Digitalmarketing

„Die meisten Kaufentscheidungen beginnen mit dem Smartphone“

Die Firma Uberall ist führend im lokalen Digitalmarketing und hilft Geschäften weltweit, Kunden online für Offline-Angebote zu gewinnen. Im Juni hat das Start-up 115 Mill. Dollar eingesammelt.

„Die meisten Kaufentscheidungen beginnen mit dem Smartphone“

Stefan Paravicini.

Herr Hübner, können Sie mir bitte erst einmal näherbringen, was ein Spezialist für „Near Me“-Marketing wie Uberall macht?

Die Welt hat sich in den vergangenen fünf bis zehn Jahren wahnsinnig verändert. Ein Teil dieser Veränderung hat damit zu tun, dass wir mit der Welt um uns herum immer mehr durch unsere Smartphones agieren. Auch die meisten Kaufentscheidungen beginnen heute damit, dass wir das Telefon aus der Tasche ziehen und nach Angeboten oder Dienstleistungen in unserer Nähe – also „Near Me“ – suchen. Dann geht es erst einmal darum, wen ich sehe, es geht aber vor allem darum, für wen ich mich entscheide.

Und Uberall hilft ihren Kunden, dass sich die Verbraucher für sie entscheiden?

Für unsere Kunden geht es darum, dem Verbraucher, der auf der Suche nach einem Geschäft oder einer Dienstleistung in seiner Nähe das Smartphone zückt, klarzumachen, dass er eine gute Entscheidung trifft, wenn er die Transaktion eingeht, und dieses Gefühl später auch zu bestätigen. Das Set an Fähigkeiten, das dafür benötigt wird – was man dafür verstehen muss, was man für Strategien und technische Fähigkeiten braucht – kann nicht jedes Unternehmen für sich aufbauen. Das ist es, was wir unseren Kunden zur Verfügung stellen. In dieser neuen Welt, in der die Menschen nicht mehr zwischen Online und Offline unterscheiden, stellen wir die komplette Palette an Fähigkeiten zur Verfügung, um als Geschäft lokal erfolgreich zu sein.

Sie sind Algorithmentechniker, diese Fähigkeiten dürften also vor allem den Umgang mit Daten betreffen, richtig?

Es geht um einen ganzen Berg von Information, teilweise statisch und teilweise sehr dynamisch, teilweise um Informationen aus dem Geschäft, teilweise um die Daten aus dem Online-Ökosystem. Unsere Plattform ist eine Raffinerie für Daten, wenn man in dem Bild von Daten als das neue Öl der Wirtschaft bleibt.

Haben Sie ein Beispiel, wie eine Near-Me-Kampagne mit Unterstützung von Uberall aussieht?

Nehmen wir eine Firma wie McDonald’s mit mehr als 1500 Geschäften in Deutschland, die für jedes Lokal rund 50 Online-Profile unterhält. Wenn McDonald’s ihre Werbekampagne in Deutschland ändert, müssen 75000 Profile in Echtzeit geändert werden. Das kann man manuell nicht machen. Und vor allem kann man nicht beobachten, was mit diesen neuen Angeboten passiert, wie die Konsumenten darauf reagieren. Da wir mit allen relevanten Verzeichnissen wie Google, Facebook, Tripadvisor, Foursquare, TomTom verbunden sind, können wir das analysieren und aufbereiten und unseren Kunden sehr spezifisch sagen, welche Kampagne in welchen Regionen gut funktioniert, welche Fragen die Kunden dazu haben, welches Geschäft lokal nicht so gut läuft und so weiter. Da passieren viele Dinge, die erst durch unsere Plattform sichtbar und strategisch nutzbar werden, sowohl für die Führungsfunktionen in der Firmenzentrale als auch für den Storemanager vor Ort.

Ist das Angebot von Uberall nur etwas für große Ketten, oder ist Near-Me-Marketing auch etwas für den Mittelstand?

