EU-Nachhaltigkeitsregeln als Marketinginstrument
EU-Nachhaltigkeitsberichte als Marketinginstrument
Asiatische Konzerne nutzen freiwillig ESG-Reporting nach europäischen CSRD-Vorgaben zur Differenzierung im Wettbewerb
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in Deutschland dürfte sich nach dem Bruch der Ampel-Koalition hinziehen − vermutlich um ein Jahr. Ausländische Konzerne aus Drittstaaten dagegen nutzen deutlich früher als verlangt freiwillig ESG-Reporting nach EU-Vorgaben als Marketinginstrument.
EU-weit sind Tausende Unternehmen in den Mitgliedsstaaten dabei, die neuen Regularien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung umzusetzen. Die Regeln aus der Anfang 2023 in Kraft getretenen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) greifen gestaffelt nach Firmengröße. Die ersten großen börsennotierten Unternehmen müssen 2025 für das Geschäftsjahr 2024 Nachhaltigkeitsberichte nach den neuen EU-Standards vorlegen – in Deutschland betrifft dies nach Schätzungen des Deutschen Nachhaltigkeits Kodex rund 550 Unternehmen. Bis 2027 kommen sukzessive kleinere gelistete Gesellschaften hinzu – in Summe etwa 15.000 im deutschen Markt.
In der Warteschleife
In Deutschland, wie auch in vielen anderen europäischen Ländern, ist die CSRD-Richtlinie noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden. Die EU-Kommission hat 17 Vertragsverletzungsverfahren gegen säumige Länder eingeleitet − Stichtag wäre der 6. Juli 2024 gewesen. Mit dem Bruch der Ampel-Koalition steht in den Sternen, ob sich das Gesetzgebungsverfahren vor der Bundestagswahl noch abschließen lässt. Der nach dem Ampel-Aus als Justizminister eingesetzte Volker Wissing hat sich laut einer Pressemeldung des Bundestags dafür ausgesprochen, das Gesetzgebungsvorhaben zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsberichterstattung noch zeitnah abzuschließen.
Wirtschaftsprüfer und Juristen weisen darauf hin, dass sich die Umsetzung allenfalls verschieben wird − vermutlich um ein Jahr. Es werde aktuell diskutiert, ob Unternehmen freiwillig einen vollständigen Bericht nach den CSRD-Vorgaben erstellen sollten und diesen auch prüfen lassen, erläutert Mansur Pour Rafsendjani, Partner der Kanzlei Noerr. In dieser Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass einige EU-Länder, darunter Frankreich und Italien, die CSRD bereits umgesetzt haben. Tochterunternehmen deutscher Konzerne in diesen Ländern müssten somit sowieso einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen, sofern sie in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, gibt Pour Rafsendjani zu bedenken.
Die Kanzlei weist auch darauf hin, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Reaktion auf anhaltende Beschwerden über Überregulierung angekündigt hat, die Regelungen der CSRD zu verschlanken, ohne jedoch die grundsätzlichen Pflichten aufzuheben. Es werde somit möglicherweise einfacher, Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen, die Unternehmen werden aber auch künftig zum ESG-Reporting verpflichtet sein, mahnt Noerr-Anwalt Pour Rafsendjani
Drittstaaten-Firmen in der Pflicht
Noch wenig beleuchtet wird, wie Unternehmen außerhalb der EU von der CSRD betroffen sind und wie sie sich vorbereiten. Nach den EU-Vorgaben trifft es von 2029 an für den 2028er Abschluss die Nicht-EU-Unternehmen, sofern ihr Geschäft in den Mitgliedsstaaten ein gewisses Mindestmaß erreicht. Berichtspflichtig werden Mutterkonzerne aus Drittstaaten, sofern sie EU-weit einen Nettoumsatz von 150 Mill. Euro zeigen. Dabei muss das EU-Geschäft nicht zwangsläufig über eine EU-Tochtergesellschaft laufen, die Regulierung greift auch, wenn eine Zweigniederlassung in der EU mehr als 40 Mill. Euro erzielt. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung läuft mit Mindestanforderungen auf Gruppenebene.
Mit Ausweitung des ESG-Reporting auf Drittstaaten will Brüssel sicherstellen, dass für alle im Binnenmarkt aktiven Firmen die gleichen Wettbewerbsbedingungen gelten. Brüssel lässt somit bewusst das CSRD-Regelwerk in andere Rechtsräume ausstrahlen – das ist erklärtes Ziel des Green Deals der EU. Drittstaatenunternehmen müssen die Vorgaben erfüllen, um den Zugang zum Binnenmarkt und zu EU-Kapitalmärkten zu sichern. Schätzungen zufolge sind mehr als 10.000 Firmen von den Drittstaatenregelungen zu Nachhaltigkeitsberichten betroffen.
