„Russisches Gas kann mittelfristig nicht ersetzt werden“
Antje Kullrich.
Hinweis der Redaktion: Dieses Interview wurde vor den russischen Angriffen auf die Ukraine am Donnerstagmorgen geführt.
Herr Spieker, wie stark trifft die Eskalation im Ukraine-Konflikt Eon?
Wir beobachten die Eskalation in der Ukraine mit Sorge und hoffen, dass es der internationalen Gemeinschaft gelingt, das schlimmste zu verhindern. Als Unternehmen sind wir nicht unmittelbar betroffen. Wir haben keine langfristigen Gaslieferverträge mehr, wir haben keine Gasimportinfrastruktur. Aber: Wir haben ein großes Einkaufsportfolio für Privatkunden, kleine und mittlere Unternehmen. Durch die hohe Volatilität an den Strom- und Gasmärkten in den vergangenen Wochen wurden unsere Risikomanagementsysteme schon auf eine Belastungsprobe gestellt. Die haben sie aber bestanden.
Was ist, wenn die Gaslieferungen aus Russland nicht mehr gesichert wären?
Die Industrie wäre als Erstes betroffen, aber erst im nächsten Winter, denn wir stehen ja jetzt am Ende der Heizperiode. Die industrielle Nachfrage würde zuerst zurückgefahren, sollte es zu physischen Einschränkungen kommen. Es muss sich kein Privatkunde Sorgen machen, dass irgendwann nicht mehr genügend Haushaltswärme vorhanden wäre. Dieses sehr gravierende Szenario träte jedoch nur ein, wenn es tatsächlich zu physischen Einschränkungen der Lieferungen kommen würde. Das ist auch während des Kalten Krieges nie geschehen. Die wechselseitige Abhängigkeit von Russland und Europa wird von beiden Seiten gesehen. Das ist die Hoffnung aus energiewirtschaftlicher Sicht, dass diese Erkenntnis trägt, egal, durch welche Krise wir noch gehen.
Wie viel des von Eon verkauften Gases kommt denn aus Russland?
Wir kaufen unsere Gasmengen am Großhandelsmarkt, wir haben keine langfristigen Lieferverträge mehr direkt mit den Produzenten. Bei den Gasimporten macht das russische Gas in Deutschland einen Anteil von knapp 50% aus. Und das kann mittelfristig nicht ersetzt werden, dafür gibt es keine Alternativen in der Gasimportinfrastruktur. Um es jedoch für Eon einzuordnen: Gas ist nicht unser Hauptgeschäft. Unser ganzes Unternehmen ist überwiegend darauf ausgerichtet, dass die zunehmende Elektrifizierung ein Wegbereiter für Klimaneutralität sein wird. Und wir setzen darauf, dass dieser Strom nachhaltig und dezentral erzeugt und verbraucht wird. Wer als Haushaltskunde Strom bei uns abnimmt, hat zwar oft auch noch einen Gasanschluss und kauft das Erdgas bei uns. Viele unserer Kunden, die heute noch einen Gasanschluss haben, werden den langfristig aber gar nicht mehr brauchen. Insofern müssen wir das Thema Erdgas in der Beschaffung und im Risikomanagement im Griff haben, aber es treibt uns in unserer DNA nicht um.
Allerdings sitzen Sie und Ihr CEO Leonhard Birnbaum im Aufsichtsrat der Nord Stream AG. Das ist ja durchaus derzeit auch ein politisch heikles Mandat. Ist der Anteil an der Nord Stream AG ein Asset, das langfristig im Konzern bleiben soll?
Wir haben eine Beteiligung an der Nord Stream 1. Das ist nicht Nord Stream 2. Das ist eine historische Restante aus dem Spin-off von Uniper. Wir haben das Asset in unser Pensionsvermögen eingebracht, es ist also nicht mehr Teil unseres aktiven Betriebsvermögens. Als Infrastruktur-Asset liegt es dort gut, das ist ja eine Assetklasse, die von Pensionsfonds händeringend gesucht wird. Ich bin zuversichtlich, dass es da viele Jahre liegen wird und entsprechend Rendite für den Fonds abwirft. Die Rendite hängt auch nicht davon ab, wie viel Gas durchgeleitet wird. Politisch als auch regulatorisch ist Nord Stream 1 ein ganz anderes Thema als Nord Stream 2.
