„Ohne Gaseinstieg kein Kohleausstieg“
IM INTERVIEW: HANS-JÜRGEN BRICK
„Handlungsbedarf beim Thema Bezahlbarkeit"
Amprion-Chef fordert mehr Tempo beim Kraftwerksbau und hält ein Plädoyer für den Erhalt der Eigenständigkeit des Übertragungsnetzbetreibers
Amprion-Chef Hans-Jürgen Brick sorgt sich um die Bezahlbarkeit der Energiewende: „Es geht nicht um den maximalen, sondern um den optimalen Ausbau der erneuerbaren Energien“, sagt er im Interview. Den Einstieg des Staats bei den Übertragungsnetzbetreibern verfolgt Brick mit Argwohn.
Herr Brick, lange ging es bei der Energiewende nur um den Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Ausbau der Stromnetze ist aber mindestens genauso wichtig. Wo liegt aus Ihrer Sicht der Engpass?
Heute besteht Klarheit darüber: Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss mit dem Netzausbau verzahnt werden. Mit dem Klimaneutralitätsnetz 2045 ist jetzt erstmals in den Fokus gerückt, dass es um das Energiesystem in seiner Gesamtheit geht und nicht nur um Erneuerbare. Das heißt, es geht nicht um den maximalen, sondern den optimalen Ausbau der erneuerbaren Energien.
Worin unterscheidet sich das Optimum vom Maximum?
Wir müssen das gesamte Energiesystem in den Blick nehmen und dabei die Wechselwirkung zwischen Strom, Gas, Wärme und Wasserstoff berücksichtigen. Das Optimum ist erreicht, wenn die Ziele Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Bezahlbarkeit erfüllt sind.
Ist das Optimum gleichbedeutend mit weniger Erneuerbaren?
Es geht darum, das neue Energiesystem so effizient wie möglich zu gestalten und sich nicht in Details zu verlieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Bundesregierung hat jetzt festgelegt, dass die Elektrolyseure im Wasserstoffkernnetz an systemverträglichen Stellen positioniert werden. Das reduziert den erforderlichen Netzausbau und kann dazu führen, dass wir die letzten Kilowatt an Ausbau vielleicht gar nicht mehr benötigen.
Hans-Jürgen BrickWir haben Handlungsbedarf beim Thema Bezahlbarkeit
Was bedeutet es, die Elektrolyseure an systemverträglichen Stellen zu platzieren?
Das heißt, sie dort zu bauen, wo die Windeinspeisung am höchsten ist, also insbesondere im Norden Deutschlands. Andernfalls laufen wir mit der Kabeltrommel durch das Land, um sie anzuschließen. Diese Kosten sollten wir vermeiden. Süddeutsche Standorte können über Elektrolyseure, über das Leitungsnetz oder auf anderen Transportwegen versorgt werden. Hier müssen wir zu einer sicheren und kosteneffizienten Versorgungsstruktur kommen.
Die Bezahlbarkeit scheint Ihnen die größten Bauchschmerzen zu bereiten.
Wir haben Handlungsbedarf beim Thema Bezahlbarkeit. Die Energiekosten in Deutschland sind zu hoch. Wir sollten alles daransetzen, Kosten zu vermeiden oder zu dämpfen. Beim Netzentwicklungsplan brauchen wir daher einen Robustheitscheck. Maßnahmen, die heute ergriffen werden, müssen der Überprüfung auch in zwei oder vier Jahren noch standhalten und sollten nicht ohne Weiteres in Gesetze gegossen werden.
An was denken Sie dabei?
Denken Sie beispielsweise an CCS (Carbon Capture & Storage) in der Kraftwerksstrategie. Wenn wir CCS zulassen, beeinflusst das den Netzausbaubedarf. Entscheidend ist, dass wir in der langfristigen Planung die technologieoffenen Lösungsansätze der Kraftwerkstrategie berücksichtigen. Das konnte aber im aktuellen Netzentwicklungsplan noch nicht geschehen.
Zur Person
Hans-Jürgen Brick sorgt sich um die Bezahlbarkeit der Energiewende. Zwar übt sich der Chef des Übertragungsnetzbetreibers Amprion in Zurückhaltung, wenn es um die Bewertung des eingeschlagenen Weges in der deutschen Energiewende geht. Doch mahnt auch er zu mehr Tempo beim Ausbau der gesicherten Erzeugung. Zwar ist für den Amprion-Chef zum Ende des Jahres Schluss, aufs Altenteil will sich der 63-Jährige jedoch nicht zurückziehen. Als zugelassener Rechtsanwalt und Steuerberater liebäugelt er mit der Selbständigkeit.
