ESG-Reporting sollte nicht in der Schublade landen
ESG-Reporting sollte nicht in der Schublade landen
Fehlende Umsetzung der Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichte verunsichert deutsche Unternehmen − Freiwillige Veröffentlichung empfohlen
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Die Umsetzung der europäischen Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD verschiebt sich in Deutschland nach dem Ampel-Aus vermutlich um ein Jahr. Die Unternehmen sollten die Vorbereitungen für das ESG-Reporting dennoch nicht schleifen lassen. Die Stakeholder halten den Druck aufrecht.
Seit dem Ende der Ampel-Koalition herrscht in der Unternehmenswelt Verunsicherung, wie es mit der Regulierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung weitergehen wird. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) hätte auch in Deutschland nach EU-Vorgaben bis zum 6. Juli 2024 umgesetzt werden müssen. In Berlin war Ende Juli ein Regierungsentwurf vorgelegt worden, im Oktober gelang noch die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages. Der für 8. November geplanten Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag kam zwei Tage zuvor der Bruch der Regierungskoalition dazwischen.
Die Uhr tickt
Die Umsetzung der CSRD in deutsches Recht wird nun nach der Neuwahl des Bundestages am 23. Februar im Laufe des Jahres 2025 erwartet. Die EU-Kommission hat bereits im September 2024 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, das schlimmstenfalls vor dem Europäischen Gerichtshof landen könnte. Bei aller Verunsicherung wird aber nicht davon ausgegangen, dass sich die Umsetzung in Deutschland um mehr als ein Jahr verschieben wird, zumal die CSRD-Richtlinie nach einer Analyse der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY bis 2. Dezember in 18 Mitgliedsstaaten umgesetzt wurde, sechs Länder haben wie Deutschland ein Umsetzungsgesetz vorgestellt.
Stakeholder wollen nicht warten
Auch wenn nun hierzulande erstmal wieder die bislang geltenden Regelungen zur sogenannten nicht-finanziellen Berichterstattung gelten und den Rahmen für Erläuterungen zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen vorgeben, sollten die Verantwortlichen in den Finanzressorts die Anstrengungen zum ESG-Reporting nach den EU-Vorgaben nicht schleifen lassen. „Wir raten Unternehmen, sich ungeachtet der Verzögerung beim CSRD-Umsetzungsgesetz frühzeitig mit den europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards auseinanderzusetzen, auch wenn deren Anwendung noch nicht gesetzlich verpflichtend ist", sagt Melanie Sack, Vorstandssprecherin des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW). Die Umsetzung der CSRD sei nur verschoben. „Viele Stakeholder, insbesondere Kreditinstitute, erwarten von den Unternehmen auch schon jetzt eine transparente Nachhaltigkeitsberichterstattung“, mahnt Sack.
Auch wenn die Regulierung national noch nicht scharf geschaltet ist, dürfen Unternehmen freiwillig einen vollständigen Nachhaltigkeitsbericht nach den EU-Standards ESRS vorlegen. Die Gesellschaften können diesen auch prüfen lassen. Damit können sie nicht nur ihre Investoren informieren, sondern auch ihre ausländischen Tochtergesellschaften von Berichtspflichten befreien. „Wenn kein zentraler freiwilliger CSRD-Bericht erstellt wird, müssten die betreffenden Tochterunternehmen in denjenigen Ländern, in denen die CSRD bereits umgesetzt wurde, jedenfalls selbst einen Bericht erstellen, sofern diese in den Anwendungsbereich fallen“, erklärt Mansur Pour Rafsendjani, Partner der Kanzlei Noerr.
Projekte laufen weiter
Aus dem Kreis der sehr großen Unternehmen, die als erste schon für 2024 in der Pflicht gewesen wären, ist denn auch zu hören, dass der Großteil die Projekte der Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht gestoppt hat. Es dürfte sie dann auch wenig daran hindern, diese Konvolute zu veröffentlichen.
Auch wenn sich große Konzerne zumeist − zähneknirschend − mit den CSRD-Regeln abgefunden haben, sind Verbände und Politik bestrebt, den Umfang der Regulierung nochmal grundsätzlich in Frage zu stellen. Jüngst haben vier Minister der noch amtierenden Regierung in einem Brandbrief nach Brüssel bekräftigt, es sei eine deutliche Reduzierung notwendig, um unnötige Belastungen für die Unternehmen zu vermeiden.
Welle an Anfragen
Auch in der Wirtschaftsprüferszene wird betont, der Bedarf an zusätzlicher Guidance zur Anwendung der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) sei sehr hoch − trotz der Ende Mai veröffentlichten Hilfestellung zur Implementierung. Das von der EU eingesetzte Rechnungslegungsgremium Efrag arbeite deshalb an weiteren Anleitungen und habe einen Frage-/Antwort-Prozess aufgesetzt, der rege genutzt werde: Bis Anfang Dezember 2024 seien mehr als 750 Anfragen eingegangen. Auch das Institut der Wirtschaftsprüfer gibt Hilfestellung mit einem Fragen- und Antworten-Papier, das die Folgen der fehlenden CSRD-Umsetzung erörtert.
Botschaft angekommen
Die Botschaft ist in Brüssel angekommen. Im Anschluss an das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit der EU-Kommission am 8. November 2024 in Budapest wurde die Budapester-Erklärung zum „Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit“ veröffentlicht. Darin kündigt die EU-Kommission u.a. an, die Berichtspflichten deutlich verringern zu wollen − als Ziel werden mindestens 25% genannt, umzusetzen in der ersten Hälfte 2025. Zudem sollen insbesondere kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) entlastet werden.
Brüssel reagiert
Im Zuge der Entschlackung will die EU auch redundante und sich überschneidende Berichtspflichten aus CSRD, Lieferkettengesetz sowie Taxonomie bereinigen. Am Ende ist vorgesehen, die bestehenden und künftigen europäischen ESG-Berichtspflichten in einer „Omnibus“-Verordnung zusammenzufassen. Dabei will Brüssel die gesetzlichen Vorschriften indes inhaltlich erhalten.
Mit Blick auf weitere Standards, etwa sektorspezifische Vorgaben für Nachhaltigkeitsberichte, fährt das EU-Rechnungslegungsgremium Efrag angesichts der aufgeregten Diskussionen derzeit mit angezogener Handbremse. Gleichwohl hat der EU-Standardsetzer unlängst den „Freiwilligen Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung für nicht börsennotierte KMU“ (Voluntary Sustainability Reporting Standard for non-listed SMEs, VSME-Standard) herausgegeben.
Auch kleine Firmen gefordert
Der VSME-Standard soll Firmen, die nicht in den Anwendungsbereich der CSRD fallen, ein einheitliches Rüstzeug für das ESG-Reporting an die Hand geben. Denn auch dieser Kreis wird bislang mit zahlreichen, allerdings weitgehend unkoordinierten Fragebögen und ESG-Datenanfragen konfrontiert − von Kreditgebern, Kunden und anderen Geschäftspartnern. Auch hier gilt für das Reporting: Freiwillige vor!