Wie gut ist Eon gegen die hohen Strom- und Gaspreise gehedgt? Wann werden die hohen Volatilitäten zum Problem?
Wir betreiben sehr vorausschauendes Hedging. Es gibt eigentlich keine rational zu erwartende Energiepreisentwicklung, die uns zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Rücken an die Wand stellen würde. Unser Risikomanagement war, wie gesagt, gefordert, aber hat sich voll bewährt: Um Weihnachten herum hatten wir teilweise täglich Krisencalls, da gingen die Strompreise über 400 Euro pro Megawattstunde, die Gaspreise lagen bei fast 200 Euro. Das waren extreme Preise, die sich zwölf Monate zuvor kaum jemand vorstellen konnte. Wir kaufen die Mengen, die wir brauchen, aber etwa zwei bis drei Jahre im Voraus ein. Das kommt unseren Kunden zugute. Hohe Preise können sich außerdem positiv auf eines unserer definierten Wachstumsfelder auswirken: das Geschäft mit Kundenlösungen.
Wie das?
Je höher die Gas- und Strompreise, umso schneller rentieren sich die dezentralen Anlagen, die wir für unsere Kunden realisieren. Umso lohnenswerter sind Anlagen, die industrielle Wärme lokal in Fernwärmenetze einspeisen. Das alles wird bei hohen Preisen als Geschäftsmodell vorteilhafter und wir erleben dort eine spürbar steigende Nachfrage in den letzten sechs Monaten – in der Fotovoltaik, in der effizienten Wärmeerzeugung, eben nach nachhaltigen dezentralen Energielösungen. Ich mache mir eher Sorgen, dass einige Unternehmen einfach nicht mehr produzieren, weil es für sie günstiger ist, ihre eingekaufte Energie weiterzuverkaufen als selbst zu produzieren.
Wann wird sich diese gesteigerte Nachfrage in den Finanzkennzahlen von Eon niederschlagen? Oder geht das in dem Grundrauschen des Konzerns unter?
Das ist von Markt zu Markt unterschiedlich, die nationalen Anreize spielen hier eine Rolle. Bei den Photovoltaik-Batterieanlagen sehen wir Wachstumsraten zwischen 20 und 100% jährlich. Das ist extrem viel, aber das Geschäft ist absolut derzeit noch klein. Die PV-Batterieanlagen sind Teil unseres B2C-Kundenlösungsgeschäfts, das für etwa 50 Mill. Euro Ebitda steht. Über einen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren wird das bei diesen Wachstumsraten schon relevant werden.
Auf dem Kapitalmarkttag haben Sie Investitionsvorhaben mit einem Umfang von 27 Mrd. Euro bis 2026 bekannt gegeben. Müssten Sie bei einer anhaltend hohen Inflationsrate nochmal neu kalkulieren?
Ich glaube tatsächlich nicht, dass sich das Thema Inflation in den nächsten sechs Monaten erledigen wird. Aber für uns gilt: Etwa drei Viertel unserer Investitionen werden in den Ausbau unserer Stromnetze fließen. Das sind regulierte Märkte, die für fast 80% unserer Geschäfte stehen und die uns eine berechenbare Rendite zusichern. Das heißt, da findet qua Regulierung ein Inflationsausgleich statt. Die Erlösobergrenzen werden teilweise unmittelbar oder maximal nach zwei Jahren angepasst. Diese Regulierungen sind beispielsweise an den Realzins gebunden, weil wir unser Kapital über 30 oder 35 Jahre binden. Insofern sind wir mit dem Großteil unseres Geschäfts vor inflationären Tendenzen weitgehend geschützt. Im Rest des Geschäfts, zum Beispiel im Strom- und Gasvertrieb, ist der Wettbewerb insgesamt dem gleichen Preisdruck ausgesetzt. Da ist es eine Frage des Risikomanagements und der Zeit, dass höhere Preise weitergegeben werden können. Ich mache mir um das Thema Inflation für unser Konzernergebnis insgesamt wenig Sorgen.
