Johannes Graf von Plettenberg

„Investoren gehen mit größerer Offenheit an das Thema“

Johannes Graf von Plettenberg hat den Berliner Sextoy-Anbieter Wow Tech mit dem britischen Erotik-Onlinehändler Lovehoney zusammengeschlossen. Der fusionierte Konzern wurde bei dem Deal mit gut 1 Mrd. Dollar bewertet. In ein oder zwei Jahren ist die Firma bereit für einen Börsengang, sagt der CEO.

„Investoren gehen mit größerer Offenheit an das Thema“

Stefan Paravicini.

Graf von Plettenberg, Sie haben mit der Fusion der Berliner Wow Tech und des britischen Onlinehändlers Lovehoney in diesem Sommer eine der größten Transaktionen im Geschäft mit Erotikspielzeug auf die Beine gestellt. Wie hat sich der Blick von Investoren auf die Branche verändert, seit Sie 2017 mit dem Kauf von Womanizer den ersten Erotik-Deal gemacht haben?

Es hat sich enorm verändert, und das mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Als wir Womanizer gekauft haben, hat sich auf Bankenseite nur Unicredit auf den Deal eingelassen. Die haben sich damals schon getraut und sind seither immer an unserer Seite. Auch für den Follow-up-Deal, die Übernahme der kanadischen Marke We-Vibe, gab es wenig Interesse von Banken für die Akquisitionsfinanzierung. Als wir 2020 die Mehrheitsanteile von Wow Tech an die chinesische Beteiligungsgesellschaft CDH verkauften, haben wir eine Roadshow in Frankfurt gemacht mit großen Adressen, Landesbanken und kleineren Instituten, insgesamt mehr als 20 Banken. Die kamen alle zum Pitch, haben am Ende aber abgewunken, und wir haben den Deal mit der Bank of China gemacht.

Wie sah das Investoreninteresse beim jüngsten Deal aus?

Den Merger mit Lovehoney, bei dem auch Geld geflossen ist, haben wir mit sieben Banken gestemmt, wobei das Interesse noch deutlich größer war. Alle beteiligten Banken wollten mehr machen und mussten einen Haircut hinnehmen, weitere Adressen hatten ebenfalls ihr Interesse bekundet. Dabei wurde der Prozess zusammen mit Beratern ähnlich wie bei der Transaktion vor eineinhalb Jahren organisiert.

Warum ist den Investoren das Thema Erotik plötzlich nicht mehr zu heiß?

Die Investoren gehen mit größerer Offenheit an das Thema. Das liegt neben einer zunehmend liberalen Haltung sicher auch an dem Corona-Boost für unser Geschäft, denn die Zahlen sind während der Pandemie durch die Decke gegangen. Mit knapp 400 Mill. Euro Umsatz und einem soliden Ebitda sind wir mit Blick auf die Größe mittlerweile für mehr Investoren interessant. Sicher auch, weil sich durch die Transaktion das Risikoprofil ebenfalls verbessert. Durch Lovehoney erhält die Gruppe deutlichen Umsatzzuwachs in den USA und in Großbritannien. Wenn ein Land schwächelt, fällt deshalb nicht gleich die Firma um. Auch deswegen ist die fusionierte Lovehoney Group mit mehr als 1 Mrd. Dollar bewertet worden.

Wie sieht es mit dem Reputationsrisiko beim Thema Erotik aus?

Vor zwei Jahren hat eine Partnerin einer Private-Equity-Gesellschaft den Deal abgewunken, weil sie Mitglied im Kirchenvorstand war. Und das, obwohl das eigene Team den Deal wollte. Jetzt beobachten wir in der Gesellschaft einen Trend, der von einer jüngeren Generation getragen wird, für die Sexual Wellness ein ganz selbstverständlicher Teil ihrer Zufriedenheit ist. Sex war natürlich immer schon Teil des ­persönlichen Glücks, man hat darüber aber nicht offen gesprochen. Heute gehört das Thema genauso zum Selbstoptimierungstrend wie Sport, gesunde Ernährung oder Body ­Positivity.

Sie kommen aus dem Investment Banking. Wie sind Sie in der Erotikbranche gelandet?

Ich habe rund acht Jahre M&A gemacht, erst für zwei Banken und dann bei Bombardier. Ich bin dann eher zufällig in die Branche gekommen, weil ich Lust auf etwas Neues hatte. Ich bin zum Online-Händler Amorelie gewechselt, als die Gründer einen CFO suchten. Ich habe schnell gemerkt, dass das eine spannende Branche mit hohen Wachstumsraten ist, die von einem gesellschaftlichen Megatrend getragen wird und noch dazu kaum konsolidiert ist. Das ist für eine Industrie, die schon mehr als 100 Jahre da ist, sehr ungewöhnlich. Meine Kernkompetenz ist M&A, also habe ich selbst mit der Konsolidierung angefangen.

