Ukraine-Krieg

Energiepreis­schock trifft deutsche Industrie

Die stark gestiegenen Energiekosten und Lieferengpässe bereiten der Industrie immer größere Sorgen. Erste Werke in Deutschland stoppen nun die Produktion.

Energiepreis­schock trifft deutsche Industrie

cru Frankfurt – Der Energiepreisschock und Lieferengpässe nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine ziehen schon jetzt viele deutsche Unternehmen direkt in Mitleidenschaft. Die Logistikbranche schlägt angesichts rekordhoher Kraftstoffpreise Alarm. „Die Unternehmen sind wirklich verzweifelt“, sagte der Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), Dirk Engelhardt, am Donnerstag. „Deswegen fordern wir als Branche eine temporäre Unterstützung des Staates.“

Viele Spediteure würden derzeit gegen die Insolvenz anfahren, ihnen gehe wegen der Kostenexplosion die Liquidität aus. Zudem fehlen 100000 Lkw-Fahrer aus der Ukraine. Zur Entlastung schlägt der Verband die schnellstmögliche Einführung eines „Gewerbediesels“ vor. Dabei würde ein Preisnachlass in Form von Steuererleichterungen gewährt.

Auch die stark gestiegenen Stromkosten bereiten der energieintensiven Industrie immer größere Sorgen. Als eines der ersten Werke in Deutschland stoppen nun die Lech-Stahlwerke im bayerischen Meitingen mit 1000 Beschäftigten die stromintensive Stahlschmelze im Elektrolichtbogenofen. „Wir legen die Produktion tageweise still“, sagte ein Unternehmenssprecher am Donnerstag. Die Produktion sei „wirtschaftlich nicht sinnvoll“. Elektro-Stahlwerke, bei denen Schrott geschmolzen wird, verbrauchen deutlich mehr Strom als die klassischen Hochöfen, wo Eisenerz und Kokskohle zum Einsatz kommen.

Wegen des Krieges in der Ukraine mussten zuvor bereits mehrere deutsche Autobauer ihre Produktion drosseln, weil es ihnen an Kabelbäumen von ukrainischen Zulieferern mangelt. Erste Meldungen zu Produktionsausfällen und damit verbundener Kurzarbeit kamen bereits von einigen Kfz-Produzenten.

Auch darüber hinaus und zusätzlich zu dem alle Unternehmen betreffenden Energiepreisschock erwarten die Analysten von DB Research unmittelbare Auswirkungen auf deutsche Unternehmen: „Die globale Logistik ist betroffen“, konstatiert Analyst Stefan Schneider. „Durch die Sperrung des russischen Luftraums für europäische Fluggesellschaften verlängern sich die Routen nach Japan, Korea und in andere Länder in Südostasien.“ Frachtflugzeuge müssten ihre Beladung um etwa ein Fünftel reduzieren.

Lieferketten gefährdet

Ein großer Teil des deutschen Lkw-Frachtverkehrs wird von unter anderem osteuropäischen Speditionen abgewickelt, die laut Verband BGL in Summe rund 100000 ukrainische Fahrer beschäftigen. „Diese dürfen ihr Land derzeit nicht verlassen“, so Schneider. „Logistikunternehmen befürchten, der ohnehin schon problematische Mangel an Fahrern könnte sich so verschärfen, dass Lieferketten zusammenbrechen.“ Vor diesem Hintergrund habe DB Research die Prognose für die Industrieproduktion in diesem Jahr von 5% auf 3% gesenkt – und das, obwohl die Auftragsbestände ein Rekordniveau erreicht hätten. Bei vorübergehenden Unterbrechungen der Lieferung von Öl und Gas aus Russland könnten weitere Bereiche direkt in Mitleidenschaft gezogen werden. „In einigen Sektoren, zum Beispiel bei Grundchemikalien, könnte die Produktion beeinträchtigt werden, weil Gas rationiert werden muss.“ Zu diesen Sektoren zählen neben anderen die Düngemittel- oder Kunststoffindustrie mit Unternehmen wie BASF oder Covestro.

Gemessen anhand des „Shanghai Containerized Freight Index“ (SCFI) sind die Frachtraten laut DB Research seit Februar 2020 um rund 450% angestiegen. Vor diesem Hintergrund beklagen mittlerweile einige Importeure, dass die Stückkosten für den Warentransport in manchen Fällen sogar höher als der Wert der verschifften Ware selbst seien. Einige Logistikunternehmen haben angekündigt, Transportkapazitäten von und nach Russland auf Eis zu legen.