Sie haben auch eine Portfoliooptimierung angekündigt, diese bislang jedoch nur angerissen. Können Sie etwas mehr ins Detail gehen, welche Aktivitäten für Eon nicht mehr zum Kerngeschäft gehören?
Wir haben Desinvestitionen von 2 bis 4 Mrd. Euro angekündigt. Um das einmal in Relation zu setzen: Wir haben mit der Integration der Innogy unseren Asset-Bestand auf fast 80 Mrd. Euro nahezu verdoppelt. Damit geht einher, dass in dem kombinierten Konzern eine Reihe von Geschäften enthalten ist, die strategisch nicht zwingend notwendig sind. Von denen kann man sich trennen und die Erträge dann ins Kerngeschäft investieren. Das macht aber keine 5% des Konzernportfolios aus. Das wird eine Reihe von kleineren Schritten sein, die für sich genommen zum Teil unter der Wahrnehmungsgrenze sein werden. Ich bin auch zuversichtlich, dass wir das eher in der ersten Hälfte des angekündigten Fünf-Jahres-Zeitraums machen werden. Es wird Aktivitäten umfassen, die nicht auf Wachstum oder Nachhaltigkeit einzahlen. Auch Geschäfte, bei denen wir nicht über Digitalisierung einen Werthebel generieren können, werden voraussichtlich zu diesem Desinvestitionspaket gehören.
Wie sieht es umgekehrt mit Akquisitionen aus?
Wir werden in Zukunft bei M&A viel stärker nach Fähigkeiten und Kompetenzen suchen als nach großen Assets. Wir werden daher eher kleinere Akquisitionen tätigen. Der energiewirtschaftliche Umbau wird uns zwei, drei Jahrzehnte beschäftigen. Die Kompetenzen, die wir dafür brauchen, werden sich über die Zeit dynamisch ändern. Eine Entwicklung wird zum Beispiel sein, dass das Thema Wasserstoff an Fahrt aufnimmt. Insofern wage ich noch gar nicht zu prognostizieren, wonach wir uns in drei, vier Jahren umgucken werden. Heute treibt uns um, dass die Energiewende sehr kleinteilig stattfindet. Daher ist für uns ein wichtiges Thema, wie wir die Flexibilität eines solchen verteilten Netzes nutzen können, um es dann auch optimal auszusteuern. Das andere Thema ist: Wie gehe ich mit den perspektivisch Millionen Netzanschlussanfragen um. Da stehen wir ja erst am Anfang. Aber wenn jeder bei sich zu Hause eine Wallbox anschließen will, dann werden wir Netze auch kleinteilig ausbauen müssen. Dann muss der Hausbesitzer überlegen, ob er nicht gleich die Wärmelösung mit anpackt. Und das alles muss Eon vorher digital durchdenken, sonst werden wir dieser Komplexität nicht mehr gerecht. In diese beiden Richtungen müssen wir Fähigkeiten aufbauen. Mit dem Kauf von Envelio, einem Softwareunternehmen, haben wir beispielsweise kürzlich Know-how im Bereich der digitalen Netzplanung akquiriert.
Die unmittelbare Kursreaktion auf Ihre Ende November vorgestellten Mittelfristpläne war sehr negativ. Seitdem hat sich die Eon-Aktie aber gut entwickelt, besser als der Dax. Was hat da Ihrer Wahrnehmung nach die Investoren umgestimmt?
Ich bin mit der Aktienkursentwicklung total zufrieden. Wir hatten bis zum Capital Market Day eine gute Entwicklung, auch eine Outperformance gegen unseren Peers. Nach dem Capital Market Day auch wieder. Wir haben unterm Strich 20 bis 25% gegen vergleichbare Wettbewerber gewonnen. Die Reaktion am Tag selber lag wohl daran, dass einige Investoren noch auf einen großen Knall gesetzt hatten – ob wir das Portfolio nochmal richtig anpacken. Da haben früh am Tag vor allem Hedgefonds einiges verkauft, dann war aber auch Ruhe. Den Knall haben wir nicht geliefert. Aber wir haben für langfristig orientierte Investoren eine organische Wachstumsstory geliefert, die Riesenchancen durch die Energiewende für uns mitbringt. Das schafft unserer Meinung nach Vertrauen. Nach drei Tagen hatte sich der Markt ja auch wieder korrigiert und es ging weiter nach oben.