Die Fusion mit Lovehoney ist der bisherige Höhepunkt auf diesem Weg. Was ist die Logik hinter dem Zusammenschluss?

Wir packen Wow Tech als größten Brand Player der Branche mit Lovehoney als größtem Retailer der Industrie zusammen. Das ist eine Größenfrage. Mit knapp 400 Mill. Euro Umsatz sind wir nach den uns bekannten Zahlen der größte Akteur im Markt. Jetzt integrieren wir die beiden Firmen ordentlich und nutzen die Synergien.

Größe ist nicht alles, heißt es. Wie groß ist der Markt für Erotikspielzeug denn insgesamt?

Der Markt ist sehr verschwiegen und es gibt keine börsennotierten Unternehmen, deswegen gibt es auch keine Marktstudien von guten Häusern. Es gibt ein bisschen Desktop Research von freien Research-Firmen, deren Qualität aber schwer einzuschätzen ist. Da findet man auch Marktübersichten, in denen Wow Tech, Lovehoney und andere große Wettbewerber gar nicht erscheinen. Alle Zahlen, die wir haben, beruhen auf eigener Marktforschung. Auf dieser Grundlage kann ich sagen, dass wir weltweit der größte Anbieter sind. Das zeigt vor allem, wie fragmentiert der Markt immer noch ist.

Wie ergänzen sich die beiden fusionierten Unternehmen?

Lovehoney Group ist mit ihren Online-Shops Marktführer in Großbritannien, der Schweiz und in Aus­tralien sowie ein starker Herausforderer in den USA. Da sind wir noch nicht vorne, aber da wollen wir hin. Ähnlich sieht es in Kanada aus. Wir haben also in den wichtigsten englischsprachigen Ländern der Welt so wie der Schweiz eine sehr starke Präsenz mit den Online-Stores von Lovehoney und Amorana. Durch Wow Tech kommen starke Online-Shops für unsere vier Marken Womanizer, We-Vibe, Arcwave und Romp in bis zu 20 Ländern dazu. Daneben haben wir mit Wow Tech einen starken B2B-Arm, während Lovehoney einen ganz klaren B2C-Fokus hat.

Wo liegt denn der Fokus des zusammengeschlossenen Konzerns?

Wow Tech kommt aus dem B2B-Geschäft, ist zuletzt aber ebenfalls in das B2C-Segment hineingewachsen. Der Gesamtkonzern ist heute ganz klar ein B2C-Unternehmen mit starken Premiummarken auf der Wow-Tech-Seite und einem breiteren Sortiment von Lovehoney.

Erwarten Sie, dass die Konsolidierung in der Branche weiter Fahrt aufnimmt?

Absolut. Wir haben die Konsolidierungswelle ja selbst ausgelöst. Der Womanizer-Deal, den wir 2017 zusammen mit der Münchner Rigeto gestemmt haben, war die erste Transaktion in der Branche, die von professionellen Investoren unterstützt wurde. Davor gab es nur einige Asset Deals unter Wettbewerbern. Aber einen Leveraged Buy-in gab es bis dahin noch nicht. Da die Transaktion einen normalen M&A-Prozess durchlaufen hat, haben sich das auch andere angeschaut. Rigeto war damals der vierte Partner, mit dem ich den Prozess durchlaufen bin. Eine der Adressen, die zuvor ausgestiegen war – Womanizer war ja keine richtige Firma, sondern ein Produkt, mit dem der Erfinder aus seinem Wohnzimmer heraus beeindruckende 10 Mill. Euro Umsatz gemacht hat –, hat sich zwei Jahre später an einem anderen M&A-Prozess in der Branche beteiligt und ein Jahr später noch einmal. Die Marktteilnehmer haben ihre anfängliche Zurückhaltung abgelegt. Das werte ich als Indiz für ein höheres Interesse an der Marktkonsolidierung.

Was tut sich denn neben der Fusion von Wow Tech und Lovehoney sonst im Markt?

Die niederländische Eqom, die von der niederländischen Beteiligungsgesellschaft Waterland unterstützt wird, hat gleich mehrere Übernahmen gemacht und zuletzt auch Amorelie gekauft. Die haben vier Deals in einem Jahr gestemmt, das ist ein sehr ordentliches Tempo. Die chinesische Private-Equity-Gesellschaft Citic hat den größten Wow-Tech-Konkurrenten Lelo gekauft, die angeblich über ein IPO in London nachdenkt, wie zu lesen war. Die Marke Playboy ist gerade über einen Spac an die Börse gegangen. Links und rechts davon tut sich auch noch einiges, was öffentlich nicht bekannt ist. Es ist also viel Bewegung im Markt.

