IM INTERVIEW: INGO SPEICH, DEKA

"Einiges als Krisenthema verkauft"

Aktionärsrechte in der Coronakrise in Gefahr - Kein Bedarf für mehr Governance-Regulierung

"Einiges als Krisenthema verkauft"

Die Auftritte von Fondsvertretern auf Hauptversammlungen gelten oft als Höhepunkte der Veranstaltungen. Durch die Coronakrise haben sich die Bedingungen verändert. Ingo Speich, Vertreter der Deka, berichtet, wie die diesjährige Saison abgelaufen ist. Herr Speich, Sie fühlen den Unternehmen als Aktionärsvertreter auf den Zahn. Neben Gesprächen mit Vorständen und Aufsichtsräten treten Sie – in normalen Zeiten – bei Hauptversammlungen auf. Was hat sich durch die Coronakrise geändert in der deutschen Unternehmenslandschaft?Durch Covid-19 haben sich einige Trends beschleunigt. Unternehmen, die schon vorher unter Druck waren, sind noch mehr unter Druck geraten. Dazu zählen insbesondere die Zykliker. Ein klassischer Vertreter ist zum Beispiel Thyssenkrupp. Dazu zählen aber auch Unternehmen, die sich mitten in einer strukturellen Veränderung befinden, Stichwort Automobilhersteller. Auch Konzerne, die aggressiv gemanagt wurden, haben es schwer. Nehmen Sie Adidas mit ihrem großen Aktienrückkaufprogramm. Abgesehen davon, dass wir keine Freunde von Aktienrückkäufen sind: Für Adidas sind die Probleme durch Covid größer geworden, ich sage nur Staatshilfen. Dramatische Einbrüche bei den Zahlen, Strukturveränderungen, Staatshilfen. Was hat sich für Sie als Aktionär, als Assetmanager geändert?Es ist für uns schwieriger geworden, die veröffentlichten Daten zu analysieren und zu beurteilen, wie die Lage in den Unternehmen tatsächlich ist. Das betrifft zum Beispiel die Frage, wie aussagekräftig Gewinnerwartungen aktuell sind. Hinzu kommt das Risiko, dass Unternehmen unter Covid-19 Investoren einiges als Krisenthema verkauft haben, was damit nichts zu tun hat. Da müssen wir sehr aufpassen, dass die Unternehmensberichterstattung in dieser außergewöhnlichen Zeit sauber bleibt. Was wird denn so als Covid-Problem verpackt? Haben Sie ein Beispiel?Nach sehr guten Jahren sind die Unternehmen bereits vor der Pandemie in eine konjunkturell schwächere Phase eingetreten. Dann kamen Covid und die massiven Interventionen von Geld- und Fiskalpolitik. Da lässt die Visibilität zu wünschen übrig: Was ist konjunkturell, was ist Covid-bedingt, und was sind Altlasten – wir versuchen zwischen diesen Themen klar zu differenzieren. Kommen jetzt die strategischen Fehler von Unternehmen eher ans Tageslicht als zu Normalzeiten?Die Krise beschleunigt Transformationsprozesse etwa in der Autobranche. Um es ganz vereinfacht zu sagen: weg vom Verbrenner, hin zum Elektromotor. Die meisten Autohersteller sind aber strategisch falsch aufgestellt. Und beim Ruf nach Staatshilfen haben sich die Konzerne dann auch noch verkalkuliert. Statt Gießkannenprinzip gibt es eine punktuelle Förderung mitunter nach Nachhaltigkeitskriterien. Was ist Ihnen in der laufenden Hauptversammlungssaison besonders aufgefallen?Die erste virtuelle Hauptversammlung nach dem Covid-Gesetz war Bayer. Nach der desaströsen Hauptversammlung des letzten Jahres konnte Bayer mit Covid-Rückenwind recht geräuschlos die Kritik der Aktionäre hinnehmen. Eine Präsenzhauptversammlung hätte anders ausgesehen. Die Taktik, Bayer durch Monsanto krisenfester zu machen, ist bisher gescheitert. Das Beispiel zeigt, dass die Unternehmen die großen Gewinner der Covid-Gesetzgebung im Hinblick auf Hauptversammlungen sind. Aus Aktionärssicht ist die Saison dagegen negativ zu bewerten. Die Unternehmen haben sich von ihren Aktionären entfernt. Was ist an der virtuellen Hauptversammlung am ärgerlichsten?So wie die virtuelle HV im Covid-Gesetz geregelt ist, verliert die Veranstaltung aus Aktionärssicht ihren Sinn. Aus einer Austauschplattform ist eine lieblose Ein-Kanal-Kommunikation geworden. Da gibt es nur wenig Lichtblicke, etwa, dass die Deutsche Bank die Reden von Vorstand und Aufsichtsrat vorher auf ihre Webseite gestellt hat. Das sollte die Regel und nicht die Ausnahme sein. Online ist aber der Zug der Zeit. Sperren Sie sich dagegen?Ganz und gar nicht. Was gleichwohl nicht geht, ist, dass Aktionärsrechte massiv eingeschränkt werden. Nichts spricht gegen eine Online-Hauptversammlung, wenn alle Aktionärsrechte gewahrt bleiben. Die virtuellen Hauptversammlungen 2020 sehen aber anders aus, beispielsweise