Luka Mucic

„Nicht überall hat SAP den Stein der Weisen“

CFO Luka Mucic spricht im Interview über die richtige Balance beim Qualtrics-IPO, die Bedeutung von Partnern, den Zukauf Signavio und die drei großen Vorteile des neuen Angebots „Rise with SAP“.

„Nicht überall hat SAP den Stein der Weisen“

Sebastian Schmid.

Herr Mucic, ich denke, zu dem Qualtrics-Börsengang kann man nur gratulieren. Allerdings bleibt die Frage, ob der Preis angesichts des Kurssprungs am ersten Handelstag vielleicht zu niedrig angesetzt war?

Wir haben in der Tat gespürt, dass es von Anfang an ein sehr hohes Investoreninteresse gegeben hat. Daher wurde ja auch die Preisvorstellung am Ende dreimal nach oben angepasst. Angefangen bei 20 bis 24 über 22 bis 26 sind wir dann auf 27 bis 29 Dollar hochgegangen und konnten dann am Ende des Tages noch einmal einen Schnaps obendrauf legen. Wir wollten aber natürlich auch eine gute Balance finden. Es geht ja nicht nur darum, einen guten Preis für die SAP und ihre Anteilseigner zu finden, sondern auch darum, die richtigen Investoren zu finden, die langfristig orientiert sind und nicht nach dem Ende der Lock-up-Periode gleich Kasse machen wollen. Zudem wollen wir natürlich auch ein Niveau, das für Mitarbeiter und Management von Qualtrics einen guten Startpunkt darstellt, um an der Wertentwicklung zu partizipieren. Gerade in den USA hängt die Vergütung ja zu einem bedeutenden Teil am Aktienkurs. Ich denke, wir haben da einen guten Mittelweg gefunden.

Ist das erfolgreiche IPO auch eine Genugtuung nach der teils harschen Kritik am hohen Kaufpreis 2018?

Wenn ich an die Kritik zurückdenke, die wir wegen den 8 Mrd. Dollar Kaufpreis teils bekommen haben, meine ich schon, dass wir unter Beweis gestellt haben: Die Entscheidung war damals auch aus finan­ziellen Gesichtspunkten die absolut richtige.

Wollen Sie die Option wahrnehmen, mit der Zeit Ihren Anteil zu reduzieren und eventuell den Streubesitz bei Qualtrics zu erhöhen?

Wir werden uns über die Zeit ansehen, wie sich Qualtrics entwickelt, und dabei berücksichtigen, wie unser eigener Bedarf aussieht. Aber wir müssen natürlich auch die strategischen Überlegungen für Qualtrics selbst im Blick behalten. Das Unternehmen bekommt durch den IPO jetzt erst einmal rund 500 Mill. Dollar und ist damit sehr gut kapitalisiert. Aber es gibt sicherlich die Option, im Verlauf eine Kapitalerhöhung vorzunehmen, um Qualtrics weitere Mittel zur Verfügung zu stellen. Aber ehrlich gesagt sind das alles Themen, mit denen wir uns jetzt noch nicht befassen. Wir haben da künftig viele Optionen, und das ist natürlich sehr angenehm.

Angenehm dürfte auch der Buchgewinn ausfallen?

Am Abend des ersten Handelstags lag die implizierte Marktkapitalisierung bereits bei 27 Mrd. Dollar. Da ist sicher ein guter Buchgewinn drin, den wir aber nicht über unsere Gewinn- und Verlustrechnung, sondern über unsere Bilanz realisieren. Es wird damit unser Eigenkapital entsprechend erhöhen, was aber an sich relativ unspektakulär ist. Aber darauf kam es uns bei dem Börsengang auch gar nicht an. Wir wollten Qualtrics unabhängiger aufstellen für Kunden und Partnerschaften außerhalb des SAP-Universums, aber auch, um eigene Akquisitionen vornehmen zu können. Das Going Public hatte also einen rein strategischen und keinen finanzmathematischen Hintergrund.

SAP selbst hat unlängst auch eine Partnerschaft intensiviert, nämlich die mit Microsoft. Werden Partner in Ihrer erneuerten Cloud-Strategie künftig eine noch wichtigere Rolle einnehmen?

Wir arbeiten schon lange mit Partnern zusammen, sehen aber gerade bei unserer derzeitigen Strategie für die Cloud tolles Potenzial für unsere Partner, uns dabei zu unterstützen. Gerade an Stellen unseres Portfolios, an denen wir denken, dass wir über Partner schneller vorankommen als mit Eigenentwicklungen, agieren wir entsprechend. Im vergangenen Jahr haben wir etwa unser Messaging-Geschäft Digital Interconnect an die schwedische Sinch verkauft – einfach weil wir glauben, dass sich so ein Geschäft bei einem Spezialisten, der das als sein Kerngeschäft versteht, besser entwickeln kann. Viele Innovationen, etwa in der „Industry Cloud“ sind Co-Innovationen, die wir gemeinsam mit Kunden und Partnern entwickeln. Denken Sie zum Beispiel an unsere Partnerschaft mit Siemens im Bereich Product Lifecycle Management. Nicht überall hat SAP den Stein der Weisen gefunden, so dass es für uns immer sinnvoll ist, auch über Partnerschaften nachzudenken.

