Nachhaltigkeit im Spiegel von Investoren-Erwartungen
Institutionelle Investoren legen mittlerweile öffentlichkeitswirksam einen starken Fokus auf Nachhaltigkeit und nachhaltiges Wirtschaften ihrer Investments. Im Rahmen von Auftritten und Veröffentlichungen betonen sie die Bedeutung des Themas, wie nicht zuletzt die jährlichen Briefe des Blackrock-CEO und -Chairman an die CEOs seiner Investments zeigen. Allerdings weichen die konkreten Nachhaltigkeitsvorstellungen der einzelnen Akteure zum Teil erheblich voneinander ab und sind auch in sich nicht immer konsistent – eine Situation, wie sie vielen Unternehmen noch aus früheren Debatten um die Ausgestaltung und Kommunikation der Vorstandsvergütung in Erinnerung sein wird.
Für Unternehmen bietet sich als Orientierungshilfe auch in diesem Fall der Blick in die jeweiligen Abstimmungsrichtlinien ihrer Investoren und Stimmrechtsberater an, halten diese Proxy Voting Guidelines doch in schriftlicher Form die wesentlichen Erwartungen und Forderungen der Kapitalgeber an ihre Emittenten fest.
Eine aktuelle Studie der HKP Group hat die in diesen Abstimmungsrichtlinien formulierten Vorgaben der wesentlichen, in Dax-Unternehmen engagierten Investoren in puncto Nachhaltigkeit analysiert und dabei durchaus überraschende Erkenntnisse gewonnen. So zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den insgesamt 15 betrachteten US-amerikanischen und europäischen Investoren (darunter im Übrigen keiner aus Großbritannien) sowie ihren beiden wichtigsten US-Stimmrechtsberatern ISS und Glass Lewis.
Unterschiede im Detail
Während US-amerikanische Vertreter, die die Mehrheit der Top-15- Investoren im Dax stellen und 70% des verwalteten Kapitals (Assets under Management) der Top-15-Investoren im Dax repräsentieren, oftmals keine expliziten Forderungen in Sachen Nachhaltigkeit formulieren, besetzen europäische und speziell deutsche Investoren hier eine klare Position. Exemplarisch dafür steht ihre Forderung nach einer Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen in der Vorstandsvergütung.
Allerdings unterscheiden sich die Erwartungen im Detail. Auf der einen Seite finden sich Allianz Global Investors, die auf Hauptversammlungen großer europäischer Gesellschaften konsequent gegen die Billigung von Vergütungssystemen und -berichten ohne darin integrierte Nachhaltigkeitsziele stimmen wollen. Die konkrete Detaillierung der Ausgestaltung von Nachhaltigkeitszielen überlassen sie hingegen den Unternehmen. Auf der anderen Seite steht Union Investment mit einem stärkeren Fokus auf der Art und Weise der Implementierung von Nachhaltigkeitszielen, wobei präzise Anforderungen an die Ausgestaltung der entsprechenden Ziele formuliert werden. Diese sollen aus der Strategie abgeleitet werden, messbar, transparent und nachprüfbar sowie in der langfristigen variablen Vergütung verankert sein.
Die US-amerikanischen Investoren sowie Stimmrechtsberater im Studienfeld fordern keine obligatorische Integration von Nachhaltigkeitszielen in die Vorstandsvergütung. Jedoch legen sie ihr Augenmerk auf die Art und Weise einer möglichen Implementierung und formulieren Rahmenbedingungen. Insgesamt steht der Pay-for-Performance-Gedanke bei dieser Investorengruppe im Vordergrund, weniger die Verpflichtung auf konkrete Nachhaltigkeitsziele.
Capital Group geht sogar so weit, Aktionärsbeschlüsse, die Nachhaltigkeitsziele in der Vorstandsvergütung fordern, grundsätzlich abzulehnen. Sie repräsentiert damit eine derzeit vor allem in den USA aktiver werdende Fraktion an Kapitalgebern, die eine vermeintlich zu starke Gewichtung von Nachhaltigkeit bzw. ESG in der Kapitalanlage ablehnen und/oder der aktuellen Entwicklung vom Shareholder- zum Stakeholder-Kapitalismus mit unverhohlener Skepsis begegnen.
Weitere Diskrepanzen in den Forderungen der Top-15-Investoren im Dax lassen sich in puncto Nachhaltigkeitskompetenzen im Aufsichtsrat beobachten. Seitens der US-amerikanischen Vertreter werden derartige Erwartungen nicht formuliert oder – wie zum Beispiel von State Street Global Advisors – nur in Ausnahmen gefordert. In erster Linie stellen europäische Investoren Anforderungen an Nachhaltigkeitsexpertise in den Aufsichtsräten und fordern, dass deren Mitglieder entsprechende Kompetenzen nachweisen können.
Im Zuge der von europäischen Investoren und auch dem im vergangenen Jahr reformierten Deutschen Corporate Governance Kodex geführten Debatte zu Nachhaltigkeitskompetenzen im Aufsichtsrat wird derzeit breit die Einrichtung expliziter Nachhaltigkeitsausschüsse diskutiert, um die Befassung mit diesen Aspekten in einem dezidierten Ausschuss zu konzentrieren. Der Wunsch nach einer solchen Bündelung ist allerdings in keiner der untersuchten Abstimmungsrichtlinien eines Investors oder Stimmrechtsberaters formuliert. Die Protagonisten überlassen es vielmehr den Unternehmen, wie deren Aufsichtsrat sich in Nachhaltigkeitsbelangen organisatorisch und prozessual aufstellt.
Kompetenz im Aufsichtsrat
An dieser Stelle sei die Frage nach dem Sinn und Zweck der Einrichtung eines derartigen Ausschusses aufgeworfen – oder ob nicht die Behandlung von Nachhaltigkeitsthemen über den gesamten Aufsichtsrat und seine Ausschüsse hinweg vielmehr eine Querschnittsaufgabe darstellt. Nachhaltigkeit ist heute zum elementaren Bestandteil von Unternehmensstrategien avanciert. Doch wird die Befassung damit ausschließlich in einem speziellen Aufsichtsratsausschuss dieser Entwicklung gerecht? Eher nein, zumal die Definition von Nachhaltigkeit vielschichtig ist, immer unternehmensspezifische Ausprägungen haben sollte und sich nicht auf eine „Öko-Kompetenz“ reduzieren lässt.
Heterogenes Bild
Insgesamt belegt die aktuelle Analyse der Erwartungen der einflussreichsten Investoren in Dax-Unternehmen und ihren Stimmrechtsberatern zu Nachhaltigkeit im Aufsichtsrat ein heterogenes Bild. Es zeigen sich fundamentale Unterschiede zwischen europäischen und US-amerikanischen Vertretern. Gleichzeitig stehen in manchen Fällen die in den Abstimmungsrichtlinien formulierten Erwartungen den öffentlichen Äußerungen der jeweiligen Investoren bei weitem nach.
Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen sollten derartige Töne durchaus ernst nehmen, sich aber davon nicht verunsichern lassen. Idealerweise suchen sie frühzeitig den Dialog mit ihren Investoren, um grundsätzliche wie auch wichtige Detailaspekte der Verankerung von Nachhaltigkeit in den klassischen Aufsichtsratsthemen der Organisation und Zusammenarbeit, der Kompetenzen und Zusammensetzung sowie der Steuerung und Vergütung angemessen bzw. zielführend im Sinne des Unternehmens wie auch seiner Kapitalgeber zu integrieren.