sind Anfechtungen praktisch nicht möglich sowie Auskunfts- und Antragsrechte massiv eingeschränkt. Rein technisch hätte man die Aktionärsrechte elektronisch umsetzen können. Warum hat man denn so eine Krücke geschaffen?Es musste angesichts des Lockdowns natürlich schnell gehen. Die Unternehmen haben die Krisensituation geschickt für sich genutzt. Warum ist eine normale Online-Hauptversammlung nicht bei allen Unternehmen in der Satzung gewesen?Viele Unternehmen haben das verschlafen. Daher musste dann das Bundesjustizministerium mit dem Covid-Gesetz einspringen. Sicher, in der Krise ist das in Ordnung – aber das darf keine Dauerlösung sein. Besteht die Gefahr?Wenn die Vorstandschefs von Eon und Allianz die virtuelle Covid-Hauptversammlung als ein tolles neues Format bezeichnen, dann schwant mir nichts Gutes. Aber damit entfernen sich die Vorstände und Aufsichtsräte von den Aktionären. Das kann fatale Folgen haben, denn die Diskussion und die Kritik wird sich andere Kanäle suchen. Das ist Gift für die Aktienkultur. Ob das langfristig im Sinne der Unternehmen ist, wage ich zu bezweifeln. Lässt sich diese Covid-Hauptversammlung einfach verlängern?Das Bundesjustizministerium kann die Ausnahmeregelung für das Geschäftsjahr 2020 verlängern. Besser wäre es aber, Unternehmen würden im nächsten Jahr eine normale Online- oder Präsenzhauptversammlung nutzen. Man hatte den Eindruck, dass durch die virtuelle Hauptversammlung die aktivistischen Aktionäre etwas weniger laut waren. Sehen Sie das auch so?In der Hochzeit von Corona war es ruhig, aber die Aktivisten kommen zurück. Aufgrund der jetzt stärkeren Krisenanfälligkeit der Unternehmen werden sie auch mehr Ziele finden. Wie durchschlagend aktivistische Strategien sein können, hat sich ja erst kürzlich bei der Commerzbank gezeigt. Würden Sie mit diesen Investoren zusammenarbeiten?Definitiv nein. Bei der Zusammenarbeit mit anderen Investoren ist für uns das Hauptargument die langfristige Perspektive. Die sehe ich bei den wenigsten Aktivisten. Wir haben ein anderes Zeitfenster. Und das Handwerkszeug, das die benutzen, das möchten wir nicht unbedingt anwenden – um es höflich zu formulieren. Was halten Sie generell von dieser Gruppe der Aktionäre?Aktivisten sind Kapitalmarktteilnehmer wie andere auch. Man sollte sie nicht verteufeln. Sie haben in Teilen ähnliche Kritikpunkte wie wir und sind meist hervorragend informiert. Weil Aktivisten stark auf Personalveränderungen setzen, kommt häufig eine Dynamik in den Kapitalmarkt. Die Kompetenz der Vorstände und die Unabhängigkeit der Aufsichtsräte ist auch für Sie ein Thema. Wünschen Sie sich hier weitere Regulierung oder noch detailliertere Vorgaben durch den Governance-Kodex?Nein, mehr Regulierung per se braucht man nicht. Das, was schon auf dem Papier steht, muss zuerst einmal nur konsequent umgesetzt werden. Die Unternehmen sollten sich an die Leitlinien halten, zu viele Abweichungserklärungen vom Kodex sind nicht der Sinn der Sache. Zur Frage des Personals: Man sieht immer noch starke Netzwerkstrukturen bei den Aufsichtsräten. Im Zweifel geht im Unternehmen Vertrauen vor Kompetenz. Lieber im Aufsichtsrat eine Person, die in Krisenzeiten eine sichere Bank ist, als ein Experte. Sollte man an der Stelle für den Aufsichtsrat nicht doch ein paar mehr Vorgaben machen?Wenn Sie an das englische System denken? Also dass immer ein erfahrener CEO und ein Branchenexperte im Board sein müssen? Nicht schlecht, aber das wäre ein Horror für deutsche Unternehmen, weil damit Netzwerkstrukturen erschwert würden. Eine Verkürzung der Amtszeit für Aufsichtsräte auf drei Jahre wäre hilfreich, das hatte der Kodex übrigens schon diskutiert. Klar ist aber: Wir brauchen mehr Fachkompetenz in den Aufsichtsräten. Es kann doch kein Automatismus sein, dass ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender Aufsichtsratsvorsitzender wird, obwohl das Kompetenzprofil nicht passt. Da haben Sie sicher Beispiele?An erster Stelle fällt mir Dieter Zetsche bei Daimler ein. Wir halten ihn nicht für geeignet, nächstes Jahr den Aufsichtsratsvorsitz zu übernehmen. Herr Zetsche hat massive Interessenkonflikte, unter anderem aufgrund offener Rechtsverfahren. Er müsste deshalb zu bestimmten Themen die Aufsichtsratssitzung verlassen. Das geht doch nicht, dass ein Aufsichtsratsvorsitzender in seiner Funktion eingeschränkt ist und