Ein wenig vom Stein der Weisen versprechen Sie künftig aber Ihren Kunden mit „Rise with SAP“, das eine Rundum-Unterstützung für die digitale Transformation bieten soll – inklusive Prozessoptimierung. Ist das vom Aufwand her überhaupt zu leisten?

Natürlich setzen wir auch hier stark auf unser Partner-Ökosystem mit Beratungsfirmen wie Deloitte, Accenture und vielen anderen. Deswegen waren diese auch alle bei unserem Launch-Event in der zurückliegenden Woche dabei. Allerdings hängt die Frage des Aufwands auch stark vom Kunden ab. In weniger differenzierten Industrien mit weniger stark individualisierten Prozessanforderungen ist der Aufwand oft überschaubar. Da gibt es Kunden, die in wenigen Monaten, einige sogar in wenigen Wochen auf S/4Hana in der Cloud migriert sind. Auf der anderen Seite gibt es natürlich die hochkomplexen Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe, die global vernetzt sind und für die eine Transformation in die Cloud sicher ein längerer Weg mit mehreren Schritten ist. Die Herangehensweise und der Endpunkt ist für jeden Kunden von Rise with SAP gleich. Nur der Weg dorthin ist in Bezug auf Geschwindigkeit und Umfang der Transformation schon sehr unterschiedlich.

Ein Ziel ist es, mehr SAP-Kunden von S/4Hana in der Cloud zu überzeugen. Wie sind denn Ihre Kunden auf die verschiedenen ERP-Systeme verteilt?

Wenn wir mal die ganz kleinen Kunden, die etwa unserer Business-One-Lösung, weglassen und nur das klassische R3und S4/Hana betrachten, dann haben wir je nach Zählweise und Definition zwischen 35000 und 40000 ERP-Kunden. Davon haben 16000 S4/Hana erworben. 8700 davon haben das System bereits im Einsatz. Zudem haben wir circa 4200 aktuell laufende Implementierungsprojekte. Von den 16000 S/4Hana-Kunden haben etwa 3300 S/4Hana in der Cloud. Knapp 2000 von diesen haben das System bereits im Live-Einsatz. Das sind aber Kunden, die wirklich überwiegend erst in den vergangenen ein bis zwei Jahren dazugekommen sind. Zuvor war das Software-Lizenzmodell praktisch durchweg der Standard. Mit einem annualisierten Umsatz von bei­nahe 800 Mill. Euro ist S/4Hana in der Cloud aber schon ein ordent­liches Geschäft in der Größenordnung von Qualtrics oder sogar etwas größer und wächst auch in einem ähnlichen Umfang. Und mit Rise with SAP denken wir, dass wir das Potenzial noch einmal stärker ausschöpfen können.

Wie war denn der Anteil an Cloud-Aufträgen im Vergleich zu Softwarekäufen bei S/4Hana im vierten Quartal?

Vom Umsatz her war durch große Kundengewinne wie Shell, L’Oréal und Unilever natürlich das Lizenzgeschäft deutlich größer. Aber insgesamt geht der Auftragseingang schon immer mehr in Richtung Cloud. Ab dem ersten Quartal werden wir uns dazu auch detaillierter äußern und damit für entsprechende Transparenz sorgen.

Was sind die Vorteile für die Kunden, mit Rise with SAP in die Cloud zu gehen? Oder ist es Ihnen am Ende egal, ob der Kunde lieber einfach Lizenzen kauft?

Das sicher nicht. Wir haben schon eine klare Präferenz dafür, dass unsere Kunden mit uns in die Cloud gehen, auch wenn es uns immer wichtig war, sie nicht dorthin zu zwingen. Das Angebot hat aber einfach so viele Vorteile, dass es sich ganz natürlich durchsetzen wird. So war es übrigens auch bei der Einführung von Enterprise Support gegenüber unserem Standard Support. Anfangs war der Aufschrei groß, als wir den Standard Support nicht mehr anbieten wollten, und mittlerweile hat sich der Enterprise Support wegen der Vorteile bei den Kunden klar durchgesetzt. So wird es auch bei ERP in der Cloud sein.

Welche Vorteile hat Rise für die Kunden?

