Evergrande zieht erneut Kopf aus der Schlinge
nh Schanghai
Chinas führender Wohnimmobilienentwickler China Evergrande Group ist erneut zum Tagesgespräch an der Hongkonger Börse geworden. Die exorbitant hoch verschuldete Gesellschaft ist in China längst eine Art Symbol für die Gratwanderung in Sachen Leverage heimischer Immobilienentwickler geworden und hält Anleger mit akrobatischen Refinanzierungsmanövern immer wieder in Atem.
Am Montag kam es zu einem besonderen wilden Ritt an der Hongkonger Börse. Im Morgenhandel brach die seit Wochen unter Abverkaufsdruck stehende Aktie erneut kräftig ein und fiel zunächst auf ein Vierjahrestief. Dann allerdings kam die Nachricht von einem neuen Engagement eines mit Evergrande-Gründer und -Chef Hui Ka Yan befreundeten chinesischen Investors. Damit konnte die Abwärtsspirale durchbrochen werden und die Aktie schoss wieder in die Höhe, um bis zum Schlussgong in Hongkong mit einem strammen Tagesgewinn von 9% aus dem Rennen zu gehen.
Bei zuletzt 10,8 HK-Dollar liegt die Evergrande-Aktie allerdings immer noch gut 40% unter dem Niveau zu Jahresbeginn und hat seit einem Allzeithoch Anfang Juli 2020 sogar knapp zwei Drittel ihres Wertes eingebüßt. Dennoch rechnen Analysten nun mit einer Stabilisierung, nachdem die bei Evergrande stark präsenten Shortseller (Leerverkäufer) am Montag eine empfindliche Schlappe erlitten haben und sich möglicherweise gezwungen sehen werden die Spekulationsattacke auf fallende Kurse vorerst abzublasen. Da sich der Free Float der Evergrande-Aktie relativ gering und der Handel entsprechend wenig liquide darstellt, ist Evergrande tendenziell hohen Kursschwankungen ausgesetzt und lockt Leerverkäufer an. Es handelt sich allerdings um ein besonderes riskantes Spiel. Denn aufgrund des geringen Umlaufs und entsprechend knapper Wertpapierleihemöglichkeiten ist es schwierig, Short-Positionen abzusichern, wenn der Kurs wieder anzuziehen droht.
Entscheidend für das neuerliche Aufbäumen der Aktie war eine Mitteilung vom Montag, der zufolge Evergrande eine 30-Prozent-Beteiligung an der zum Konzernkreis gehörenden Caixion Group, einem Projektentwickler in der Großstadt Hangzhou, an die Investmentgesellschaft Shenzhen Huajian abtreten wird. Mit diesem Schritt kommt es für sich genommen zu einer Schuldenentlastung im Ausmaß von rund 2,6 Mrd. Yuan. Auch wenn es sich mit Blick auf die gewaltige Konzernverschuldung von Evergrande (siehe Grafik) nur um einen winzigen Befreiungsschritt handelt, scheinen die Anleger dem Deal große Bedeutung beizumessen.
Zuverlässiger Beistand
Hinter Shenzhen Huajian nämlich steht der chinesische Investor und Milliardär Wang Zhongming, der bereits in der Vergangenheit in für Evergrande kritischen Marktphasen mit Engagements bei einzelnen Evergrande-Einheiten eingesprungen war. Wangs Gesellschaft beispielsweise hatte in den vergangenen Jahren einige immobilienfremde Aktivitäten von Evergrande übernommen, darunter ein Mineralwasser- sowie ein Speiseöl- und Ölsaatengeschäft.
Der Beistand von externen Investoren unterstreicht die Sichtweise, dass Hui noch einige Pfeile im Köcher hat, um auch mögliche künftige Shortselling-Attacken zu überstehen. In den Wochen zuvor hatte Evergrande mit allerdings gemischtem Erfolg über verschiedene Aktienrückkaufsprogramme versucht, das Kursklima positiv zu beeinflussen. Für Analysten stellt sich nun die Frage, inwiefern Evergrande Bereitschaft zeigt, sich von Randaktivitäten zu trennen, um frische Mittel zur Aufrechterhaltung des Schuldendienstes zu generieren. Bereits am kommenden Montag ist eine Tilgung für einen 1,5 Mrd. schweren Offshore-Dollarbond fällig.
Tatsächlich weist Evergrande noch einige Aktiva auf, die im Markt auf Interesse stoßen könnten. Dazu gehören das Tourismusimmobiliengeschäft, eine kürzlich separat an die Hongkonger Börse gebrachte Gebäudemanagement-Einheit, die Online-Immobilienplattform Fangchebao und im Extremfall auch der von Evergrande aufgezogene Elektroautobauer Evergrande NEV. Dieser weist aufgrund der Kursfantasie für E-Mobilitäts-Projekte für sich genommen einen deutlich höheren Börsenmarktwert als die Mutter selber auf.