Immobilien

Immer mehr Stornierungen im Wohnungsbau

Sprunghaft gestiegene Materialpreise und die drastische Verteuerung von Krediten bringen den Wohnungsbau in Bedrängnis. Denn immer mehr Bauherren stoppen ihre Projekte.

Immer mehr Stornierungen im Wohnungsbau

hek Frankfurt – Die Stornierungen im deutschen Wohnungsbau nehmen stark zu. Das berichtet das Ifo-Institut aus München. Laut den Erhebungen der Münchener Wirtschaftsforscher waren im September 16,7 % der befragten Unternehmen von Stornierungen betroffen. Im August waren es erst 11,6 %. Die Quote ist um ein Vielfaches höher als in früheren Jahren.

„Die Stornierungswelle im Wohnungsbau brandet höher“, bilanziert das Ifo-Institut. Aufgrund der explodierenden Material- und Energiepreise sowie der steigenden Finanzierungszinsen sei die Planungssicherheit dahin. „Die Baukosten steigen immer weiter. Für einige Bauherren ist das alles nicht mehr darstellbar“, sagt Wirtschaftsforscher Felix Leiss. „Sie stellen Projekte zurück oder ziehen ganz die Reißleine.“

Damit droht eine weitere Verschärfung der Wohnungsnot gerade in Großstädten. Denn der Zuzug von Menschen hält an. Die Bevölkerung wächst und damit die Zahl der Wohnungssuchenden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts leben inzwischen mehr als 84 Millionen Menschen in Deutschland. Seit Jahresende 2021 ist die Bevölkerungszahl um 843 000 Personen gestiegen. Das entspricht einer Zunahme um 1,0 % in gerade einmal sechs Monaten. Grund ist vor allem der Zuzug von Ukrainern infolge des russischen Angriffskriegs gegen das Land. Zum Vergleich: Im Gesamtjahr 2021 war die Bevölkerung lediglich um 82 000 Personen oder 0,1 % gewachsen.

Viele Probleme gibt es am Bau nach wie vor bei der Versorgung mit Material, doch zumindest haben sich die Mängel zuletzt ein wenig entschärft. Der Ifo-Befragung zufolge meldet knapp ein Drittel (32,7 %) der Unternehmen Engpässe, verglichen mit 36,4 % im Monat zuvor. „Die Materialengpässe entspannen sich nur langsam“, sagt Leiss.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) berichtet von einer leichten Preisberuhigung bei einigen Baumaterialien im Juli und August. Die Anstiege zum Vorjahr bleiben aber hoch. Bitumen aus Erdöl beispielsweise, ein wichtiges Produkt im Straßenbau, war im August noch um 38,6 % teurer als vor einem Jahr, Betonstahlmatten um 21,3 %. Letztere kosten immer noch doppelt so viel wie im Januar 2021.

Die Geschäftserwartungen haben sich nach Angaben des Ifo-Instituts nochmals eingetrübt. Sie seien auf minus 53,2 Punkte gefallen – ein Niveau, das die Forscher als „außergewöhnlich schwach“ einstufen. Damit lägen die Erwartungen auf dem tiefsten Stand seit Beginn der Erhebung 1991. „Die Unternehmen verfügen im Schnitt immer noch über große Auftragsreserven, aber die Zukunftssorgen waren selten so groß“, sagt Leiss.

Da die hohen Energiepreise das knappe Material zusätzlich verteuern und die Baufirmen die höheren Beschaffungskosten an die Kunden weitergeben, wird Bauen noch teurer. Für die kommenden Monate sind laut Leiss auf breiter Front weitere Preiserhöhungen geplant. Im August lagen die Preise für den Neubau von Wohngebäuden nach Angaben des Statistischen Bundesamts bereits um 16,5 % über dem Stand des Vorjahresmonats. Im Vergleich zu Mai 2022 hätten sich die Baupreise im August um 2,6 % erhöht.

Gesprengte Haushaltsbudgets

Zu einer ähnlichen Lagebeurteilung kommt der Bauverband HDB. Die enormen Kostensteigerungen hätten viele Häuslebauer veranlasst, Abstand von geplanten Bauvorhaben zu nehmen. „Entweder die Projekte rechnen sich nicht mehr, oder die gestiegenen Baupreise und Zinsen sprengen das Haushaltsbudget, das ohnehin schon durch die explodierenden Energiekosten enorm belastet ist“, sagt HDB-Hauptgeschäftsführer Tim Oliver Müller.

Die Zurückhaltung zeigt sich auch im Ordereingang. Während der Auftragseingang im Wohnungsbau im ersten Quartal preisbereinigt noch um 2,6 % zugelegte, sei er von April bis Juli um real 17 % eingebrochen, berichtet der HDB. „Ein Ende der Abschwächung scheint vorerst nicht in Sicht zu sein“, sagt Müller.

Wertberichtigt Seite 2

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