Rockets zweites Rückkauf-Manöver
Von Helmut Kipp, Frankfurt
Mit einer außerordentlichen Hauptversammlung am 31. Januar bringt der Start-up-Finanzierer Rocket Internet ein weiteres riesiges Aktienrückerwerbsangebot auf den Weg, dessen Bedingungen im Streubesitz auf Widerspruch stoßen. Diesmal geht es darum, den aktivistischen Aktionär Elliott loszuwerden. Derweil zieht sich die juristische Aufarbeitung des umstrittenen Delisting-Aktienrückkaufs vom Herbst 2020 hin. Rechneten involvierte Juristen anfangs mit einem erstinstanzlichen Urteil gegen Ende 2021, dürfte es nun zumindest ein halbes Jahr länger dauern.
Das Landgericht Berlin hat die mündliche Verhandlung für den 28. Juni 2022 angesetzt, nachdem der Dezember-Termin aufgrund des Corona-Infektionsgeschehens verschoben worden war. Anschließend könnte es recht zeitnah ein Urteil geben. Ob dann der Fall entschieden ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Denn es ist gut möglich, dass die unterlegene Partei die nächsthöhere Instanz anruft.
Dem Landgericht liegen drei Anfechtungsklagen vor. Sie richten sich gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung vom 24. September 2020, also den Erwerb eigener Aktien durch das Unternehmen und die Ermächtigung, das Grundkapital durch Einziehung der erworbenen Anteile herabzusetzen. Das Delisting selbst war kein Gegenstand der Aktionärsbeschlüsse.
Stein des Anstoßes ist, dass der Rückkauf zum gesetzlichen Mindestpreis von lediglich 18,57 Euro erfolgte. Investoren fühlten sich über den Tisch gezogen, weil der innere Wert der Aktie viel höher ist. Seit dem Delisting Ende Oktober 2020 wird die frühere MDax-Aktie nur noch im Freiverkehr der Börse Hamburg gehandelt.
Viele institutionelle Anleger mussten sich von Wertpapieren trennen, da sie nur Aktien halten dürfen, die an einem regulierten Börsenplatz notieren. Profiteure waren die Samwer-Brüder mit ihrer Investmentgesellschaft Global Founders, die ihre Aktien behielten und so ihre Beteiligung ausbauen konnten. Der Hauptgeschäftsführer der Aktionärsvereinigung DSW, Marc Tüngler, sprach seinerzeit von „legalem Betrug“.
Beschluss ist Formsache
Mit einer außerordentlichen Hauptversammlung Ende Januar leitet Rocket Internet nun eine zweite Runde ein. Diese dient dazu, den aktivistischen Aktionär Elliott rauszukaufen. Der Finanzinvestor hatte die Niedrigkurse vom Herbst 2020 genutzt, um sich als zweiter Großaktionär neben Global Founders in Stellung zu bringen. Elliott hält nach letzten Angaben 20,2% des Grundkapitals. Geboten werden jetzt 35 Euro je Aktie – beinahe das Doppelte des Betrags, mit dem Rocket den Streubesitz beim Rückzug vom regulierten Markt abgespeist hatte.
Die Beschlussfassung ist Formsache. Die einfache Hauptversammlungsmehrheit reicht. Die Andienungsrechte sind übertragbar. Rocket will dafür einen Handel über eine Plattform organisieren. Nach dem Rückerwerb sollen die Aktien eingezogen werden.
Elliott beschert das Ganze einen vergoldeten Abschied. Und das funktioniert so: Formal erhalten alle Rocket-Aktionäre für je vier Aktien ein Andienungsrecht für eine Aktie. Global Founders, die 62,3% an Rocket Internet hält, tritt den Großteil ihrer Rechte aber an Elliott ab, und das unentgeltlich. Die Folge: Elliott hat genug Andienungsrechte, um ihren Aktienbestand zu 35 Euro an Rocket Internet zu versilbern. Zu diesem Schritt hat sich Elliott gegenüber dem Start-up-Finanzierer und Global Founders verpflichtet.
Das Rückerwerbsangebot gilt für bis zu 27,66 Millionen Aktien. Damit kostet die Aktion das Unternehmen maximal 968,2 Mill. Euro. Da die Barmittel (279 Mill. Euro) nicht reichen, kündigt Rocket in der Hauptversammlungseinladung den Verkauf von liquiden Finanzanlagen an.