Wenn Sie in Berlin leben, kennen Sie mit Sicherheit die Bio Company, die vor wenigen Jahren noch weniger als 50 Läden betrieben hat. Das ist definitiv ein Mittelständler, aber schon lange ein Kunde von uns. Die Anwendungsfälle sind die gleichen wie für größere Ketten, in der Umsetzung können Mittelständler häufig sogar schneller agieren. Aber auch kleine und mittelständische Betriebe sehen, dass Kunden auf Google ihre Angebote bewerten, auf Tripadvisor nach Angeboten suchen oder auf Yelp Empfehlungen schreiben. Auch für sie geht es darum, kein Geschäft zu verlieren, wenn Menschen nicht mehr zwischen Online und Offline unterscheiden.

In der Pandemie haben viele Konsumenten keine Angebote Near Me gesucht, sondern gleich online eingekauft. Wie hat sich Uberall in dieser Zeit entwickelt?

Wir wachsen immer noch mit einem Tempo oberhalb von 30%. Aber der wichtigere Teil dabei ist, dass 2020 ganz anders gekommen ist, als wir es geplant haben, und wir am Ende dennoch ziemlich genau unseren Wachstumsplan erfüllt haben. Natürlich haben wir gesehen, dass wir durch verschiedene Phasen gegangen sind. In der ersten Phase zu Beginn der Pandemie haben auch die meisten unserer Kunden richtigerweise auf hartes Cash-Management umgeschwenkt und nicht mehr in den Ausbau strategischer Projekte investiert. Zum Ende des Jahres haben wir dann aber gesehen, dass wir wieder viel aufholen konnten, und jetzt zieht alles wieder an. Sie kennen das Zitat des ehemaligen Formel-1-Weltmeisters Ayrton Senna?

„Wenn man in einem Rennwagen steckt, ist der zweite oder dritte Platz nicht genug“?

Fast. „Man kann in einem normalen Rennen nicht zehn Autos überholen – das geht nur, wenn es regnet.“ Genauso haben auch wir in der Coronakrise geschaut, was um uns herum passiert, und im September Sweet IQ aus Montreal übernommen. Wir nennen das eine strategische Abkürzung, die wir bei normalem Rennwetter nicht genommen hätten.

Ist die Übernahme der kalifornischen Momentfeed, die Sie im Juni zusammen mit einer 115 Mill. Dollar schweren Finanzierungsrunde bekannt gegeben haben, auch so eine Abkürzung?

Ich hätte niemals so viel Geld aufgenommen, wenn ich nicht gewusst hätte, wie wir das verwenden. Deshalb waren diese beiden Transaktionen aneinander gekoppelt, was aus Corporate-Finance-Sicht natürlich ein ziemliches Biest ist. Wenn das Jahr normal gelaufen wäre, hätten wir wahrscheinlich versucht, organisch in den nordamerikanischen Markt hineinzugehen, normales Hiring zu machen und Kunden zu gewinnen. Jetzt haben wir auf einen Schlag eine Organisation mit mehr als 100 Leuten aufgebaut, die sich wahnsinnig gut mit dem Thema auskennen und vorher schon Partner von uns waren. Wir wissen deshalb, dass das auch kulturell passt.

Haben Sie weitere Übernahmeziele im Visier?

Wenn man eine Akquisition gemacht hat, bekommt man alle paar Tage neue Möglichkeiten für weitere Zukäufe vorgestellt. Die Momentfeed-Transaktion ist mittlerweile geclosed, so dass wir jetzt in den nächsten Gang schalten können. Aber das ist bereits unsere dritte Akquisition. Da gehen viele Ressourcen rein, das ist wirklich anstrengend und bei der Post-Merger-Integration entscheidet sich, wie viel Wert wir für das Unternehmen heben können. Es ist deshalb sehr unwahrscheinlich, dass wir bald wieder eine Firma finden, mit der eine Übernahme so viel Sinn ergeben würde wie Momentfeed, die uns strategisch enorm voranbringen kann. Wir sind offen und verfolgen auch eine M&A-Strategie, aber man geht immer durch Phasen, und 2021 wird ein Jahr, in dem wir vieles neu strukturieren werden. Wenn wir 2022 organisch 30% wachsen, bin ich sehr zufrieden.

Könnten Sie für den Fall einer weiteren Übernahme noch einmal eine Finanzierungsrunde mit privaten Investoren drehen?

