Michael Frick

Mahle warnt vor Technologie­verboten

Seit April leitet Finanzchef Michael Frick als Interims-Chef die Geschicke des Autozulieferers Mahle. Den Elektro-Anteil will er ausbauen, sieht Mahle beim Verbrenner aber auch als Konsolidierer. Das komplette Interview im Wortlaut.

Mahle warnt vor Technologie­verboten

Sebastian Schmid.

Herr Frick, Sie sind seit einigen Wochen CFO und CEO. Ist das eine Doppelfunktion, mit der Sie sich anfreunden können?

Es gibt eine klare Absicht, die Rollen wieder zweizuteilen. Der Aufsichtsrat wird zu gegebener Zeit mit einer entsprechenden Ankündigung an die Öffentlichkeit gehen. Wie gehen die beiden Jobs zusammen? Ich habe starke Teams und kompetente Kolleginnen und Kollegen in der Geschäftsführung, mit denen ich sehr gut zusammenarbeite, so dass ich mich gut um alle aktuellen Themen, wie etwa die Aufrechterhaltung der Lieferketten, kümmern kann.

Steigen wir doch damit ein. Was sind die Herausforderungen in der Lieferkette? Die Chipknappheit?

Aktuell haben wir ein Abrufniveau, das deutlich über unseren Budgetplanungen liegt. Wir haben im ersten Quartal einen Umsatz erzielt, der deutlich – also mehr als 10% – über unseren Annahmen liegt. Im Moment sehen wir auch nicht, dass sich das reduziert. Allerdings gibt es einige Anhaltspunkte in der Lieferkette, die zu einer gewissen Vorsicht mahnen. Das Thema Halbleiter trifft uns in Teilen im direkten Produktportfolio. Bisher haben wir unsere Lieferfähigkeit noch immer sicherstellen können. Das gilt auch für Kunststoffgranulate. Bei den Kunden haben wir aufgrund des Chipmangels zwar teils eine Verschiebung im Produktportfolio gesehen und damit auch Änderungen bei den Anforderungen. Aber keine größere Absenkung der Produktion insgesamt.

Wie sind Ihre Erwartungen insgesamt für das Jahr 2021? Erwarten Sie nach dem schweren Vorjahr eine gewisse Sonderkonjunktur im zweiten Halbjahr?

Gegenüber unserem Umsatz von 2020, der mit 9,8 Mrd. Euro um 17% unter dem Vorjahreswert lag, erwarten wir in diesem Jahr eine Steigerung von knapp 5%. Im Moment sehen wir, dass dieser Zielwert deutlich überschritten wird. Allerdings haben diverse Lieferkettenthemen – Halbleiter, Granulate oder allgemeine geopolitische Fragestellungen – durchaus das Potenzial, diese positive Entwicklung zu dämpfen. Eine wirkliche Einschätzung, in welchem Ausmaß diese Risiken das Jahr 2021 noch beeinflussen werden, ist aus unserer Sicht derzeit noch nicht möglich. Wir rechnen in Summe mit einer Erholung, unterstützt etwa durch erwartete Wiedereröffnungen im Kfz-Handel später im Jahr. Allerdings erwarten wir nicht, dass der Markt schnell auf Vorkrisenniveau zurückkehren wird.

Der Elektro-Anteil im Pkw-Markt steigt rasant. Wie betroffen sind Sie davon?

60% unseres Umsatzes generieren wir bereits unabhängig vom Pkw-Verbrennungsmotor. Diesen Anteil werden wir in den nächsten Jahren sukzessive nach oben fahren, bis 2030 auf rund 75%. In den vergangenen Jahren waren die Veränderungen vornehmlich regulatorisch und subventionsgetrieben. Aber wir sehen, dass die Produkte immer besser werden. So wird die rein elektrisch fahrbare Reichweite bei den Plug-in-Hybriden stetig in Richtung 100 km gehen. Das wird die Akzeptanz bei den Kunden weiter erhöhen. Dazu kommen attraktive reine E-Autos. Im Thermomanagement können wir etwa alle Antriebsarten – Verbrenner, Hybrid und batterieelektrisch bis hin zur Brennstoffzelle – mit unseren Technologien umfassend bedienen. Für E-Antriebe haben wir uns zudem neue Produktkategorien durch eigene Entwicklungen und Zukäufe erschlossen. Beispiele sind On-Board-Charger, Leistungselektronik, E-Kompressoren oder E-Antriebsmotoren. Außerdem bereiten wir uns schon auf die nächste Technologiewelle bei der Brennstoffzelle vor und sind da auch lieferbereit.

Derzeit justiert sich das Verhältnis von Zulieferern und Herstellern neu. Haben Sie Produktbereiche deswegen außen vor gelassen?

