Autoindustrie

Mercedes kommt Luxusstrategie teuer zu stehen

Während Tesla eine Wachstumsstory schreibt, verabschiedet sich Mercedes aus Einstiegssegmenten und konzentriert sich auf die Nische. Die Luxusmarken S-Klasse, Maybach, AMG und G-Klasse sind die neue Seele des Konzerns. Das kann für den schwäbischen Autobauer teuer werden.

Mercedes kommt Luxusstrategie teuer zu stehen

Am Mittwoch stellt Mercedes die Ergebnisse des zweiten Quartals vor. Nach der Marketing-Show Mitte Mai an der französischen Côte d’Azur, bei der Firmenchef Ola Källenius „The Soul of Mercedes-Benz“ bemühte, wäre alles unter 15% Umsatzrendite schlecht. Erst recht im Vergleich zu Elon Musk. Trotz holprigen, kostenträchtigen Gigafactory-Anlaufs in Austin, Texas, und Grünheide sowie der Lockdown-Malaise in Schanghai hat Tesla im zweiten Quartal 15% Umsatzrendite geschafft. Im ersten Kalenderviertel waren es sogar 19%. Läuft die Tesla-Produktion in der zweiten Jahreshälfte einigermaßen, dürften 20% kein Problem sein.

Während Tesla eine Wachstumsstory schreibt, verabschiedet sich Mercedes aus Einstiegssegmenten und konzentriert sich auf die Nische. Die Luxusmarken S-Klasse, Maybach, AMG und G-Klasse sind die neue Seele des Konzerns. Teure Autos mit hohem Gewinn statt A- und B-Klasse oder Taxifahrer. So stieg der Durchschnittspreis der Mercedes-Autos im ersten Quartal auf 53742 Euro. Für den Autokäufer kommen noch mehr als 10% für das Autohaus drauf; sprich: unter 60000 Euro geht wenig. Folgt man der selbsterfundenen Theorie „Economics of Desire“, klettern die Mercedes-Preise in Zukunft noch steiler bergauf.

Wie genial ist diese Strategie? Die Autoindustrie durchläuft die größte Transformation seit Karl Benz und Gottlieb Daimler. Einerseits der Übergang zum Elektroauto, andererseits die noch gewaltigere Herausforderung des Software-Defined Car, mit autonomem Fahren als epochaler Innovation. Die Basis beider Transformationen bildet eine neue Welt von Super-Scales, also Kostenvorteilen durch Größe. Super-Scales prägen Tech-Unternehmen wie Alphabet, Apple und Microsoft und waren bisher in der Autoindustrie fremd. Gleichteile zwischen Kompakt- und Mittelklasse-Fahrzeugen – also Ge­triebe, Motoren, Achsen – definieren die Kostenvorteile der alten Autowelt. Im Vergleich zu den Scales der Tech-Giganten sind diese Kostenvorteile marginal.

Der wichtigste Kostenfaktor beim Elektroauto ist die Batterie. Batteriezellen machen bis zu 50% der Wertschöpfung aus. Die Fahrzeugarchitektur ist diametral zum Verbrenner. Man braucht nicht x unterschiedliche Plattformen, sondern nur noch eine sogenannte Skateboard-Architektur. So plant der VW-Konzern in Zukunft nur mit einer Plattform. Damit entwickeln sich die überschaubaren Scales zu Super-Scales.

Noch größer ist der Sprung beim Software-Defined Car, etwa dem autonomen Fahren. Die Software wird wie bei Apple und Microsoft einmal entwickelt und millionenfach mit null Kosten dupliziert. Tech-Konzerne werden durch Super-Scales getrieben. Die Autobauer werden Tech-Konzerne oder sie werden von Tech-Konzernen abhängig. Dort liegen künftig die Gewinne und nicht in einem antiquierten Luxus.

Welchen Sinn macht in so einer Welt die einseitige Festlegung auf Superluxus? Mercedes-Chef Källenius bemüht die Modeartikelbranche mit Damenhandtaschen des Luxusherstellers Hermès. Handtaschen sind Handwerkerware. Scales spielen keine Rolle. Hermès macht mit 16600 Mitarbeitern knapp 7 Mrd. Euro Umsatz. Mercedes-Benz erzielte zuletzt 168 Mrd. Euro Umsatz mit 172000 Beschäftigten. Reicht die Luxusnische handwerklicher Kunst, um in der Autowelt der Super-Scales erfolgreich zu sein? Elon Musk hat das mit Tesla auf seine Art beantwortet. So schnell wie möglich mit Giga-Factories in Super-Scales einsteigen, auch wenn es an der ein oder anderen Stelle klemmt. Nicht handwerkliche Tugenden, sondern Tech-Innovationen sind das Ding von Musk.

Deckungsbeitrag beachten

Selbst in bodenständiger Umgebung wirft das Kappen von Einstiegsmodellen Fragen auf. Jeder Ökonomiestudent weiß, dass es sinnvoll sein kann, Produkte mit negativem Gewinn – also Verlust – im Produktportfolio zu behalten, können sie doch bei positivem Deckungsbeitrag die Gesamtgewinnsituation verbessern. Dazu ein Zahlenvergleich: Mercedes Cars ohne die A- und B-Klasse schrumpft um jährlich 400000 Fahrzeuge. Vergangenes Jahr hätte die „Rumpf-Mercedes-Cars“ 1,9 Millionen Verkäufe erzielt. Dabei sind Taxen oder Einstiegs-SUVs noch gar nicht abgezogen. Die BMW Group hat zur gleichen Zeit 2,5 Millionen Autos abgesetzt. Damit hat Mercedes Cars ohne die Kompakten einen Skalierungsnachteil von mehr als 600000 Fahrzeugen. Für die S- oder G-Klasse ist das kein Problem. Aber bei den preissensiblen Segmenten der C- und E-Klasse läuft man in ein Kostenproblem oder in schrumpfende Verkäufe, wenn man eine simple Kostenzuschlagskalkulation macht.

Natürlich kann man preisgünstige Batterien, etwa vom Partner ACC, einsetzen, so wie sie bei Peugeot, Opel oder Fiat verbaut werden. Aber ist das Mercedes? Ähnliches gilt für die nächste große Revolution des Software-Defined Car. Auch hier ist unklar, wie Mercedes genau verfahren will. Revenue-Modelle geistern durch die Presse. Damit beraubt man sich der richtig fetten Profite.

Es bleibt viel nebulös bei den „Economics of Desire“. Durch Werbefilmchen wird es nicht klarer. Und man denke nur an die wachsende Abhängigkeit vom chinesischen Markt. Die „Soul of Mercedes-Benz“ wandert nach China, denn dort liegt der wahre Luxusmarkt. Schon der Begriff Luxus assoziiert dabei eher Feudalismus statt ein in die Zeit passendes Narrativ. Das Auto von morgen ist keine Damenhandtasche.

Super-Scales treiben die Autoindustrie, die sich zur Tech-Branche wandelt. Ist man geschrumpft, gibt es kein Zurück – es sei denn durch Integration in einen großen Konzern wie die Geely Holding. Der Prozess ist irreversibel. Super-Scales sind die Grundlage natürlicher Monopole, und die kann man nicht durch schwäbisches Sparen à la Källenius schlagen.