Sie kennen Amorelie als ehemaliger CFO aus dem Effeff. Wäre das auch für Wow Tech ein interessanter Zukauf gewesen?

Wir haben uns ja gerade mit einer großen Amorelie zusammengeschlossen, nämlich Lovehoney. Wir schauen uns alles an, was es im Markt gibt, fokussieren uns in diesen Monaten aber prioritär auf unsere Integration.

Welche Themen haben Sie für künftige M&A-Transaktionen im Blick?

Wir schauen uns zum einen regionale Themen an, wo wir uns noch nicht stark genug sehen und das Wachstum beschleunigen können, indem wir einen Anbieter aus den Top 10 dazunehmen. Zum anderen suchen wir nach innovativen produktbasierten Technologien. Unsere beiden größten Innovationen – der Womanizer von Michael Lenke und der We-Vibe C-Shape von Bruce Murison – sind beide auf Erfinder zurückzuführen. Das sind die absolut größten Neuerungen in unserem Markt, und beide wurden von zwei Erfindern zu Hause entwickelt. Nach so etwas suchen wir weiter. Daneben müssen wir aber auch die Integration von Wow Tech und Lovehoney hinkriegen. Viele M&A-Deals vernichten bekanntlich Wert, weil sie nicht ordentlich integriert sind, weil es zu schnell geht und nicht detailliert genug gemacht wird. Wir haben den Anspruch, dass wir da die richtige Balance schaffen, und das nimmt derzeit einen großen Teil unserer Zeit in Anspruch.

Ist der Zusammenschluss eine Fusion unter Gleichen, und erschwert das womöglich die Integration?

Eine Fusion findet ja eigentlich nie ganz unter Gleichen statt. Unser Altaktionär CDH hat einen Teil seiner Anteile in der Transaktion verkauft. Telemos ist nun größter Anteilseigner der fusionierten Lovehoney Group. Im Board sind beide vertreten, und wir diskutieren auf Augenhöhe. Es gab bisher keinen Moment, in dem jemand die Mehrheitskarte ziehen musste. Das ist für mich auch ganz wichtig.

Operativ geben Sie als CEO der fusionierten Gesellschaft die Linie vor, oder mischen die Gründer von Lovehoney auch noch mit?

Ich komme von der Wow-Tech-Seite, aber das ist eigentlich egal. Ich bin bei Womanizer von außen gekommen, bei We-Vibe von außen rein und jetzt wieder. Für die Kollegen von Lovehoney im Team ist es das erste Mal, die Wow-Tech-Kollegen kennen das alle schon und sind ganz entspannt. Die Lovehoney-Gründer Richard Longhurst und Neal Slateford halten weiter signifikante Minderheitsanteile und sitzen im Board. Das läuft alles sehr gut.

Wie ist denn das Geschäft mit Sexspielzeug zuletzt gelaufen? Gab es während der Pandemie besondere Entwicklungen?

Das Verbrauchergeschäft, also die B2C-Seite, hat stark überperformt, vor allem Online-Retailer wie Lovehoney, Amorana oder Sinful haben stark profitiert. Offline-Händler wie Beate Uhse, Orion und auch kleinere Ketten in den USA haben sehr gelitten. Bis jetzt hat aber keiner unserer Offline-Kunden im B2B-Geschäft die Segel gestrichen, und das ist sehr schön. Im vergangenen halben Jahr haben die wieder richtig angezogen, nachdem sie im Frühjahr 2020 noch ihre Lager abverkauft und nicht nachbestellt hatten. Der B2B-Umsatz ging im März und April 2020 bei uns vertikal nach unten. Im B2C-Geschäft ging es wenig später aber schon wieder steil bergauf. Denn nach einem Monat im Lockdown hat man gemerkt, dass die Leute nicht nur Computerbildschirme, Hanteln oder Puzzle kaufen, sondern eben auch vermehrt Sextoys. Über die Hälfte dieser Kunden sind Neukunden. Die Online-Seite hat also sehr stark profitiert – wie der gesamte E-Commerce.

Was sind denn die umsatzstärksten Produktkategorien?