Das ist eine berechtigte Frage. Es ist sicher noch nicht final geklärt, was die Automobilhersteller künftig in-house machen wollen und was sie outsourcen. Wir versuchen, die Themen zu identifizieren, bei denen wir davon ausgehen, dass sie nachhaltig bei den Zulieferern liegen werden. Trotzdem fokussieren wir uns auch auf Bereiche, die nach aktueller Einschätzung für die Hersteller Priorität haben. Wir nehmen für uns in Anspruch, über die dafür notwendige Systemkompetenz zu verfügen.

Mit welcher F&E-Quote arbeitet Mahle?

Das unterscheidet sich natürlich von Bereich zu Bereich. Auf Konzernebene waren es mit 6,6% im vergangenen Jahr sogar etwas mehr als die üblichen rund 6%. Das heißt, Mahle hat selbst in der Coronakrise weiterhin überdurchschnittlich in Forschung und Entwicklung investiert. Grundsätzlich halten wir eine Quote von 6% für realistisch.

Hat Mahle den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor eingeläutet?

Wir wollen im Umfeld des Verbrennungsmotors nachhaltig etabliert bleiben, solange er auf den internationalen Märkten gebraucht und von unseren Kunden nachgefragt wird, und hier eventuell auch als Konsolidierer auftreten. Aus den dort generierten Cash-flows wollen wir den Wandel finanzieren.

Würden Sie als Konsolidierer auch im Verbrenner-Bereich zukaufen?

Als Konsolidierer können wir auch agieren, indem wir bei Neuausschreibungen erfolgreich Projekte akquirieren und so den eigenen Marktanteil erhöhen. Akquisitionen oder auch Fusionen können wir allerdings nicht ausschließen. Die sehen wir zwar noch nicht in der ganz nahen Zukunft. Auf mittlere Sicht wird es aber wohl zu einer Neusortierung der Zuliefererbranche für den Verbrenner kommen. Und da sehe ich uns auf der aktiven Seite.

Wie kommen Sie finanziell voran?

Im vergangenen Jahr haben wir die Verschuldung um rund 400 Mill. Euro reduziert. Im ersten Quartal 2021 haben wir weitere 100 Mill. Euro abgetragen. Im Jahr 2020 wurde aufgrund der Pandemie und des Wandels in der Branche von den Fremdkapitalinvestoren sehr vorsichtig auf die gesamte Automobilindustrie und die Zulieferer im Speziellen geblickt. Mittlerweile beginnen Investoren und auch Banken, zu selektieren – zwischen Risiken, die sehr nah am Verbrennungsmotor liegen, und jenen, die gut ausbalanciert sind. Wir haben uns daher bewusst für eine geplante Refinanzierung von Moody’s raten lassen. Und Moody’s hat uns bescheinigt, dass wir in der Transformation auf einem sehr guten Weg sind. Den wollen wir weiter beschreiten. Daher ist auf Sicht absehbar, dass wir mit Blick auf das Kreditrisiko eine hohe Akzeptanz haben werden.

Wie hoch ist aktuell Ihr Leverage?

Im vergangenen Jahr hatten wir einen Wert von etwas über 2. Wir rechnen damit, dass wir in diesem Jahr für das Gesamtjahr auf einen Wert um 1 kommen werden, und das ist aus unserer Sicht eine sehr gute Position.

Sind auch Teilverkäufe geplant?

Zur Verbesserung der Finanzposition werden wir keine Teilverkäufe vornehmen. Allerdings stellen wir uns wie alle Marktteilnehmer die Frage, ob wir in unseren Produktkategorien eine kritische Masse haben. Wenn wir das in bestimmten Produktfeldern nicht sehen und auch nicht erkennen, wie diese erreicht werden kann, dann würden wir eventuell auch über Verkäufe nachdenken. Wenn, dann handelt es sich dabei aber allenfalls um kleine Teilbereiche unseres Portfolios.

Sie haben 2020 kräftige Einsparungen vorgenommen. Sind weitere Maßnahmen notwendig?

Wir haben dem Umstand Rechnung getragen, dass unser Umsatz deutlich eingebrochen ist. Darüber hinaus haben wir im Sinne unserer Transformation ein sehr umfangreiches Restrukturierungsprogramm aufgesetzt, das sich mit einem Aufwand von 360 Mill. Euro niedergeschlagen hat. Durch die Maßnahmen haben wir eine positive Ebit-Marge von 1,5% vor Restrukturierung ausweisen können. Das ist im Kontext des Umsatzeinbruchs ein sehr gutes Ergebnis. Wir gehen davon aus, durch die Maßnahmen innerhalb der nächsten Jahre eine Ebit-Marge von 6% erreichen zu können. Mit den Ergebnissen, die wir dieses Jahr bislang weltweit erzielen, sehen wir uns auf einem sehr guten Weg dahin.

Haben Sie für 2021 ein Zwischenziel auf dem Weg zu den 6%?

Da gibt es einige Unsicherheitsfaktoren. Das betrifft den Absatzmarkt, der noch schwer einzuschätzen ist. Ein gewisser Teil der Marge ist auch volumenabhängig. Zudem sehen wir preisliche Herausforderungen aufgrund der Lieferengpässe bei einigen Zulieferprodukten.