Sie haben von strauchelnden Energie-Discountern, die angesichts der hohen Volatilitäten in die Knie gegangen sind, in den vergangenen Monaten viele Kunden übernommen. Wie viele sind es genau?
Wir haben europaweit mehrere hunderttausend Kunden übernommen. Besonders ausgeprägt war das Phänomen in Großbritannien, wo etwa die Hälfte der Marktteilnehmer pleitegegangen ist. Die Kunden kamen letztlich von unseriösen Anbietern, die im Markt operierten und die Verpflichtung gegenüber den Kunden zu liefern überhaupt nicht erfüllen konnten, als es an den Energiemärkten etwas rumpelig wurde.
Für Eon ist das nach eigenen Angaben ein Verlustgeschäft, da Sie die zusätzlichen Liefermengen auch zu den aktuellen hohen Preisen am Spotmarkt einkaufen müssen. Wie groß ist die finanzielle Belastung für Eon?
Auch hier kommt es darauf an, dass man sein Portfolio vorausschauend steuert. Wenn wir wie in Deutschland 14 Millionen Kunden haben, dann machen wir die Energiebeschaffung für diese Kunden bis zu drei Jahre im Voraus. Und wenn man beizeiten sieht, dass die Energiepreise nach oben gehen – das konnte man schon Mitte vergangenen Jahres feststellen – dann wissen Sie, dass das eine Dynamik entwickeln kann, die es Wettbewerbern schwer macht, überhaupt noch Angebote zu machen. In dem Moment wussten wir, dass mehr Kunden bei uns bleiben werden. Wir haben dann parallel unsere Akquise runtergefahren. Der reale finanzielle Schaden entsteht im Endeffekt für unsere Bestandskunden, weil wir die neuen Kunden ohne Kompensation in das Bestandsportfolio integrieren müssen.
Was sollte sich ändern, dass eine solche Situation nicht wieder passiert?
Da sind Anbieter im Markt, die sich nicht seriös aufstellen – die sich einfach, teilweise auf Vorkasse, Kunden heranholen und dann nicht die benötigte Energie beschaffen. Die gehen dann bei der ersten Preisvolatilität in die Knie. Deren Kunden haben aber eine Zeit lang zum billigsten Preis Energie bezogen; und die anderen Kunden sind jetzt in einer Art Solidargemeinschaft verhaftet. Als Marktkonzept ist das schwierig, wenn es immer eine Rückversicherung gibt, dass man aufgefangen wird – das funktioniert auf Dauer nicht. Wir können das durch unsere Größe verkraften, aber für kleinere Stadtwerke wird die Aufnahme solcher Kunden von unseriösen Billiganbietern schwierig und kann sie an die Grenze ihrer Belastungsfähigkeit bringen. Das Trittbrettfahren auf Kosten der Bestandskunden bei uns und bei den Stadtwerken, die Zuverlässigkeit einpreisen, das geht nicht. Ich möchte Anbieter und Kunden in die Pflicht nehmen. Wer ein billiges Angebot annimmt, muss mit einem gewissen Preis-Risiko rechnen.
Was muss aus Ihrer Sicht passieren?
Es muss sichergestellt werden, dass die Anbieter seriös kalkulieren. Dann würden viele der billigen Anbieter vom Markt gehen. Grundsätzlich halten wir auch eine rechtsverbindliche Regelung zum Tarifsplitting für erforderlich. Die Spaltung in Grund- und Ersatzversorgung durch den Gesetzgeber wäre ein probates Mittel, der eben geschilderten Problematik zu begegnen. Dann zahlen auch Kunden, die vorher von den günstigen Anbietern profitiert haben, durch den höheren Ersatzbeschaffungstarif ihren Teil der Rechnung. Das ist ein konsistentes Marktmodell, wenn ich auf Anbieterseite Leitplanken in den Markt einziehe, dass nicht jeder Hasardeur sich beteiligen kann und bei Kunden auch einen Anreiz schaffe genau hinzugucken, weil sie wissen: Wenn mein Billiganbieter pleitegeht, landen sie in der teuren Ersatzbeschaffung und nicht in der Solidargemeinschaft der Grundversorgung.
Das Interview führte