Was sind aus Sicht des Netzbetreibers die wichtigsten Themen bei der Ausgestaltung der Kraftwerksstrategie?
Geschwindigkeit steht an erster Stelle. Die Bundesregierung muss dringend mit den Auktionen starten und den für 2028 angekündigten Kapazitätsmechanismus gestalten. Mit anderen Worten: Die ersten Gaskraftwerke müssen spätestens 2030 in Betrieb sein. Gleichzeitig dürfen wir die Systemstabilität nicht aus dem Blick verlieren. Das ist unsere Verantwortung als Übertragungsnetzbetreiber. Für uns ist daher zentral, dass die Kraftwerke dort gebaut werden, wo sie netzdienlich sind. Im Rahmen der Ausschreibungen der Kraftwerke sollte dies unbedingt berücksichtigt werden.
Kalkuliert man, dass zwischen Entscheidung für den Bau und der Inbetriebnahme eines Gaskraftwerks sechs Jahre liegen, ist frühestens 2030 zu schaffen.
Durch die Verkürzung von Genehmigungsverfahren lassen sich gewaltige Fortschritte erzielen. Das haben wir auf der Netzbetreiberebene gezeigt. Unsere langfristigen Projekte werden heute ein bis drei Jahre schneller fertig. An dieser Stelle bin ich keineswegs pessimistisch.
Wie realistisch ist es, bis 2030 zum Kohleausstieg zu kommen?
Der Zubau gesicherter Leistung ist die Grundvoraussetzung für den Kohleausstieg: Ohne Gaseinstieg wird es keinen Kohleausstieg geben.
Wasserstoff als alternativer Energieträger für die gesicherte Erzeugung wird bis dahin aber gar nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen.
Die neuen Gaskraftwerke können erst mittelfristig auf den Betrieb mit Wasserstoff umgerüstet werden, da es noch Jahre dauern wird, bis ausreichend Wasserstoff zur Verfügung steht. Das ist nicht die effizienteste Lösung, aber sie ist in einem erneuerbaren System mit gesicherter Kraftwerkserzeugung notwendig.
Lohnt sich dieser Aufwand für Kraftwerke, die nur wenige Stunden im Jahr laufen, oder wäre es nicht besser zu sagen, für die wenigen Stunden nutzen wir Erdgas und scheiden die CO2-Emissionen ab?
Wie das klimaneutrale Erzeugungssystem am Ende ausgestaltet ist, bleibt eine politische Entscheidung. Die Aufgabe als Übertragungsnetzbetreiber besteht darin, unseren Beitrag für ein klimaneutrales und stabiles Energiesystem zu leisten.
Reichen die 10 Gigawatt (GW) an gesicherter Kraftwerkskapazität, die in diesem Jahr ausgeschrieben werden sollen?
Nach dem Versorgungssicherheitsbericht der Bundesnetzagentur brauchen wir für den Kohleausstieg im Jahr 2030 den Zubau von 21 GW an wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Die 10 GW reichen somit nicht aus. Die Frage ist also, wie man Kohleausstieg definiert. Auch mit realisierter Kraftwerksstrategie werden im Jahr 2030 weiterhin 10 GW Steinkohle in der Kapazitätsreserve verbleiben.
Hans-Jürgen BrickAnsonsten könnte es sein, dass im Jahr 2030 auch Braunkohlekraftwerke noch systemrelevant sind.
Wo sollten aus Sicht des Übertragungsnetzbetreibers die gesicherten Kapazitäten errichtet werden?
Geht man davon aus, dass die Elektrolyseure eher im nördlichen Teil der Republik stehen, dann könnte man der Einfachheit halber sagen, zwei Drittel der neuen Gaskraftwerke müssen im Süden errichtet werden und ein Drittel im Norden.
Würde das zu einem Optimum beim Netzausbau führen?
Ja, das würde die Kosten für den Ausbau begrenzen und gleichzeitig Netzführungskosten wie Engpassmanagementkosten reduzieren.
Was passiert, wenn am Ende nicht genügend Strom aus Erneuerbaren und Importen da ist? Müssen Sie dann gezielt Bereiche abschalten?
Die Bundesnetzagentur hält den Zubau von 21 GW gesicherter Erzeugung bis zum Jahr 2030 für erforderlich. Dieser Ausbauplan muss schnell umsetzt werden. Ansonsten könnte es sein, dass im Jahr 2030 auch Braunkohlekraftwerke noch systemrelevant sind.