nicht sauber aufklären kann. Außerdem ist es fraglich, ob Zetsche von der Kompetenz her der richtige Mann ist. Daimler erlebt wie alle Autokonzerne einen Strukturbruch, gefragt sind komplett neue Geschäftsmodelle und nicht die alte Verbrennerwelt. Das Thema Personen spielt bei Hauptversammlungen eine wichtige Rolle. Was ist Ihnen dazu noch aufgefallen?Den Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz bei Adidas sehen wir kritisch. Ein CEO von Bertelsmann hat sehr viel zu tun. Der Job ist mit dem Vorsitz beim Aufsichtsrat eines Dax-Konzerns nicht vereinbar. Es fragt sich auch, ob das Kompetenzprofil für Adidas passt. Ist dem mit dem Governance-Kodex nicht beizukommen?Nein, der Kodex kann nicht alles regeln. Die Aktionäre müssen schon selber intervenieren. Ohne den Kodex wären wir nicht so weit gekommen, aber der Weg ist für den Kodex und die Aktionäre noch lang. Bei Personen geht es auch ums Geld. Ist es vertretbar, dass Vorstandsgehälter stabil bleiben, wenn Unternehmen in der Coronakrise Menschen entlassen müssen?Wir haben durch die gestiegene Bedeutung der langfristigen Vergütungskomponenten und deren Berechnung die Situation, dass sich Krisen nicht so schnell in den Vergütungen niederschlagen. Die Aufsichtsräte haben außerdem leider immer weniger diskretionären Spielraum, um gegenzusteuern. Das wird Druck auf den einen oder anderen Aufsichtsrat auslösen, da es zu Spannungen nicht nur mit den Gewerkschaften, sondern auch gesellschaftlicher Art kommen wird. Was tut sich aus Governance-Sicht in Sachen Vergütung?Das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (Arug II) ist Sprengstoff in der nächsten Hauptversammlungssaison. Die Gesellschaften sind verpflichtet, ein Vergütungssystem zu formulieren, das der Hauptversammlung zur konsultativen Beschlussfassung vorzulegen ist. Das wird eine spannende Diskussion. Wie passt das zum Governance-Kodex?Kodex und Arug II sollen harmonieren. Änderungen bei der Vergütung, wie die Deckelung der Vorstandsvergütung, sind zu begrüßen. Das ist für Unternehmen eine Zeitenwende. Nur eine Hand voll Unternehmen hat das Thema Vergütung schon umgesetzt. Nächstes Jahr werden wir eine Flut von Vergütungsbeschlüssen bekommen. Also reicht es jetzt mit den Eingriffen beim Thema Vergütung?Das Vergütungsthema wird überbetont und ist überreguliert. Überreguliert?Der Vergütungsbericht ist heute schon viel zu lang, viel zu komplex. Wer wie wir global investiert, hat in den einzelnen Ländern unterschiedliche Vorschriften zu beachten. In der Praxis wird das nächstes Jahr ein Riesenaufwand. Die Vergütungsthematik wird ohnehin zu sehr stark betont. Würde die Zeit in Themen wie Kompetenzprofile und Besetzungsthemen gesteckt, wären wir ein gutes Stück weiter. Bleiben wir noch mal in der diesjährigen Saison. Welches Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Hauptversammlungen?Die Umwelt. Interessant dabei ist, dass das Thema bei uns Aktionären voll angekommen ist, aber noch nicht bei den Unternehmen. Die Offenlegungsverordnung zwingt uns, viele Daten und Informationen aus dem Bereich Nachhaltigkeit unseren Anlegern zur Verfügung zu stellen. Und diese werden wir im Zweifel bei den Unternehmen und auf der Hauptversammlung einfordern müssen. Warum dort?Weil die Reform des CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes, aus dem sich weitere Berichtspflichten für große Unternehmen ergeben, die zur Veröffentlichung einer nichtfinanziellen Erklärung verpflichtet sind, erst 2022 kommt. Auch der Verweis an die Unternehmen, im Zuge der EU-Taxonomie wenige Kennzahlen vorher offenzulegen, reicht nicht aus. Wir als Investoren müssen früher berichten und diese Lücke überbrücken. Genau das versuchen wir bei den Unternehmen und über die Hauptversammlung einzufordern. Und das geht nur mit Druck?Zum Teil leider schon. Noch ein Punkt dazu: Es geht nicht nur um Berichtspflichten, sondern auch darum, dass die Aufsichtsräte zu weit weg sind vom Thema Nachhaltigkeit. Das darf nicht sein. Es gibt eine nicht-finanzielle Erklärung, und ein Aufsichtsrat muss sich damit auseinandersetzen. Vom Kapitalmarkt wird in Sachen Nachhaltigkeit viel verlangt. Nachhaltigkeit ist in die Investmentprozesse integriert. Wir leben auch regulierungsbedingt in der Zukunft. Die Unternehmen in der Vergangenheit – wenn man es mal überspitzt formuliert. Das Interview führte Wolf Brandes.