Zuletzt war der Lovehoney-Adventskalender auf Platz 1. Das ist ein schönes Einsteigerprodukt für Paare, die sich trauen. Steht der erst einmal zu Hause, macht man eben auch mal das erste Türchen auf. Man hat nicht ausgesucht, was dahinter steckt, kann es daher einfach mal ausprobieren. Wir sind sehr breit aufgestellt und haben mehr als 5000 Produkte im Portfolio. Wir sprechen ein breites Publikum an und brauchen dafür ein breites Sortiment.

Sie haben beim Thema M&A schon über die Bedeutung von Innovationen gesprochen. Wie viel Verbesserungspotenzial gibt es denn bei Sexspielzeug?

Vor 2014, als noch keiner den Womanizer kannte, dachten die meisten, dass ein Stabvibrator oder ein Auflegevibrator für die Klitoris das höchste der Gefühle ist. Dann kam Michael Lenke mit seiner Erfindung, die ein ganz anderes Level erreicht. Ich würde mich deshalb nicht darauf festlegen, dass da keine weiteren Sprünge möglich sind. Daneben geht es aber auch um die Weiterentwicklung bestehender Produkte.

Um welche Produkteigenschaften geht es dabei?

Es geht um Themen wie Range und Lifecycle Extension. Wir haben gerade das erste nachhaltige Sextoy gelauncht, das statt Plastik auf ein biodegradables Material setzt. Wir planen nun, das Material stärker in anderen Produkten zu verwenden. Vor zwei Jahren haben wird das Smart-Silence-Feature für den Womanizer gelauncht. Wenn man das Produkt auf die Haut legt, fängt er an und verstummt sofort, wenn der Kontakt zur Haut aufgehoben wird. Das kommt sehr gut an, weswegen wir das Verfahren auch patentiert haben. Bedeutet das eine Revolution auf dem Sextoy-Markt? Nein. Aber es ist ein tolles Feature, das unseren Kunden ein deutlich besseres Erlebnis verschafft, und davon gibt es viele weitere in unserem Portfolio.

Wie sehen die weiteren Wachstumsziele aus?

Für uns wird es als größter Marktteilnehmer schwieriger, schneller als der Markt zu wachsen, der jährlich zwischen 7 und 10% zulegt, wenn man den Marktanalysen glaubt. Wir wollen solides zweistelliges Umsatzwachstum, eher Richtung 20%. Das haben wir bisher jedes Jahr geschafft und es ist unser Anspruch, das auch weiterhin zu tun.

Ist das fusionierte Unternehmen so profitabel, wie es Wow Tech alleine zuletzt war?

Wir sind ein klassischer Fall für Private Equity und kein Venture-Capital-Case. Wir sind solide profitabel. Wir haben ausreichend Ebitda, so dass wir auch entsprechend Leverage drauflegen konnten.

Wie wollen Sie die weiteren M&A-Pläne finanzieren?

Wir haben unseren Cash-flow und wir haben Zugang zu Fremdkapital. Wir haben mit Telemos und CDH außerdem zwei Beteiligungsgesellschaften als Eigentümer, die auch Eigenkapital zur Verfügung stellen können, falls wir dies für weitere Akquisitionen benötigen und die Banken sich bei der Finanzierung nicht allein auf den Cash-flow verlassen wollen.

Ist Lovehoney ein Kandidat für einen Börsengang?

Die kurze Antwort lautet ja. Mit zwei Beteiligungsgesellschaften als Mehrheitseigentümer ist klar, dass ein IPO ein mögliches Szenario ist. CDH ist jetzt zwei Jahre dabei und Telemos dreieinhalb. Wer die üblichen Run Times solcher Beteiligungen kennt, weiß, dass nach fünf, sieben oder maximal acht Jahren transaktioniert wird. Da ist der Börsengang eine Möglichkeit. Ein Follow-up-Deal mit Private Equity ist aber genauso vorstellbar wie ein Stratege. Alle Wege stehen uns offen und sind für uns darstellbar. Mein Anspruch ist, dass wir zum gegebenen Zeitpunkt eine ordentliche Firma weitergeben. Da soll nichts auseinanderfallen, wenn sich irgendwann die Führung ändert. Heute sind wir noch nicht so weit. Wir brauchen noch ein oder zwei Jahre, dann sind wir ready.

Haben Sie zum Abschluss noch einen Tipp für Leserinnen und Leser auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk?

Ganz klar der Womanizer Premium. Das ist unser beeindruckendstes Produkt, welches übrigens zu 50% von Männern als Geschenk für ihre Frauen gekauft wird. Für die ­Männer selber kann ich den Arc­wave Ion empfehlen. Der Ion appliziert die Pleasure-Head-Druck­wellentechnologie für den Mann und ­wurde im September 2020 gelauncht.

Das Interview führte

BZ+
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