Werden die neuen Gaskraftwerke an den heutigen Kraftwerksstandorten angesiedelt sein, weil dort die Netzanschlüsse vorhanden sind?
Wo die Gaskraftwerke entstehen, hängt vom Ausschreibungsverfahren ab. Wir brauchen Anreize, damit zwei Drittel in Süddeutschland stehen. Die heutigen Kraftwerksstandorte zu substituieren wird nicht ausreichen. Die Braunkohlekraftwerke stehen ja überwiegend nicht im Süden der Republik.
Hans-Jürgen BrickAlle Investoren pochen auf eine marktgerechte Verzinsung ihres Eigenkapitals.
Sie habe Ihre Investitionsplanung nochmals nach oben angepasst. Bis 2028 wollen Sie 27,5 Mrd. Euro investieren. Brauchen Sie dafür auch frisches Eigenkapital?
Damit ausreichend Eigenkapital zur Verfügung steht, müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Deswegen brauchen wir ein marktgerechtes Zinsniveau. Das sehen wir im Moment nicht. Auf Neuinvestitionen gibt es vor Steuern 7,09%, auf Altanlagen 5,07%. Der Durchschnittswert in Europa liegt bei 7,5% vor Steuern. Ohne Anpassung werden andere Infrastrukturklassen wie Telekommunikationsnetze einen Vorteil gegenüber den Stromnetzen haben.
Sie haben mit der Beteiligungsgesellschaft M31 und RWE zwei Eigentümer. Sind diese bereit, frisches Eigenkapital einzuschießen? Wie man hört, sondieren gerade zwei Mitglieder der Beteiligungsgesellschaft den Verkauf ihrer Anteile.
Wir haben eine stabile Eigentümerstruktur. Innerhalb dieser Gesellschafter kommt es immer wieder zu Veränderungen, das ist nichts Ungewöhnliches. Alle Investoren pochen aber auf eine marktgerechte Verzinsung ihres Eigenkapitals.
In Deutschland haben wir vier Übertragungsnetzbetreiber. Was spricht dagegen, sie in einer Hand zusammenzuführen?
Die Übertragungsnetzbetreiber arbeiten sehr koordiniert und abgestimmt zusammen. Man sollte das Netzgebiet nicht geografisch erfassen, sondern als zusammenhängendes elektrisches System, das auf verschiedene Netzbetreiber verteilt ist.
Umso mehr stellt sich die Frage, warum es dann nicht in einer Hand liegt?
Wir haben rein strukturell ganz unterschiedliche Netze in Deutschland. Das Amprion-Netz ist durch sehr viel Industrie und eine hohe Bevölkerungsdichte geprägt. Unter energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten hat sich die heutige Struktur ausgesprochen bewährt. Es gibt keinen Grund, davon abzuweichen.
Hans-Jürgen BrickKonzentration führt nicht zu mehr Kosteneffizienz.
Der Staat ist erst bei 50Hertz und bei Transnet BW eingestiegen, jetzt wird mit den Niederlanden über Tennet Deutschland verhandelt. Kann Amprion der einzige privatwirtschaftliche Übertragungsnetzbetreiber bleiben?
Der deutsche Staat ist ein verlässlicher Eigentümer, aber nicht der bessere Unternehmer. Wir kennen den Zustand deutscher Autobahnen, Autobahnbrücken und des Schienennetzes. Der Staat hat noch nicht bewiesen, dass er der bessere Infrastrukturbetreiber ist.
Wäre es rein theoretisch machbar, die Netze zusammenzulegen?
Wir Übertragungsnetzbetreiber arbeiten bereits auf den verschiedensten Ebenen sehr eng und erfolgreich zusammen. Wir treiben Innovationen voran und setzen auf Synergien wie zum Beispiel die Vernetzung von Offshore-Projekten. Jeder hat dabei die Werkzeuge, die er zur Bewältigung seiner komplexen eigenen Aufgabenstellung benötigt.
Der Staat könnte die Netzbetreiber aber auch einsammeln und anschließend an die Börse bringen. Dann hätten wir eine privatwirtschaftliche Organisation.
Das klingt so einfach. Doch addieren Sie einmal die Investitionsvolumina der vier Übertragungsnetzbetreiber in den kommenden fünf Jahren! Ich bin überzeugt: Konzentration führt nicht zu mehr Kosteneffizienz.
Das Interview führte Annette Becker.