JSA24Grüner Wasserstoff

Die Euphorie ist verflogen

Die Realität hat die Pläne zum Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland über den Haufen geworfen. Doch Hoffnung macht sich breit, auch wenn jetzt in deutlich kleinerem Maßstab gedacht wird.

Die Euphorie ist verflogen

Wenn Euphorie auf Wirklichkeit trifft

Der Wasserstoffhochlauf lässt auf sich warten. Viele Projekte liegen auf Eis. Doch langsam keimt Hoffnung, auch wenn jetzt realistischer und damit kleiner gedacht wird. Der Grund: Wasserstoff ist eine der teuersten Varianten, um CO2-Emissionen zu vermindern.

Von Annette Becker, Köln

Ernüchterung hat sich breitgemacht:  Anstatt der viel beschworenen Wachstumsdynamik, die auch der Wasserstoffhochlauf entfachen sollte, kommen unzählige Projekte nicht über die Planungsphase hinaus – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. RWE und Uniper verkündeten erst kürzlich, dass sich ihre milliardenschweren Investitionspläne verzögern. Einer der Gründe: der langsame Wasserstoffhochlauf in Europa. Pipelineprojekte, sei es in Dänemark oder Norwegen, werden auf Eis gelegt bzw. abgeblasen.

Auch auf der Nachfrageseite mehren sich die Zweifel. Thyssenkrupp beispielsweise denkt laut darüber nach, ob die Stahlsparte die Direktreduktionsanlage zur Produktion von grünem Stahl bauen soll. Bei vollem Betrieb mit Wasserstoff würden täglich fast 400 Tonnen des wertvollen Rohstoffs benötigt. Jenseits der Frage der Verfügbarkeit, ist unklar, ob der Wasserstoffbetrieb überhaupt wirtschaftlich darstellbar ist.

Drei bis vier Jahre in Verzug

Dabei hatte sich Europa ambitionierte Ziele gesteckt: Sollte hierzulande bis 2024 eine Elektrolysekapazität von 6 Gigawatt (GW) installiert sein, sind es nach einer Studie von Boston Consulting Group (BCG) derzeit nicht einmal 0,5 GW. Weniger als 3% der grünen Wasserstoffprojekte befinden sich im Bau. Die Produktionskosten im Jahr 2030 – die Projektionen waren von einem Wasserstoffpreis von 3 Euro je Kilogramm ausgegangen – haben sich mittlerweile verdoppelt. Die Folge: Der zunächst erwartete Produktionshochlauf ist drei bis vier Jahre in Verzug.

Doch so dramatisch das Hier und Heute ist, Fachleute wollen nicht in das allgemeine Wehklagen einstimmen: „Es gibt mittlerweile eine klare Aussicht auf das regulatorische Korsett, das Angebot fördert, Nachfrage anreizt und den Aufbau der Infrastruktur regelt“, sagt Jens Burchardt, Klimaexperte bei BCG und prophezeit: „In den nächsten fünf Jahren werden in Deutschland Investitionsentscheidungen für Wasserstoffprojekte getroffen werden. Allerdings nicht in dem Umfang, den man noch vor zwei bis drei Jahren vor Augen hatte.“

Ohne öffentliches Geld geht nichts

Es ist das klassische Henne-Ei-Problem, das in der gesamten Wertschöpfungskette zutage tritt. Neben Angebot und Nachfrage betrifft das die gesamte Infrastruktur – vom Leitungsnetz über Importterminals bis hin zu Speichern. Letztlich ist jedes Glied der Kette auf öffentliche Unterstützung angewiesen. Erschwerend kommt hinzu, dass die vielen Einzelteile am Ende wie bei einem Zahnrad ineinandergreifen müssen. „Natürlich ist es sinnvoll, eine ganzheitliche Perspektive einzunehmen – trotzdem lohnt sich Pragmatismus. Kleinere, regionale Projekte haben eine größere Chance auf Realisierung“, sagt Jan Taschenberger, COO für New Green Power & Gas bei Uniper.

Immerhin hat die Bundesnetzagentur im Herbst die Genehmigungen für den Bau des Wasserstoffkernnetzes erteilt und damit eine erste Hürde beseitigt. Das schaffe Planungssicherheit, sagt Dirk Schettler, Leiter Business Development Hydrogen bei Steag Iqony. So bekomme ein Cracker-Projekt zur Umwandlung von Ammoniak in Wasserstoff, das Iqony mangels Nachfrage auf Eis gelegt hat, vielleicht wieder eine Chance auf Realisierung. Denn mit dem Kernnetz wird ein breiterer Kundenkreis adressierbar.

Das Wasserstoffkernnetz soll bis 2032 auf 9.000 Kilometer anwachsen, bestehend aus neuen und umgewidmete Erdgasleitungen. Damit die Netzbetreiber mit milliardenschweren Investitionen in Vorleistung gehen, wird der Bund die Finanzierung über ein sogenanntes Amortisationskonto absichern. Dabei werden die Netzentgelte anfangs gedeckelt, um die Nachfrage nicht gänzlich abzuwürgen. Die Differenz zwischen den zur Kostendeckung erforderlichen Netzentgelten schließt der Staat. Über die Zeit, so die Hoffnung, kommen mehr Kunden ans Netz. In der Folge steigen die Einnahmen aus Netzentgelten und das Amortisationskonto wird wieder ausgeglichen. Den Großteil des Risikos trägt der Bund. Das macht die Projekte auch für privates Kapital investierbar.

Produktionsförderung

Was Anreize für Produktionsprojekte betrifft, herrscht inzwischen vergleichsweise große Hoffnung, wenngleich in der ersten von der EU ausgeschriebenen Auktionsrunde für förderwürdige Projekte kein deutsches Vorhaben zum Zuge kam. Die sogenannten Important Projects of Common European Interest (IPCEI) werden über die European Hydrogen Bank subventioniert. Bewerben können sich Projekte zur Wasserstoffproduktion. Wer den geringsten Zuschuss je Kilogramm fordert, bekommt den Zuschlag. Da die Kosten der Wasserstoffproduktion hierzulande aber etwa doppelt so hoch sind wie auf der Iberischen Halbinsel oder in Skandinavien, fallen deutsche Projekte in EU-weiten Ausschreibungen durch.

Was Banken fordern

Das soll sich 2025 ändern. Dann soll es eine rein deutsche Tranche geben – versteigert über die European Hydrogen Bank, finanziert aus dem deutschen Klimafonds. Damit kämen auch hierzulande kommerzielle Projekte ans Laufen, weil der Wasserstoff für den Kunden bezahlbar(er) wird. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Produzenten feste Abnahmezusagen brauchen. „Für Investitionsentscheidungen bei unseren Wasserstoffprojekten brauchen wir verbindliche vertragliche Vereinbarungen, dass wir für 80% der Produktionsleistung eine gesicherte Abnahme haben. Das erwarten insbesondere die finanzierenden Banken“, erläutert Schettler. Die Crux des Wasserstoffhochlaufs ist, dass sich grüner Wasserstoff als Energieträger wirtschaftlich nicht rechnet. „Von allen Möglichkeiten, CO2-Emissionen zu senken, ist Wasserstoff eine der teuersten Varianten“, sagt Burchardt. Selbst langfristig werde Deutschland in der EU und weltweit mit den höchsten Wasserstoffpreisen konfrontiert sein, geht aus einer Studie von Fraunhofer ISI hervor. Das zeigt sich in der Praxis. Je reifer Projekte werden, desto klarer tritt zutage, wie teuer die Wasserstoffnutzung kommt. „Das zwingt unsere Kunden zu schauen, ob es alternative Wege zur Dekarbonisierung gibt“, weiß der Iqony-Manager und Burchardt berichtet aus der Beratungspraxis: „Die allermeisten Unternehmen werden ihre Produktion nicht mit Wasserstoff dekarbonisieren.“

Es wird nicht funktionieren, ohne Wasserstoff unsere gesamte Volkswirtschaft zu dekarbonisieren.

Jens Burchardt

Das Ende für die Wasserstoffwirtschaft bedeutet das jedoch nicht. „Wir sind in einer Übergangsphase, in der man aufpassen muss, dass das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird“, warnt Taschenberger. „Die Zukunft von Wasserstoff ist in Deutschland zwar weniger groß als manche noch proklamieren, trotzdem werden wir ihn brauchen“, ist auch Burchardt überzeugt. „Es wird nicht funktionieren, ohne Wasserstoff unsere gesamte Volkswirtschaft zu dekarbonisieren.“

Für manche Branchen wie die Stahlindustrie ist Wasserstoff die einzige Möglichkeit zur Dekarbonisierung. Zugleich hat Deutschland nach Einschätzung von Fachleuten ein valides Standortinteresse an der erfolgreichen Transformation der Schwerindustrie. „Dafür sollten wir zumindest den Umbau der ersten Anlagen hier in Deutschland öffentlich fördern“, empfiehlt der BCG-Mann. Ob weitere Anlagen folgen, steht jedoch dahin, ist der Import von Vorprodukten wie Brammen doch wesentlich kostengünstiger. Nach Einschätzung von Burchardt sollten sich die Stahlkonzerne hierzulande auf die für die Wertschöpfung wichtige Weiterverarbeitung zu konzentrieren.

Ein Funken Optimismus

Ähnliches gilt für die Chemieindustrie, wenn es um die Methanol- und Ammoniakproduktion geht. Schon heute ist Deutschland an diesem Punkt weniger wettbewerbsfähig. Wird die Produktion nun auch noch auf Wasserstoff umgestellt, vergrößert sich der Kostennachteil. Folglich dürften künftig mehr Vorprodukte importiert werden. „Letztlich müssen manche Wertschöpfungsketten neu zugeschnitten werden“, folgert Burchardt. Doch statt zu klagen, nimmt der Berater lieber eine optimistische Haltung ein: „Von den in der Pipeline befindlichen (Wasserstoff-)Projekten werden zwei Drittel bis drei Viertel wahrscheinlich nicht realisiert. Der Rest aber schon. Und das bedeutet, dass jetzt ein echter Wasserstoffmarkt entsteht.“


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