Das Thema ist mittelfristig erledigt, es sei denn, wir finden opportunistisch irgendwas, wofür wir frische Mittel brauchen.

Sehen Sie Uberall bereits in der Nähe eines Börsengangs?

Wir sind jetzt bei rund 60 Mill. Euro Jahresumsatz. Das nächste Ziel ist, die Schwelle von 100 Mill. Euro zu erreichen. Damit kommen wir dann in den Bereich, in dem ein Börsengang als strategische Option absolut naheliegend ist. Die nächsten zwölf Monate werden dafür noch nicht reichen, aber es ist für uns selber wichtig, in dem Segment High Growth mit einem Wachstum oberhalb von 30% zu bleiben.

Irgendwann einmal galt Profitabilität als Voraussetzung für ein IPO. Erfüllt Uberall dieses Kriterium?

Wir verbrennen nicht viel Geld, und wenn wir wollen, sind wir innerhalb von zwei Monaten profitabel.

Könnte auch ein strategischer Käufer eine Option sein?

Klar. Man muss nicht erst in dem Moment eine Transaktion machen, in dem man nur noch eine Option hat. Das Schöne ist: Unsere Optionen werden gerade immer mehr. Wir ha­ben schon ein halbes Dutzend An­fragen von Spacs (Special Purpose Acquisition Companies, Red.) be­kommen, die uns am liebsten schon morgen an die Börse bringen würden. Es ist sicher spannend und noch einmal eine andere Sache, eine öffentlich notierte Firma zu führen. Für ein paar Sachen wie unsere jüngste Akquisition ist es aber auch ganz praktisch, dass man das als private Firma durchziehen kann. Wir haben aber natürlich auch Investoren, und selbst wenn sie keinen großen Druck haben, will der eine oder andere irgendwann einen Return sehen. Ein IPO gibt jedem die Freiheit, es so zu machen, wir er es braucht.

Zu den frühesten Investoren zählt United Internet mit ihrer Tochter 1&1, die auch bei der jüngsten Finanzierungsrunde mitgezogen hat. Wie sieht das Verhältnis aus?

Wir sind sehr dankbar für diese Partnerschaft. Als wir 2014 das Investment Agreement unterschrieben haben, waren wir noch nicht sehr groß. Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass eine Firma wie 1&1 damals in Leute investiert hat. Das hatte auch mit der Absicherung der eigenen Strategie zu tun, weil 1&1 unser Produkt in ihre Kundenbasis verkauft hat und sicherstellen wollte, dass dieses Start-up überlebt. Mittlerweile sind wir dem natürlich weit entwachsen und von einem strategischen Investment zu einem finanziellen Investment gewandert. Das ist eine Investorenbeziehung und auch eine Freundschaft, die sich über die Jahre sehr verändert hat und ohne die Uberall nicht wäre, was wir heute sind.

Wie meinen Sie das?

1&1 hat 2014 sichergestellt, dass wir erst einmal ein halbes Jahr Zeit hatten, uns ganz darauf zu konzentrieren, dass wir das Produkt gemeinsam ausrollen konnten. Ich glaube, dass das bis heute die DNA von Uberall prägt, weil wir sehr fokussiert an den technischen Themen gearbeitet und damit den Grundstein dafür gelegt haben, viele Konkurrenten abhängen zu können. Das hat mit der soliden Basis zu tun, die wir in diesem halben Jahr legen konnten, in dem wir durch 1&1 die Möglichkeit hatten, die Prioritäten richtig zu setzen. Ich bin da unglaublich dankbar.

Wie steht es um die Investorenszene am Start-up-Standort Berlin insgesamt?

Für mich spielt der Standort Berlin eine wahnsinnig wichtige Rolle. Hätten die Samwer-Brüder Ende der neunziger Jahre in Berlin nicht Alando gemacht und dann an Ebay verkauft, würde ich heute nicht machen, was ich mache. Project A, die die Ersten waren, die uns Geld gegeben haben, wurde von zwei ehemaligen Geschäftsführern von Rocket Internet gegründet. Da gibt es wahnsinnig viele Spill-over-Effekte. Daran sieht man aber auch, dass diese Dinge Zeit brauchen. Das wird bei Start-ups oft übersehen.

Das Interview führte