Jennifer Bisceglie, Interos

„Die Daten zeigen, ob man aktiv werden muss“

Die US-Tech-Firma Interos will mithilfe künstlicher Intelligenz eine bessere Übersicht über Risiken in ihrem Lieferantennetzwerk verschaffen. Das 2005 von Jennifer Bisceglie gegründete Unternehmen hat 2021 den Einhorn-Status erlangt.

„Die Daten zeigen, ob man aktiv werden muss“

Karolin Rothbart.

Frau Bisceglie, die globalen Lieferkettenstörungen beschäftigen die Wirtschaft nun schon seit mehr als zwei Jahren. Mit dem Ukraine-Krieg und den Lockdowns in China haben sich die Probleme noch verschärft. Was hat das für Folgen für Unternehmen?

Unternehmen werden zum ersten Mal in der Geschichte zunehmend danach beurteilt, wie stabil ihre Lieferketten sind. Die meisten sind allerdings überhaupt nicht auf ein solches Maß an Volatilität vorbereitet. Das führt jetzt im Zuge des Ukraine-Kriegs zum Beispiel dazu, dass viele Unternehmen Stahl aufkaufen – von jeder Quelle, die sie überhaupt nur finden können. Das ist aber teuer und auf Dauer keine Lösung. Generell verursachen globale Lieferkettenstörungen bei großen Unternehmen pro Jahr Kosten von durchschnittlich 184 Mill. Dollar, wie wir in unserem Global Supply Chain Report ermittelt haben.

Was braucht es denn, um in der Beschaffung mehr Planungssicherheit zu gewährleisten?

In der Frage, wie Firmen mit dem Thema umgehen, geht es vor allem um Transparenz. Die ist zwar kein Heilmittel, aber die beste Vorsorge, um eine komplette Sichtbarkeit in der primären Lieferkette und darüber hinaus, also bei den nachgelagerten Lieferanten, zu haben. Das ermöglicht es, Risiken zu identifizieren und künftig eintretende Probleme schon vorab zu modellieren. Wenn man Transparenz hat, sieht man, wo sich Klumpenrisiken bilden, man sieht, welche Lieferanten finanziell instabil sind, und man sieht, wo es einen Mangel an Arbeitskräften gibt. Die Daten zeigen, ob man aktiv werden muss oder nicht. Dazu braucht es aber die notwendige technische Ausstattung.

Hat diesbezüglich schon ein Umdenken stattgefunden?

Ja, Unternehmen investieren mittlerweile tatsächlich verstärkt in ihre IT. Vor der Pandemie haben viele Firmen noch mit Excel-Tabellen ge­arbeitet oder tagesaktuelle Erhebungen durchgeführt. Jetzt ist ihnen aber bewusst, dass sie in Technologie zur kontinuierlichen Überwachung und Kartierung ihres Lieferantennetzwerks investieren müssen. Das spüren wir auch im Geschäft – bei uns hat sich der jährlich wiederkehrende Umsatz 2020 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

Sie bieten mit Interos eine Software zur frühzeitigen Erkennung von Risiken im Lieferantennetzwerk. Was unterscheidet Ihre Technologie von der anderer An­bieter?

Wir bieten zunächst kein einzelnes Tool für einen einzelnen Risikofaktor, sondern eine Plattform, in der große Mengen von Daten aus unterschiedlichen Quellen einfließen. Diese einheitliche Managementkonsole für alle Risiken, die in der Lieferkette bestehen, kann in andere bestehende, interne Firmensysteme integriert werden. Daneben sind es die fortgeschrittene künstliche Intelligenz und das maschinelle Lernen, die wir nutzen. Andere Unternehmen, die das schon vor uns gemacht haben oder gerade in dem Markt unterwegs sind, verwenden für ihren Dienst noch Erhebungen und manuelle Prozesse.

Laut Studien bestehen gerade im deutschen Mittelstand beim Thema künstliche Intelligenz zum Teil noch Berührungsängste. Vielfach wird ein Mangel an nötigen IT-Kompetenzen als Hürde für die Implementierung der Technologie genannt. Können Systeme wie Ihres die Unternehmen auch überfordern?

Nein. Wir haben in den vergangenen drei Jahren 170 Mill. Dollar investiert, um sicherzustellen, dass unsere Technologie einfach zu bedienen ist. Das ist unser Job − und auch das unterscheidet uns von den Wettbewerbern. Wir haben von Google einen Kollegen abgeworben, der dort für die Netzwerk-Visualisierung zuständig war. Jetzt haben wir eine Benutzeroberfläche, die leicht zu handhaben ist und mit der wir die Risikobewertung der Lieferkette nach sechs Kategorien vornehmen: das finanzielle Risiko, die Gefahr von Cyberangriffen, Restriktionen im Heimatland des Zulieferers, geopolitische Risiken, betriebliche Risiken und ESG-Risiken.

Was genau passiert, wenn zum Beispiel ein Unternehmen in der Lieferkette von einem Hackerangriff betroffen ist?

In dem Fall wird man es auf drei Wegen erfahren. Als Erstes wird dem Nutzer via E-Mail oder SMS eine Alarmnachricht geschickt. Daneben zeigt ein roter Punkt auf der digitalen Weltkarte, wo das Problem aufgetaucht ist. Dazu bewerten wir die Unternehmen in den jeweiligen Kategorien nach Punkten, das geht von null bis hundert. Wenn es also zu einem relevanten Cybervorfall kommt, geht die Punktzahl nach unten und das Unternehmen landet in der roten Kategorie, die hochriskante Einheiten im Lieferantennetzwerk umfasst. Der Nutzer wird später auch darüber informiert, ob das Problem bei dem Unternehmen behoben wurde oder nicht.

Im vergangenen Jahr haben Sie mit Interos in einer Series-C-Finanzierungsrunde 100 Mill. Dollar eingesammelt und dabei eine Bewertung von über 1 Mrd. Dollar erzielt. Was sind die nächsten Wachstumsschritte?

Wir halten derzeit unter anderem Ausschau nach weiteren Partnerschaften zur Etablierung unserer Plattform im Markt. Wir haben schon jetzt wirklich tolle und starke Partnerschaften, zum Beispiel im Finanzsektor, wo wir mit der Wirtschaftsauskunftei Equifax und Mastercard zusammenarbeiten. Dazu kooperieren wir mit Coupa, einem Software-Anbieter für die Einkaufs- und Ausgabenoptimierung. Mit dem Workflow-Spezialisten Servicenow gab es auch eine Integration der Angebote. Dazu wollen wir mit unserer Plattform noch mehr Branchen erreichen.

Welche Branchen kommen da für Sie in Frage?

Unsere größten Kunden waren anfangs staatliche Institutionen. Wir arbeiten derzeit mit vier verschiedenen Regierungen zusammen. Daneben waren wir bislang vornehmlich in der Banken- und Versicherungsbranche sowie im Bereich Luft- und Raumfahrt und Verteidigung unterwegs. Jetzt bewegen wir uns auf die Automobilindustrie, auf das Gesundheitswesen und auf die Pharma- und Life-Science-Industrie zu. Es ist ja nicht nur ein Sektor, der von den Lieferkettenproblemen betroffen ist. Es betrifft im Grunde jede Branche in jedem Land dieser Welt. Man kann dem aktuell nicht entkommen.

Das Interview führte

BZ+
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