Preisrunde im Lebensmittel-Einzelhandel eröffnet
Von Martin Dunzendorfer,
Frankfurt
Der Aufschrei des Entsetzens über die steigenden Verbraucherpreise ist laut – wenn der Eindruck nicht täuscht, dann in den teils hysterischen Medienberichten mehr als unter den Konsumenten. Doch wenn sich in den nächsten Wochen nach den Treibstoffpreisen auch noch die Preise im Lebensmittel-Einzelhandel – vor allem für Kaffee, Backwaren, Drogerieartikel, Waschmittel und Tiefkühlprodukte – spürbar nach oben bewegen, könnte es mit der relativen Ruhe im Lande vorbei sein, denn bei den Preisen für Brot und Pizza verstehen die Deutschen keinen Spaß. Es hat seinen Grund, dass in keinem westlichen Land die Discounter einen solchen Siegeszug antreten konnten wie hierzulande. Nur die Reaktion auf steigende Treibstoffpreise ist ähnlich stark wie die auf anziehende Kosten für Nahrungsmittel und Getränke. Doch ein Sturm auf das Bundestagsgebäude blieb auch bei Benzinpreisen von über 2,20 Euro pro Liter aus.
Dennoch ist zu befürchten, dass die Regierungskoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sich in der Sache und auf einen Weg einigen wird, die Konsumenten von den teils sprunghaft steigenden Kosten für Güter des täglichen Bedarfs zu entlasten. So erhöht Aldi zurzeit nach Informationen der Lebensmittel-Zeitung die Preise von rund 400 Artikeln und gebe damit die Preisanhebungen der Hersteller infolge der Coronakrise und des Ukraine-Krieges an die Kunden weiter. Der Schritt des Discounters ist von großer Bedeutung, weil sich im Preis-Einstiegssegment, in das auch Lidl, Penny (Rewe) und Netto (Edeka) fallen, erfahrungsgemäß viele Händler an den Preisen von Aldi orientieren. Zahlreiche Branchen hatten den Handel zuletzt aufgefordert, die Preise zu erhöhen, u. a. wegen der hohen Energie- und Rohstoffkosten und gestiegener Logistikaufwendungen. Erhöht der Handel die Preise, wird auch von den Herstellern Margendruck genommen.
Allein: Zumindest, was Lebensmittelpreise angeht, sind die Bürger dieses Landes verwöhnt. Im Jahr 2019, das noch ein von der Corona-Pandemie unverzerrtes Bild vom „Normalzustand“ der Ausgabenstruktur liefert, lag der Anteil an den privaten Konsumausgaben, die für Nahrungsmittel und Getränke aufgewendet wurden, gemäß Statista im Schnitt bei 10,8%. Das war deutlich weniger als in anderen europäischen Flächenstaaten, etwa Italien (14,2%), Frankreich (13,1%) und Spanien (12,5%). Auch der EU-Durchschnittswert von 12,1% war noch 130 Basispunkte höher als in Deutschland. Lediglich in Großbritannien, das damals noch zur EU gehörte, lag die Quote mit 7,8% deutlich niedriger. Darüber hinaus ist der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel am Gesamtkonsum in der langfristigen Betrachtung stark rückläufig.
Es gibt also keinen Grund, öffentliche Gelder in der ein oder anderen Form zum Ausgleich für steigende Lebensmittelpreise zu verwenden. Selbst die Unterstützung bedürftiger Bevölkerungsteile ist fragwürdig, da die Grenzen für „Bedürftigkeit“ in Deutschland so hoch definiert werden, dass selbst in anderen Industrienationen darüber nur gelacht wird.
Die Verbraucher haben durchaus ein Gespür dafür, dass es keine Zumutung ist, würde etwa der Preis für ein Kilogramm Krustenbrot bei Lidl von 1,29 Euro angehoben, für ein Kilo Weizenmehl (Mühlengold) bei Aldi Süd von 0,45 Euro, für eine 3er-Packung Pizza Margherita (Ja) bei Rewe von 1,99 Euro oder für einen Liter Sonnenblumenöl (Gut & Günstig) bei Edeka von 1,79 Euro. Kaum jemand würde deswegen staatliche Unterstützung erwarten.
Grundsätzlich liegt der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel am Gesamtkonsum umso niedriger, je entwickelter eine Volkswirtschaft ist, doch kann die Quote auch Hinweise auf Unterschiede bezüglich der Wertschätzung von Lebensmitteln und Esskultur liefern. Letzteres ist ein vor allem in der Gastronomie oder bei Lebensmittelherstellern beliebtes Argument, um höhere Preise – und mehr Marge – für angeblich höherwertige Angebote zu rechtfertigen.