Welche Kosten haben die Lieferprobleme bislang verursacht?

Mit Rohmaterial-, Komponentenpreissteigerungen, Frachtraten und Containerkosten können wir insgesamt mittlerweile schon von Kosten in Millionenhöhe sprechen.

Inwieweit spielt Kurzarbeit derzeit noch eine Rolle bei Mahle?

In den Peak-Zeiten in März und April 2020 waren wir sicher bei 70 bis 80%. Momentan befinden sich noch circa 15 bis 20% unserer Beschäftigten in Deutschland in Kurzarbeitsmaßnahmen. Die konkreten individuellen Kurzarbeitsumfänge orientieren sich an der standortspezifischen Situation, liegen aber durchschnittlich bei circa 10 bis 20%. Wir erwarten, dass wir das Instrument auch weiter brauchen, denn der Markt ist noch lange nicht da, wo er einmal war.

Gibt es regionale Unterschiede?

Wir sehen speziell, dass die asiatischen Märkte wirtschaftlich schneller aus der pandemiebedingten Krise gekommen sind als andere Regionen. Wir haben aber auch im brasilianischen Markt, der für uns in den vergangenen Jahren schwierig war, eine gute Erholung gesehen. Auch in Nordamerika spüren wir eine gute Erholung. Der deutsche Markt läuft durch die geschlossenen Geschäfte doch noch ziemlich hinterher.

Was bedeutet das für Ihre Cash-flow-Entwicklung in diesem Jahr?

Wir hatten bereits im vergangenen Jahr einen positiven Cash-flow und haben unsere Verschuldung so um 400 Mill. Euro reduzieren können. Der operative Cash-flow konnte im Vergleich zum Vorjahr deutlich von 514 Mill. auf 877 Mill. Euro gesteigert werden. Im ersten Quartal 2021 haben wir weitere 100 Mill. Euro an Schulden abgebaut, und wir gehen davon aus, dass eine fortgesetzte Verringerung der Verschuldung aufgrund positiver Cash-flows in diesem Jahr möglich ist.

Setzen Sie auf neue Partner, die dank alternativer Antriebstechnologien in den Markt drängen?

Das tun wir. Wir arbeiten auf der Brennstoffzellenseite mit der kanadischen Ballard Power Systems zusammen. Das läuft sehr gut. Darüber hinaus haben wir neue Marktakteure im Bereich der Elektromobilität als Kunden gewinnen können – gerade auch im asiatischen Raum. Für uns ist das eine wichtige Möglichkeit, um unsere ganzheitliche Systemkompetenz zu demonstrieren. Wir sind in vielen Bereichen der E-Mobilität ein führender Technologiepartner und sehen uns für das schnelle Voranschreiten der Elektromobilität in vielen Märkten gut aufgestellt.

Sie haben gerade ein Testzentrum für Wasserstofftechnologie eingerichtet. Mit Ballard als Partner?

Nein. Das Testzentrum betreiben wir in Eigenregie. Es dient der Weiterentwicklung der Brennstoffzelle, aber wir schauen uns hier auch das Thema Wasserstoff im Verbrennungsmotor an. Wir denken, dass Wasserstoff valide Anwendungsfelder in der Zukunft haben wird. Insbesondere für Lastkraftwagen auf der Langstrecke sehen wir große Vorteile bei wasserstoffbasierten Technologien.

Wann kann die Technologie Marktreife erlangen?

Kurzfristig wird es sicher nicht zu einer zu großen Verbreitung kommen. Allerdings passiert derzeit schon deutlich mehr, als das in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Dabei helfen auch die Wasserstoff-Strategien der EU und der Bundesregierung, die wir begrüßen. Mit unseren asiatischen Kunden haben wir sogar schon erste Serienanwendungen im Markt. Ab Mitte der Dekade können wir mit deutlichen Volumensteigerungen rechnen, denke ich.

Ist Europa mit Blick auf alternative Antriebe richtig unterwegs?

Wir sind mit verschiedenen Technologien im Weltmarkt unterwegs und sehen daher, wie auch andere Zulieferer, die technologische Einseitigkeit der politischen Diskussion in Europa mit einer gewissen Sorge. Wir sollten alle verfügbaren technischen Mittel nutzen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Technologieverbote sehen wir kritisch. Zudem sollte das Augenmerk darauf liegen, einen balancierten Ansatz zu wählen zwischen dem, was der Umwelt guttut und dem, was ökonomisch machbar sowie hinsichtlich der Auswirkungen auf die Be­schäftigung sozialverträglich ist. Die Energiewende in Deutschland hat gezeigt, wie wichtig es ist, ökologisch und ökonomisch effizient zu handeln. Das kann man so auch über die Verkehrswende sagen. Zumal diese global sicher in unterschiedlichem Tempo erfolgen wird. Hier wird es auch interessant sein zu sehen, welchen Weg die neue US-Administration diesbezüglich einschlagen wird.

Das Interview führte