Das sind im Prinzip drei große Vorteile. Wir haben validiert, dass die Gesamtnutzungskosten (TCO) mit Rise with SAP bei unseren 130 Testkunden im Schnitt um 20% niedriger sind als bei reinen On-Premise-Lösungen. Der zweite große Vorteil ist, dass unsere Kunden nur einen einzigen Ansprechpartner anrufen müssen, wenn Probleme auftreten. Das ist SAP. Üblicherweise haben die Kunden mehrere Implementierungspartner und müssen, wenn Probleme entstehen, erst einmal herausfinden, wer letztlich verantwortlich ist. Der dritte Vorteil ist, dass es nicht nur eine Cloud-Transformation ist, sondern auch eine Hilfe, Prozesse zu modernisieren und Geschäftsabläufe effizienter und einfacher zu gestalten. Individualisierung wurde in der Vergangenheit oft gegenüber Agilität priorisiert. Das hat sich in der Coronakrise schon sehr gewandelt, wie wir beobachtet haben. Heute werden die IT-Abteilungen von ihrem Management stärker angehalten, die Transformation zu beschleunigen und nicht die kleinsten Details individuell auszugestalten.

Ihr jüngster Zukauf Signavio spielt bei Rise auch eine wichtige Rolle bei der Prozessoptimierung. Kennen Sie das Unternehmen schon lange?

Wir haben eine lange Historie der Zusammenarbeit mit Signavio. Wir selbst nutzen deren Prozess-Management Suite auch intern als Kunde. Das heißt, wir sparen uns künftig auch ein bisschen Lizenzgebühren. Aber ernsthaft: Es gibt viele Anknüpfungspunkte, und wir hatten schnell eine Idee, wie wir die Produkte beider Häuser zu einer gemeinsamen Prozess-Optmierungs-Suite entwickeln können und dabei praktisch keine Überlappungen haben. Das bringt natürlich viele Synergien. Signavio ist zudem nicht nur eine Ausgründung des Hasso-Plattner-Instituts, sondern zählt auch viele ehemalige SAP-Mitarbeiter an bedeutender Stelle. Daher erwarten wir auch kulturell, dass das eine reibungslose Integration geben wird. Und das freut mich natürlich auch persönlich, da ich neben dem Finanzressort nun ja auch den operativen Bereich Business Process Intelligence im SAP-Vorstand verantworte.

Trotz Signavio-Kauf ist SAP finanziell sehr robust – umso mehr nach dem Qualtrics-IPO. Sind auch größere Zukäufe denkbar?

Tatsächlich sind wir bei SAP in einer finanziell sehr komfortablen Situation. Wir haben 2020 mit einem Verhältnis von Nettoschulden zu Ebitda von 0,8 abgeschlossen und wollen dieses Jahr noch einmal über 2 Mrd. Euro an Schulden zurückführen. Insofern könnten wir fraglos auch größere Zukäufe stemmen. Aber wir akquirieren nicht um des Akqui­rierens willen. Wir planen eher sinnvolle Ergänzungen in unserem Portfolio, wie wir dies jetzt mit Signavio gemacht haben. Uns gehen da sicher auch die Ideen nicht aus, so dass wir immer mal wieder Zukäufe erwä­gen werden. Die dürften sich aber aller Voraussicht nach auf dem Niveau kleinerer Tuck-ins mit maximal 1Mrd. Euro Kaufpreis bewegen.

Können die Investoren denn eine höhere Ausschüttung erwarten?

Zur vorgeschlagenen Höhe muss sich der Aufsichtsrat noch Gedanken machen. Aber wir haben den Gewinn um 57% gesteigert und haben eine klare Dividendenpolitik, dass wir mindestens 40% unseres Nettogewinns ausschütten wollen. Daran werden wir uns sicher halten. Daher gehe ich davon aus, dass der Dividendenvorschlag an die Hauptversammlung am Ende niemanden enttäuschen wird.

Zuletzt war die SAP-Aktie von alten Höchstständen noch weit entfernt. Sind Aktienrückkäufe ein Thema?

Auch das obliegt letztlich dem Aufsichtsrat. Prinzipiell ist unsere erste Priorität die Investition in unser Geschäft. Da haben wir in den kommenden beiden Jahren signifikante Investitionen vor, die auch noch mal höher sind als zuletzt. Dann kommt der Schuldendienst, bei dem wir 2021 auch wieder signifikante Rückführungen geplant haben. Über die Dividende haben wir schon gesprochen, auch über die kleineren Akquisitionen. Und wenn darüber hinaus noch Geld übrig wäre, können wir uns über Rückkäufe Gedanken machen. Aber dem will ich nicht vorgreifen. Aber sicher sind wir aus meiner Sicht nicht im Rahmen unseres Potenzials in der Cloud bewertet – gerade mit Blick auf unsere Multiples, verglichen mit anderen Cloud-Dienstleistern.

Das Interview führte

BZ+
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