Proaktiv in Richtung EU
Drittstaatenunternehmen gehen nach Einschätzung von Beratern durchaus proaktiv in Richtung EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung und setzen das ESG-Reporting gezielt als Marketinginstrument ein. Maximilian Tucher, Partner und Nachhaltigkeitsexperte der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte, berichtet über positive Resonanz bei japanischen und koreanischen Unternehmen. „Konzerne mit größerem Footprint bei Umsatz und Beschäftigten in der EU machen sich Gedanken, wie sie die CSRD-Anforderungen erfüllen können“, sagt Tucher, der das Thema Nachhaltigkeit im Bereich Financial Advisory von Deloitte leitet.
Aus Sicht von Tucher verfolgen viele in der EU aktive Drittstaatenunternehmen die gleichen Ziele wie die in den Mitgliedsstaaten ansässigen Emittenten. „Innerhalb der EU gibt es ein gewisses gemeinsames Verständnis über Nachhaltigkeit als solches. Unternehmen haben für sich entdeckt, dass ESG ein absoluter Differenzierungsfaktor am Markt gegenüber Kunden, aber auch in der Mitarbeiterbindung sein kann“, sagt Tucher. Dementsprechend herrsche in dem Thema in der EU „ein sehr positives Momentum“. Es werde viel in nachhaltige Geschäfte investiert. „Die einheitliche Nachhaltigkeitsberichterstattung wurde in der EU zumeist positiv aufgenommen − insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Vielzahl an Regulatorik über die European Sustainability Reporting Standards vereinheitlicht wurde.“
Außerhalb der EU ist das Bild sicherlich noch etwa diverser, räumt der Berater ein: „Gerade wenn man in die USA schaut. Da genießt das Thema Nachhaltigkeit noch einen anderen Blick. Wenn das Thema der Berichtspflicht virulent wird, könnte in bestimmten Ländern noch die eine oder andere Hürde zu nehmen sein.“
EU in „führender“ Rolle
Grundsätzlich habe die EU weltweit mit der CSRD eine „führende Rolle“ übernommen, meint Tucher. Es gebe sicherlich hier und da noch Unschärfen in den Berichtsstandards, in einigen Punkten müsse nachjustiert werden, u.a. bei Sektorstandards. Doch die Grundsatzfrage sei klar: „Egal wie man in den USA über Nachhaltigkeit denkt, in Europa will man nicht wieder zurück“, resümiert Tucher.
In Korea und Japan ist der Berater auf Unternehmen getroffen, die dem Thema Nachhaltigkeit sehr aufgeschlossen begegneten. „Manches Unternehmen ist bestrebt, als erstes freiwillig einen Nachhaltigkeitsbericht nach EU-Regeln zu implementieren und sich damit im Markt positiv von seinen Wettbewerbern abzuheben, obwohl die Offenlegungspflicht für Unternehmen aus Drittstaaten voraussichtlich erst ab 2028 greift.“
„Das schafft Klarheit“
Tucher nennt einen japanischen Kunden, den er dabei unterstütze, die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf europäischer Ebene zu implementieren, genau so wie das Thema EU-Taxonomie. Der Konzern sei in vielen EU-Mitgliedsstaaten aktiv. „Den japanischen Eigentümer hat der Ehrgeiz gepackt. Er möchte beim Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung auch außerhalb der EU der Frontrunner sein.“ Das ziele auf andere asiatische Länder, aber auch auf die USA, obwohl das Thema für das japanische Unternehmen relativ aufwändig umzusetzen sei. „Das ist für mich ein positives Beispiel, dass abseits der Kritik an der ganzen Regulatorik das ganze Thema auch sehr positive Auswirkungen haben kann“, meint er.
Der Berater geht davon aus, dass die CSRD-Pflichten ausländische Unternehmen nicht von Investitionen in Europa abhalten. „Klar, es ist Aufwand. Aber es ist nicht so aufwendig, dass der europäische Markt nur wegen der ESG-Berichtspflichten für ausländische Konzerne nicht mehr attraktiv ist“. Mit Taxonomie, CSRD und europäischem Lieferkettengesetz gebe es zwar viel Regulatorik, sie sorge aber für einen einheitlichen Rahmen „Das schafft Klarheit. Diese Einschätzung teilen viele Unternehmen“, sagt Tucher.