Finanzinvestoren berauschen sich an Cannabis
Christoph Ruhkamp, Frankfurt
Der Kekshersteller Bahlsen versprach einen „Sommerrausch der Extraklasse“, als er 2019 seinen Schokoriegel mit Hanfsamen einführte. Auch etliche andere Lebensmittel- und Getränkehersteller sind auf den Zug zum Cannabis als „Superfood“ aufgesprungen. Aber schon bald darauf ebbte die Welle wieder ab, weil unklar war, ob Cannabis überhaupt jenseits medizinischer Anwendungen in Lebensmitteln enthalten sein darf.
Das ändert sich jetzt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom November 2020: „Die EU-Kommission wird aller Voraussicht nach sehr bald die Verwendung des Cannabis-Wirkstoffs CBD für Lebensmittel freigeben, weil er nicht zu den Sucht- oder Betäubungsmitteln gehört“, sagte Cannabis-Experte Gunnar Sachs von Clifford Chance der Börsen-Zeitung. Die internationale Anwaltskanzlei erhält derzeit zahlreiche Anfragen großer Unternehmen und sogar von finanzierenden Banken, die sich nach den regulatorischen Aspekten erkundigen und wissen wollen, was erlaubt ist und was nicht – zum Beispiel in der Zahlungsabwicklung für Cannabis-Käufe. „Auch Finanzinvestoren warten bereits auf die Freigabe dieses Milliardenmarkts“, ergänzt Clifford-Chance-Partner Anselm Raddatz, der in der Kanzlei das Geschäft mit den Private-Equity-Kunden verantwortet.
In Kanada längst liberal
In Kanada und etlichen US-Bundesstaaten ist die Verwendung von Cannabis längst legalisiert, und es gibt etliche börsennotierte Unternehmen aus dem Geschäftsfeld. Dass es sich bei Cannabis in Lebensmitteln und Kosmetika auch in Europa schon bald um ein lukratives Geschäft handeln wird, ist spätestens klar, seit der größte Cannabis-Händler Curaleaf aus Massachusetts im März für mehr als 300 Mill. Dollar den europäischen Cannabis-Züchter Emmac Life Sciences übernommen hat.
Im ersten Quartal 2021 nahmen Cannabis-Unternehmen laut der auf Cannabis spezialisierten Finanzberatung Viridian mehr als 4 Mrd. Dollar an Eigen- und Fremdkapital auf – doppelt so viel wie im Vorjahr. Laut Analysehaus BDSA überstiegen die legalen Marihuana-Verkäufe im Jahr 2020 den Wert von 21 Mrd. Dollar.
Nach Zahlen, die die in Washington ansässige Forschungsgruppe New Frontier Data zusammengestellt hat, liegt die Nachfrage nach Cannabis weltweit bei etwa 344 Mrd. Dollar liegt, von denen derzeit nur 15 Mrd. Dollar legal und reguliert sind.
In Deutschland hat die ProSiebenSat.1 Media SE über die Investmenttochter Seven Ventures einen Millionenbetrag in das Berliner Cannabis-Unternehmen Sanity Group investiert. Sie gesellt sich damit zu anderen prominenten Unterstützern der Firma wie Fußballer Mario Götze oder Musikproduzent „William“. Bei dem von Fabian Friede und Finn Hänsel gegründeten Unternehmen steht das gesundheitliche Potenzial von Cannabinoiden im Fokus. Weitere deutsche Cannabis-Firmen sind Demecan, Cansativa und Farmako.
Zwar ist der Cannabis in Deutschland zu medizinischen Zwecken inzwischen seit 2017 legal. Aber jeder, der Cannabis in der Bundesrepublik anbauen möchte, muss eine Lizenz bei der Cannabisagentur des Bundes beantragen. „Wer eine solche Lizenz innehat, kann damit in Zukunft sehr viel Geld verdienen“, sagt Clifford-Chance-Experte Sachs voraus.
„Wir schätzen, dass der gesamte europäische Cannabismarkt (ohne CBD für Wellness-Zwecke) im Jahr 2024 ein Volumen von 2,8 Mrd. Euro erreichen wird, gegenüber rund 300 Mill. Euro im Jahr 2021“, sagt Luc Springinsfeld von der Investmentbank Bryan Garnier. Dies liege leicht über den Prognosen von Prohibition Partners in der neuesten Ausgabe ihres europäischen Cannabis-Reports.
Die Hauptakteure in Europa sind laut Springinsfeld das niederländische Unternehmen Bedrocan, der größte Anbieter von medizinischen Cannabisblüten in Europa sowie das britische Pharmaunternehmen GW Pharma, von Jazz Pharmaceuticals kürzlich für 7,2 Mrd. Dollar übernommen und Anbieter des ersten und einzigen von der Behörde von der FDA zugelassenen verschreibungspflichtigen Cannabidiol-Medikaments, und Emmac Life Science – ein paneuropäischer vertikal integrierter Cannabis-Konzern, der gerade von Curaleaf für rund 300 Mill. Dollar übernommen wurde. Neben großen Spezialitäten-Pharmafirmen seien in letzter Zeit Boiron, Ethypharma, Stada und Neuraxpharm in das Geschäftsfeld eingestiegen.
Abseits der Börse
Bislang haben europäische Cannabisunternehmen laut Springinsfeld fast alle Kapital auf den privaten Märkten anstatt an der Börse aufgenommen. Frühe Investoren in Cannabisunternehmen waren meist Business Angels, wohlhabende Privatpersonen und Family Offices. Eine begrenzte Anzahl von Venture-Capital-Firmen habe in Start-ups investiert, die im Bereich medizinisches Cannabis oder CBD tätig sind. Zu nennen seien hier unter anderem Cherry, Btov, Atlantic Food Labs und Balderton.
Private Equity neu dabei
„Traditionelle Private-Equity-Firmen, die Wachstumskapital zur Verfügung stellen oder Buy-out-Transaktionen durchführen, haben bisher keine große Rolle gespielt, weil nur sehr wenige größere Ziele zur Verfügung standen und vielen Finanzinvestoren untersagt war, in cannabisbezogene Unternehmen zu investieren“, erklärt Springinsfeld. „Dies wird sich ändern, da der Markt wächst, die Unternehmen größer werden und neue Fonds, die aufgelegt werden, nicht alle die genannten Einschränkungen haben.“
Einige rein auf Cannabis fokussierte Fonds würden in Europa aufgelegt – von Chrystal Capital in Großbritannien, Leafy Tunnel in Großbritannien, Oskare Capital in Frankreich oder Enexis in Schweden, mit jeweils ganz unterschiedlichen Ansätzen.