JSA24Renaissance der Kernkraft

Mini-Atommeiler erleichtern Energiewende

Während sich Großprojekte verzögern und die Kosten aus dem Ruder laufen, könnten kleine Reaktoren in Modularbauweise die Lösung für große Stromverbraucher sein.

Mini-Atommeiler erleichtern Energiewende

Mini-Atommeiler erleichtern Großbritannien die Energiewende

Während sich Großprojekte verzögern und die Kosten aus dem Ruder laufen, könnten kleine Reaktoren in Modularbauweise die Lösung für große Stromverbraucher sein.

Von Andreas Hippin, London

Der französische Staatskonzern EDF hat mit der Ankündigung, vier britische Atomkraftwerke vorerst weiter zu betreiben, bei vielen Briten Erleichterung ausgelöst. Denn nach der Stilllegung des letzten Kohlekraftwerks ist das Land in hohem Maße auf Stromimporte angewiesen, wenn der Wind nicht ausreichend weht und die Sonne nicht scheint.

„Sauber“ und verlässlich

Ohne Atomkraft sei das Ziel einer „sauberen“ Stromversorgung ab 2030 nicht zu erreichen, gab Energieminister Ed Miliband (Labour) zu. Sie stelle eine verlässliche Quelle „sauberer“ heimischer Energie dar. Doch schon der Vorgängerregierung fehlte es an Investoren für neue Atomkraftwerke.

EDF kann die längst abgeschriebenen Meiler mit vergleichsweise geringem Aufwand weiterproduzieren lassen. Sie sollen dazu beitragen, die Versorgungslücke zu schließen, die sich aus den Verzögerungen bei der Fertigstellung des ersten AKW-Neubaus seit Jahrzehnten ergibt. Hinkley Point C wird nach aktuellem Stand erst 2030 ans Netz gehen. Ursprünglich sollte es schon zu Weihnachten 2017 so weit sein.

Unabhängig vom Netz

Unterdessen steigt durch die Mobilitätswende und den Abschied von Gasheizungen der Stromverbrauch. Rechenzentren tragen weltweit ebenfalls dazu bei. Nach Schätzung des Marktforschers Gartner werden sie 2027 pro Jahr 500 TW/h benötigen, um KI-optimierte Server zu betreiben. Das wäre das 2,6-Fache dessen, was sie im vergangenen Jahr verbrauchten. Zwei Fünftel der bestehenden Rechenzentren könnten dann wegen Energiemangels mit betrieblichen Einschränkungen zu kämpfen haben.

„Wesentliche Stromverbraucher arbeiten mit großen Stromproduzenten daran, sich langfristig garantierte Stromquellen zu sichern, die unabhängig von der sonstigen Nachfrage im Netz sind“, sagt der Gartner-Analyst Bob Johnson. Dass das nicht reibungslos vonstatten geht, musste Amazon erfahren.

Zielgruppe Hyperscaler

Die Federal Energy Regulatory Commission untersagte einen Deal, der einem Rechenzentrum zusätzlichen Strom von einem nahegelegenen Atomkraftwerk von Talen Energy in Pennsylvania verschaffen sollte. Google kündigte im Oktober an, bis 2030 den ersten Strom aus einem Mini-AKW von Kairos Power beziehen zu wollen. Bis 2035 sollen weitere Mini-Meiler folgen. Auch in Großbritannien gehören Hyperscaler, wie die großen Cloud-Anbieter auch genannt werden, zu den Zielgruppen der Unternehmen, die Mini-Atommeiler in Modularbauweise (Small Modular Reactors) errichten wollen. Die Rechenzentrumsbetreiber wollen die Risiken bei der Strombeschaffung minimieren. Zudem geht es ihnen darum, ihren CO2-Fußabdruck klein zu halten. Weitere potenzielle Interessenten sind Stahlwerke und Produzenten von E-Fuels.

Die Energieprobleme von Tata Steel im Süden von Wales sind weithin bekannt. Dort will das US-Startup Last Energy auf der Fläche des ehemaligen Kohlekraftwerks Llynfi vier Mini-Reaktoren errichten. Es verfügt mit dem PWR-20 über ein eigenes Reaktordesign.

Veteranen der Atomindustrie

In der Industrieregion Teesside im englischen Nordosten hat die Schwerchemie eine lange Tradition. Die synthetische Herstellung von Kraftstoffen mit Hilfe von „sauberen“ Energien passt gut in die dortige Landschaft. Das Startup Community Nuclear Power brachte dort im Februar das erste privat finanzierte SMR-Projekt in Europa an den Start. Dahinter stecken Veteranen der britischen Atomindustrie. Sie wollen als Entwickler auftreten, die den schlüsselfertigen Mini-Atommeiler an den künftigen Betreiber abgeben.

Rolls-Royce wirbt seit Jahren für die Technologie. Daneben drängen US-Konzerne wie Westinghouse auf den britischen Markt. Rolls-Royce ist im Zulassungsprozess weit fortgeschritten, muss sich für die Produktion aber erst eine Beschaffungskette aufbauen.

Neun Jahre bis der Strom fließt

Westinghouse ist noch nicht so weit im Zulassungsverfahren. Dafür entsprechen mehr als zwei Drittel der Komponenten des AP300 denen des bereits zugelassenen AP1000. Die Beschaffungskette ist also bereits weit entwickelt.

Eine der zentralen Fragen ist, wie lange es dauert, bis der erste Strom aus Projekten fließt, die nun an den Start gehen. Community Nuclear Power geht von einem fünfjährigen Planungs- und Genehmigungsverfahren aus, dem weitere fünf Jahre Bauzeit folgen. Die könne man vielleicht auf vier Jahre verringern. Dann wären es insgesamt neun Jahre.

Klimafonds potenzielle Investoren

Wer die erste Phase finanziert? Neben den üblichen Risikokapitalgebern und Private-Equity-Gesellschaften könnten Cloud-Anbieter in das Derisking ihrer Beschaffungskette investieren. Ölproduzenten könnten so ihr Engagement für die Energiewende demonstrieren. Und dann sind da noch Klimafonds. Denn je nachdem, wie man so ein Projekt aufsetzt, lassen sich dadurch ein Großteil wenn nicht fast alle UN-Nachhaltigkeitsziele erfüllen. Schließlich geht es um die Reindustrialisierung strukturschwacher Regionen mit Hilfe von „sauberer“ Energie.

Great British Energy Bill

Natürlich spielt eine große Rolle, wie sich die Regierung positioniert. Das von Miliband vorgelegte Great British Energy Bill, das die Einrichtung eines staatseigenen Energieunternehmens vorsieht, wird derzeit im Oberhaus diskutiert.


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