Nach Daten des Statistischen Bundesamtes stiegen die Erzeugerpreise in der Landwirtschaft im Dezember 2021 mit 22% gegenüber Vorjahr so stark wie seit 2011 nicht mehr. Dabei erhöhten sich die Preise für pflanzliche Produkte (+29%) im Zuge der gestiegenen Getreidepreise (+41%) besonders stark. Die höheren Getreidepreise, die im Zuge des Krieges in der Ukraine noch erheblich weiter steigen könnten, weil Russland und die Ukraine 30% des weltweit gehandelten Weizens produzieren, dürften sich somit auch bald in höheren Preisen für Backwaren zeigen.

Ein physischer Engpass bei der Gasversorgung im Falle geringerer Gaseinfuhren aus Russland würde laut DB Research die energieintensiven Industrien Chemie, Metallerzeugung und Baustoffe am stärksten treffen. Bei Metallen und anderen Zwischenprodukten wie Holz könnte der Krieg in der Ukraine die Unterbrechung der Lieferketten verlängern und verschärfen. Einige deutsche Automobilhersteller haben bereits angekündigt, dass die Produktion in einigen europäischen Fabriken für einige Zeit geschlossen werden muss, weil es an in der Ukraine hergestellten Produkten für die Autozulieferer mangelt.

Vorleistungsgüter knapp

Viele Vorleistungsgüter bleiben laut DB Research im ersten Halbjahr 2022 knapp, nicht zuletzt aufgrund des Krieges in der Ukraine, der zu Unterbrechungen der Handelsströme führt. Das gilt etwa bei Lieferungen von China nach Europa über die „Neue Seidenstraße“. In einigen Fällen, etwa bei Halbleitern, könnten die Engpässe sogar noch länger andauern. Jüngste Ifo-Erhebungen zeigten zudem, dass das Schlimmste in Bezug auf Lieferengpässe möglicherweise noch nicht überstanden ist. Schon im Februar stieg der Anteil der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, die unter Engpässen bei Vorleistungsgütern leiden, auf 75%, nach 67% im Januar.

„Wir sehen auch, dass die kleinen und mittleren energieintensiven Unternehmen ihre Klagen über höhere Energiekosten verschärfen. Dieses Thema wird uns im kommenden Jahrzehnt begleiten“, prognostiziert DB-Research-Analyst Eric Heymann. Ungeachtet der unsicheren Gasversorgung erkenne die Ampel-Koalition aber an, dass neue Gaskraftwerke notwendig sind, die auch mit Wasserstoff betrieben werden können. Die Analysten vom DB-Aktien-Research schätzen, dass bis 2030 mindestens 25 Gigawatt neue Gaskraftwerkskapazität notwendig sind (Bestand 2020: 30 Gigawatt).

Nach Angaben des Ölkonzerns BP machte Flüssiggas (LNG) 2020 etwa 35% der gesamten europäischen Gasimporte aus. Ein Ausbau der LNG-Infrastruktur in Deutschland und anderen EU-Ländern könnte zur Diversifizierung der Versorgung führen und würde die Gasimporte aus anderen Ländern als Russland stärken. Dieser Prozess werde natürlich einige Zeit in Anspruch nehmen, aber LNG werde an Bedeutung gewinnen, erwartet DB Research.

Die LNG-Exporte der USA waren 2020 bereits mehr als 60-mal höher als 2015. Die gesamten LNG-Exporte der USA entsprechen bereits etwa 25% der gesamten russischen Gasexporte. Länder mit reichen Gasreserven wie Katar investieren in die Infrastruktur für den LNG-Export, da Gas im Energiesektor Kohle ersetzen kann. Weltweit werde die Nachfrage nach LNG wahrscheinlich schneller wachsen als das Angebot, erwartet DB Research.

Die Bundesregierung will ein Gesetz einführen, das zu Beginn des Winters höhere Füllstände der nationalen Gasspeicherkapazitäten festlegt. Deutschland verfügt laut DB Research über Gasspeicherkapazitäten von 24 Mrd. Kubikmeter. Dies entspricht etwa 950 Petajoule Gasspeicherkapazität oder 25 bis 30% des jährlichen Erdgasverbrauchs. Deutschland könnte also mit seinen Speichern die Gasversorgung für einige Monate sicherstellen, wenn sie voll gefüllt wären. Allerdings waren die Speicher zu Beginn der Heizperiode 2021/22 leerer als üblich und befinden sich noch immer auf einem niedrigen Niveau (30%).

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