Bayer-Aufsichtsrat könnte Aktivisten bekommen
Aktionärsaktivist zieht in Bayer-Aufsichtsrat ein
Trotz dramatischer Kursverluste zeichnet sich keine Revolte in der Hauptversammlung ab – Stimmrechtsberater stellen sich hinter Verwaltung
Von Annette Becker, Düsseldorf
In der diesjährigen Hauptversammlung von Bayer dürfte es weniger turbulent zugehen als in den Vorjahren. Doch wenngleich die Stimmrechtsberater weitgehend hinter den Vorschlägen der Verwaltung stehen, dürfte es in der Generaldebatte angesichts des Kursdebakels hitzig hergehen.
2023 war für die Bayer-Aktionäre alles andere als ein erfreuliches Jahr. Operativ lief es schleppend, hinzu kamen außerordentliche Themen wie der Abbruch der Studie für den wichtigsten Hoffnungsträger aus der Pharmapipeline und das Wiederaufleben der Glyphosatklagen. Schlussendlich führte das zur Kappung der Dividende auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum – und das gleich für drei Jahre. Das Zusammentreffen dieser misslichen Umstände ging am Aktienkurs nicht spurlos vorbei. 2023 verlor der Dax-Wert ein Drittel an Wert, während der Blue-Chip-Index fast 20% zulegte.
Dennoch dürfte es auf der Hauptversammlung am 26. April nicht zu einer Revolte der Aktionäre kommen. Zumal der neue Vorstandschef Bill Anderson, der zu Beginn des vorigen Jahres mit viel Vorschusslorbeer begrüßt wurde, die Situation nicht zu verantworten hat. Die unheilvolle Übernahme von Monsanto, mit der sich Bayer die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten einhandelte, liegt acht Jahre zurück, und auch die ausgedünnte Pharmapipeline ist keineswegs das Ergebnis der vergangenen zwölf Monate. Zudem ist der Aufsichtsrat mit der Bestellung von Anderson, der von Roche kam, auf die Aktionäre zugegangen.
Aufsichtsratswahlen bei Bayer
Auch die Empfehlungen der Stimmrechtsberater deuten auf eine zumindest im Ergebnis zufriedenstellende Veranstaltung hin. Glass Lewis beispielsweise stellt sich bei allen Tagesordnungspunkten hinter die Vorschläge der Verwaltung und macht lediglich bei der Billigung des Vergütungsberichts eine einschränkende Anmerkung. Ivox, wiewohl eine Tochter von Glass Lewis, hat sozusagen die deutsche Brille auf und orientiert sich in ihrer Bewertung an den Empfehlungen des deutschen Governance-Kodex und den Analyse-Leitlinien des BVI. Wenngleich Ivox daher zu teilweise zu anderen Ergebnissen kommt, ist der Grundtenor positiv.
Auf Investoren zugegangen
Besondere Bedeutung kommt in diesem Jahr drei Tagesordnungspunkten zu: So steht die Wahl von fünf neuen Aufsichtsratsmitgliedern auf der Tagesordnung. Dabei werden drei Kandidaten neu in das Kontrollgremium gewählt. Brisant dabei: Mit Jeffrey Ubben wird vom Unternehmen erstmals ein Aktionärsaktivist zur Wahl gestellt. Man darf unterstellen, dass die Aufstellung nicht ganz freiwillig erfolgte. Denn Ubben hatte sich schon Anfang 2023 an die Öffentlichkeit gewandt und die Aufspaltung gefordert.
Hatte Bayer Ubbens Werben um einen Sitz im Aufsichtsrat zunächst mit der Einbindung in den Nachhaltigkeitsrat des Konzerns eingehegt, führte in diesem Jahr offenbar kein Weg mehr an einem echten Mitspracherecht vorbei. Auch die Stimmrechtsberater haben keine Einwände gegen Ubbens Wahl: Weder an der Qualifikation noch an der Eignung der Kandidaten gebe es Zweifel, zumal sie alle unabhängig seien. Ohnehin muss die Wahl eines aktivistischen Investors nicht notwendigerweise nachteilig für das Unternehmen und seine Aktionäre sein. Zwar ist man bei Union Investment ob der Nominierung alarmiert, dennoch darf Ubben auch mit den Stimmen deutscher Fondsgesellschaften rechnen.
Natürlich widerspricht der Wahlvorschlag eklatant dem Selbstverständnis der Leverkusener. Doch die Zeiten haben sich geändert. Bayer kann es sich nicht mehr länger leisten, die vielfach berechtigten Wünsche der Investoren zu ignorieren. Das kommt auch in dem neuen Vergütungssystem zum Ausdruck, das die Aktionäre billigen sollen. Auch bei den Proxy Advisors stößt es auf Zustimmung.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann in weiten Teilen auf die massive Investorenkritik der Vorjahre eingegangen ist. So wird der freie Mittelzufluss als Bestandteil der Bemessungsgrundlage in der kurzfristigen variablen Vergütung künftig nicht mehr um Vergleichszahlungen im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten bereinigt. Zudem sind die Ziele in der langfristigen Vergütung anspruchsvoller und künftig noch stärker von der relativen Kursentwicklung im Vergleich zur Peergroup abhängig.
Hohes Festgehalt für Anderson
Anders sieht es bei der Billigung des Vergütungsberichts für 2023 aus. Schon im Vorjahr wurde der Bericht bei zahlreichen Enthaltungen nur mit 52,3% der Stimmen gebilligt. Ivox rät auch in diesem Jahr zu einer kritischen Sicht, da der Cashflow im bisherigen Vergütungssystem um die Vergleichszahlungen aus Rechtsstreitigkeiten bereinigt ist. Glass Lewis legt an anderer Stelle den Finger in die Wunde: Konkret geht es um den neuen Vorstandschef, dessen Festvergütung mit 1,7 Mill. Euro um 27% über der seines Vorgängers Werner Baumann liegt.
Hinzu kommt eine einmalige Kompensationszahlung in Höhe von 3,8 Mill. Euro als Ausgleich für verloren gegangene Ansprüche beim vorherigen Arbeitgeber. Zwar heben die Stimmrechtsberater hervor, dass es in der aktuellen Lage von Bayer schwierig gewesen sei, einen neuen CEO anzuwerben, der dem Wunsch der Investoren nach einem Richtungswechsel entspricht. Letztlich weise die exzessive Vergütung jedoch auch auf Versäumnisse des Aufsichtsrats bei der Nachfolgeplanung hin.
Jenseits der üblichen Tagesordnungspunkte will sich Bayer von den Aktionären auch einen Vorratsbeschluss zum Aktienrückkauf geben lassen. Ein Punkt, den die internationalen Stimmrechtsberater weniger kritisch sehen als deutsche Fondsgesellschaften. Ivox lehnt den Vorschlag ab, da Bayer den Vorratsbeschluss für die Dauer von fünf Jahren beantragt.
Aufspaltungsdebatte nur vertagt
Hatte die von Bayer gefürchtete Aufspaltungsdebatte mit der Bestellung des von außen kommenden CEO im vorigen Jahr frische Nahrung erhalten, ist es bislang beim Sturm im Wasserglas geblieben. Anderson hatte dem Thema in der Bilanzpressekonferenz im März eine klare Absage erteilt. Angesichts der sich abzeichnenden Veränderungen im Aufsichtsrat ist die Diskussion darüber aber bestenfalls aufgeschoben.