehmen, die mit privatem Risikokapital finanziert sind, den Sprung in den öffentlichen Kapitalmarkt zu ermöglichen. So hat sich insbesondere die Börse Amsterdam zu einem europäischen Spac-Hub entwickelt. Die Londoner Börse hat sich vor dem Hintergrund des Brexit in Sorge um ihren globalen Rang bemüht, ihre Attraktivität durch eine Reihe von Lockerungen für Emittenten zu erhöhen. So soll etwa die Zulassung von zwei Aktienklassen, die vor allem bei schwergewichtigen Unicorns der Tech-Szene beliebt sind, die Wettbewerbsfähigkeit der LSE gegenüber der Nasdaq, wo solche Aktiengattungen gang und gäbe sind, zu erhöhen. Auch die Regeln für Direct Listings und Spacs wurden überarbeitet, um diese Arten des Going Public am Standort attraktiv zu machen.

Die Deutsche Börse hat vor vier Jahren das Scale-Segment eröffnet, um „kleinen und mittleren Unternehmen“ einen „effizienten Zugang“ zum Eigenkapitalmarkt zu eröffnen. Allerdings hat sich dieses Segment für aufstrebende milliardenschwere Unicorns als wenig attraktiv erwiesen, meint auch Wild.

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