Gerichte kippen ein Fünftel aller EU-Beihilfebeschlüsse
Wettbewerbshüter verlieren oft vor Gericht
EU-Richter kippen ein Fünftel aller angefochtenen Entscheidungen zu unlauterer Staatshilfe
fed Frankfurt
Der Europäische Gerichtshof kassiert regelmäßig eine nicht unerhebliche Zahl von Entscheidungen von Europas obersten Wettbewerbshütern ein. Jede neunte kartellrechtliche (Antitrust und Fusionen) und jeder fünfte beihilferechtliche Beschluss der EU-Kommission, der vor die Luxemburger Gerichte getragen wird, erweist sich als nicht gerichtsfest.
„Interne Statistiken zeigen, dass die EU-Kommission zwischen 2014 und 2023 in rund 89% der Kartell- und Fusionssachen und in rund 80% der Beihilfesachen ganz oder teilweise erfolgreich war“, antwortet die scheidende EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in einem Schreiben, das der Börsen-Zeitung vorliegt, auf eine Frage des CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber. Vestager übersetzt die Anteile auch in nominale Zahlen: „Im Bereich Kartellrecht und Fusionen hat die EU-Kommission in diesem Zeitraum in 456 von 516 Fällen ganz oder teilweise gewonnen.“ Bei den staatlichen Beihilfen seien es 706 von 879 Fälle gewesen.
Unbeschadet der Zahlen zeigt der Blick auf die Urteile, dass vor allem in Sachen aggressive Steuervermeidung das Bild gemischt ausfällt: Mehrere Entscheidungen gegen von den EU-Wettbewerbshütern beanstandete „Steuervorbescheide“, also gegen aus Unternehmenssicht lukrative Steuerdeals mit Finanzbehörden, hatten vor Bericht keinen Bestand, etwa im Fall von Fiat in Luxemburg oder Starbucks in den Niederlanden. Und auch die Brüsseler Vorwürfe wegen Marktmissbrauchs im Fall Google Adsense wurden von den Luxemburger Richtern später für nichtig erklärt.
Andererseits wurden die zwei wohl wichtigsten Entscheidungen in der Amtszeit von Vestager Anfang September abschließend vom EU-Gerichtshof bestätigt, nämlich die 2,4-Mrd.-Euro-Strafe gegen Google wegen Bevorzugung eigener Preisvergleichsdienste und die 13-Mrd.-Euro-Rückzahlaufforderung an Apple wegen des Steuervorbescheids in Irland.
Unterschiedliche Bewertungen
„Ich persönlich bin mit diesen Zahlen sehr zufrieden“, schreibt Vestager in ihrer Antwort. Die Rechtsfragen, um die es in diesen Gerichtsverfahren ging, seien oft sehr kompliziert gewesen, und die Komplexität der Themen habe in den vergangenen zehn Jahren noch zugenommen, „da die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in neue Industriezweige an der technologischen Grenze unserer Zeit vordrang.“ In einigen Fragen sei die Rechtsprechung vor zehn Jahren noch nicht so weit entwickelt gewesen wie heute, erklärt die Dänin und ergänzt: „Wir haben gerade aus den Urteilen, die in diesem Zeitraum ergangen sind, wertvolle Hinweise für unsere Durchsetzungsarbeit erhalten.“
Ganz anders fällt die Beurteilung des CSU-Finanzexperten Ferber aus. „Die Bilanz der Kommission schaut nur auf den ersten Blick gut aus“, meint der Europaabgeordnete. Man könne nicht zufrieden sein, wenn bis zu einem Fünftel aller Fälle vor Gericht verloren gingen. Selbst einige wenige verlorene Fälle könnten den Steuerzahler schnell sehr teuer zu stehen kommen. „Die neue Wettbewerbskommissarin wäre gut beraten, sorgfältiger bei der Auswahl ihrer Verfahren vorzugehen“, lautet Ferbers Empfehlung an die Adresse der designierten EU-Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera.