Energiepolitik

Habeck hält an Kohle­ausstieg bis 2030 fest

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will trotz des verstärkten Einsatzes von Kohlekraftwerken nicht am Kohleausstieg bis 2030 rütteln. Auch die Klimaziele werden nicht angetastet. Kurzfristig setzt Habeck auf mehr Kohleverstromung, um die Gasspeicher zu füllen.

Habeck hält an Kohle­ausstieg bis 2030 fest

sp/Reuters Berlin

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält trotz des geplanten Einsatzes von mehr Kohlekraftwerken zur kurzfristigen Senkung des Gasverbrauchs am Kohleausstieg bis 2030 fest. „Der Kohleausstieg 2030 wackelt überhaupt nicht. Es ist wichtiger denn je, dass er 2030 über die Bühne geht“, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums am Montag in Berlin. Auch die Klimaziele sollen trotz der neuen geopolitischen Lage nach der russischen Invasion in die Ukraine, mit der Erdgas als Brücke ins postfossile Zeitalter ausgefallen ist, nicht angetastet werden. Selbst wenn Deutschland mehr Kohlekraftwerke nutzen würde, würde sich der CO2-Ausstoß innerhalb der im europäischen Emissionshandel vorgegebenen Menge von Emissionszertifikaten bewegen, erklärte der Ministeriumssprecher. Diese Zertifikate-Menge sei auch die Grundlage für die deutschen Klimaziele. Der energiepolitische Sprecher der Europäischen Kommission, Tim McPhie, sagte am Montag in Brüssel, dass auch Mitgliedsstaaten, die zur kurzfristigen Sicherung der Energieversorgung auf einen verstärkten Einsatz von Kohle zurückgreifen, das verbindliche Klimaziel der EU für dieses Jahrzehnt einhalten müssen. „Wir wissen, dass sich der Energiemix und die Pläne der Mitgliedsstaaten leicht ändern werden, weil wir uns in einer unerwarteten Situation befinden, in der wir beschlossen haben, unsere Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen zu beenden”, so McPhie.

Kurzfristig setzt Habeck vor dem Hintergrund der zuletzt gedrosselten Gaslieferungen aus Russland allerdings auf den Einsatz von mehr Kohlekraftwerken, um den Verbrauch von Gas zu verringern. Das bedeutet auch mehr CO2-Emissionen aus Kohlekraftwerken – was wiederum die deutschen Klimaziele gefährden könnte. Um diese zu erreichen, hatten sich die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vorgenommen, „idealerweise“ bis 2030 aus der klimaschädlichen Kohleverstromung auszusteigen.

Nach den bereits am Wochenende bekannt gewordenen Plänen des Wirtschaftsministeriums können Stromerzeuger für einen Übergangszeitraum von Gas- auf Kohlekraftwerke umsteigen. So soll sichergestellt werden, dass die Gasspeicher in Deutschland trotz gedrosselter Lieferungen aus Russland bis zum Winter aufgefüllt werden können. Geplant sei, dass dazu bestimmte Kohlekraftwerke eingeschränkt wieder genutzt werden könnten, bestätigte ein Ministeriumssprecher am Montag in Berlin. Dies soll durch das sogenannte Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz ermöglicht werden, das am 8. Juli abschließend im Bundesrat beraten werden soll. Zudem soll mit einer Ministerverordnung die sogenannte Gasersatzreserve aktiviert werden. Darüber hinaus plant Habeck, die Industrie über ein Gas-Auktionsmodell Anreize dafür zu bieten, Gas einzusparen. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums bestätigte außerdem, dass die Regierung eine KfW-Kreditlinie über 15 Mrd. Euro der von elf Ferngasnetzbetreibern unterhaltenen Gesellschaft Trading Hub Europe (THE) zur Verfügung stellt. THE soll damit die nötige Liquidität erhalten, um Gas einzukaufen und die Gasspeicher zu befüllen, die nach Angaben der Bundesnetzagentur zuletzt zu 57,6% gefüllt waren. Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, die Speicher bis zum 1. Oktober zu 80% zu füllen und bis 1. November einen Füllstand von 90% zu erreichen.

Eine Ausrufung der zweiten Stufe im Notfallplan Gas wurde am Montag nach Angaben aus Regierungskreisen nicht erwartet. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums wies darauf hin, dass der Gaszufluss nach Deutschland nur ein Kriterium für einen solchen Schritt sei. Ende März hatte das Ministerium die erste Stufe des Notfallplans ausgerufen, mit der eine verstärkte Koordination der Marktakteure und Aufsichtsbehörden einhergeht. Erst die dritte Warnstufe macht direkte Markteingriffe der Regierung möglich.

„Es ist richtig, dass die Kohlekraftwerke einbezogen werden in die Stromversorgung“, sagte SPD-Co-Chef Lars Klingbeil. Zugleich lehnte Klingbeil die längere Nutzung der Atomkraft und die Förderung von sogenanntem Fracking Gas ab. Er verwies darauf, dass es beim Fracking-Gas in den USA ganz andere Bedingungen gebe als im dicht besiedelten Deutschland. Auch der Grünen-Co-Parteichef Omid Nouripour lehnte eine Verlängerung der Laufzeiten für die wenigen im Netz verbliebenen Atommeiler ab. Die FDP dringt dagegen auf einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. „Wichtig ist, die drei verbliebenen Kernkraftwerke länger laufen zu lassen“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Er begrüßte die Ankündigung, dass durch den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken Gas eingespart werden solle. „Fakt ist aber auch, dass man diesen Schritt schon früher hätte einleiten können“, sagte Bijan Djir-Sarai.

Das Maßnahmenpaket der Bundesregierung folgt auf die seit der vergangnen Woche deutlich gesenkten Gaslieferungen über die Nord-Stream-Pipeline nach Europa. Habeck vermutet hinter der Entscheidung politisches Kalkül Moskaus. „Es ist offenkundig die Strategie von Putin, uns zu verunsichern, die Preise in die Höhe zu treiben und uns zu spalten“, sagte der Minister vor wenigen Tagen. Russland betone am Montag erneut seine Rolle als verlässlicher Energielieferant für Europa. „Russland bleibt ein maximal zuverlässiger Lieferant“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow nach Angaben der Agentur Interfax. Die Ursache der derzeitigen Lieferreduktion seien Verzögerungen bei Reparaturarbeiten und fehlende Turbinen, bekräftigte er einmal mehr. „Das ist eine menschengemachte Krise. Sie ist von der EU erschaffen worden“, erklärte Peskow.

Österreich steigt wieder ein

Die Drosselung der Gaslieferungen beeinträchtigt nicht nur die Versorgung in Deutschlands. Österreich wies am Sonntag die staatlich kontrollierte Verbund AG an, das stillgelegte Kohlekraftwerk Mellach für den Betrieb vorzubereiten. Das südlich von Wien gelegene Kraftwerk wurde vor zwei Jahren abgeschaltet. Damit war Österreich das zweite europäische Land, das die Kohle vollständig aus seinem Stromnetz verbannt hat.

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