Der Rocket-Vorstand mit CEO Oliver Samwer an der Spitze hält den Preis nach eigenem Bekunden für angemessen. Er sei durch den fundamentalen Wert der Gesellschaft gedeckt. Denn der durchgerechnete Wert des bilanziellen Eigenkapitals habe Ende 2020 je Aktie 32,22 Euro im Einzelabschluss und 35,55 Euro in der Konzernbilanz betragen. Während der Delisting-Rückerwerb vor gut einem Jahr zum Sechs-Monats-Durchschnittskurs erfolgte, hält Rocket den Börsenkurs jetzt für einen ungeeigneten Maßstab. Denn Streubesitz und Handelsvolumen im Hamburger Freiverkehr seien gering.
Börsenkurs statt Wert
„Das neue Rückkaufangebot unterstreicht, wie sehr der Streubesitz damals abgezockt wurde“, stellt Tüngler klar. Der Gesetzgeber müsse handeln und den billigen Ausverkauf auf dem Rücken des Streubesitzes stoppen. Tünglers Kritik richtet sich vor allem dagegen, dass bei einem Börsenrückzug lediglich der Durchschnittskurs der vorangegangenen sechs Monate angeboten werden muss, nicht der innere Wert der Aktie. Die Börsennotiz als solche müsse als wertbildendes Merkmal anerkannt werden, fordert der DSW-Vertreter.
Juristen wie Nikolaos Paschos, Partner im Düsseldorfer Büro der Kanzlei Latham Watkins, billigen dem Vorgehen gegen den Börsenrückzug nur geringe Erfolgschancen zu. „Das Delisting selbst ist kaum anzugreifen“, sagte der Gesellschaftsrechtler seinerzeit.
Der Corporate-Governance-Experte Christian Strenger kommt zu einer anderen Einschätzung: „Zwar wird es schwierig, die einzelnen Schritte juristisch anzugreifen. In der Gesamtbewertung ergibt sich aber ein Ergebnis, das nicht halten kann“, ist Strenger überzeugt. „Die Samwer-Brüder verschafften sich mit dem Delisting durch ihre Hauptversammlungsmehrheit einen eklatanten Vorteil zulasten insbesondere der zum Verkauf bestimmten Minderheitsaktionäre.“
Der frühere Chef der Fondsgesellschaft DWS hat sich als Nebenintervenient der Klage von HW Capital – hinter der Investmentgesellschaft stehen die ehemaligen Goldman-Sachs-Banker Robert Haselsteiner und Marcus Wolsdorf – angeschlossen. Durch den Aktienrückkauf und die anschließende Einziehung vom Herbst 2020 sei der Anteil des Großaktionärs Global Founders der Samwer-Brüder von knapp 50% auf über 62% gestiegen, ohne dass diese einen einzigen Euro investiert hätten. Dadurch sei ihnen ein Mehrwert von mindestens 180 Mill. Euro ohne eigenen Einsatz zugewachsen. Heute sei der zusätzliche Anteil von 12% sogar über 300 Mill. Euro wert.
„Abgemagerte Gesellschaft“
„Mit erneuter Chuzpe beschließen sie jetzt, Elliott deren seit dem Delisting günstig erworbenen Aktien zu einem Überpreis abzunehmen“, stellt Strenger im Gespräch mit der Börsen-Zeitung klar. „Zurück bleibt durch die dafür erforderliche Liquiditätsabschöpfung eine abgemagerte Gesellschaft.“ Mit dem Ende Januar durch die Samwers zu beschließenden Aktienrückkauf dürfte der Anteil von Global Founders auf mehr als 80% steigen. Strenger geht davon aus, dass die Samwers die verbleibenden Minderheitsaktionäre bald danach herausdrängen werden, um durch den Squeeze-out frei schalten zu können.
Unter Beobachtern gilt es als wahrscheinlich, dass Aktionäre auch gegen die neuerliche Rückkaufaktion vorgehen werden, wenngleich der Streubesitz jetzt viel geringer ist als damals. Ein mit dem Thema vertrauter Aktienrechtler macht als Haupteinwand einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geltend, der sich daraus ergebe, dass Elliott alle Aktien andienen könne, andere Aktionäre nur jede vierte. Das sei keine Angelegenheit allein zwischen den Aktionären Global Founders und Elliott, sondern Teil einer dreiseitigen Vereinbarung, an der Rocket Internet beteiligt sei. Ein weiterer möglicher Ansatzpunkt ergebe sich aus § 136, Abs. 2 Aktiengesetz, wonach Verträge nichtig sind, durch die sich ein Aktionär verpflichtet, für die Vorschläge von Vorstand oder Aufsichtsrat zu stimmen.
Auch Daniel Bauer von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger hält die Ungleichbehandlung der Aktionäre für „extrem problematisch“. Rocket Internet agiere zusammen mit dem Großaktionär und gebe Elliott die Möglichkeit, ihr gesamtes Engagement zu liquidieren. „Ob das rechtens ist, wage ich zu bezweifeln“, sagt Bauer in einem Youtube-Video.