Vor dem großen Joint kommt das Völkerrecht
Von Stefan Paravicini, Berlin
Die deutsche Cannabis-Branche ist spätestens seit der Vorstellung des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP in Aufbruchstimmung. Denn die Pläne für die Legalisierung der Droge zum Freizeitgebrauch versprechen einen Boom, der das Wachstum im Geschäft mit medizinischem Cannabis, das hierzulande seit 2017 zugelassen ist, in den Schatten stellt. Nicht nur börsennotierte Firmen wie Synbiotic profitieren (siehe Artikel auf dieser Seite). Auch Start-ups wie die Berliner Sanity Group, die jüngst mit der größten privaten Finanzierungsrunde einer europäischen Cannabis-Firma für Aufsehen sorgte, Bloomwell Group aus Frankfurt, die gerade die größte Seed-Runde in der europäischen Cannabis-Industrie festgezurrt hat, oder Cantourage aus Berlin, die sich bereits mit Plänen für einen Börsengang beschäftigt, sind gut positioniert, um nach der Legalisierung die richtig großen Joints zu drehen.
„Ich verstehe die Euphorie, aber es gibt noch viele Fragezeichen“, sagt Niklas Kouparanis, Mitgründer von Bloomwell Group, die im Oktober 10 Mill. Dollar bei namhaften Investoren eingesammelt hat. Die Legalisierung von Cannabis sei der richtige Schritt, jetzt gehe es für den Gesetzgeber aber erst richtig an die Arbeit. „Jeder, der das gelesen hat, weiß, dass es da noch viel Spielraum gibt“, sagt Kouparanis zu den Formulierungen im Koalitionsvertrag. Der Teufel steckt aber auch bei der Legalisierung von Cannabis im Detail, vor allem mit Blick auf die völkerrechtliche Umsetzung.
Kanada ist kein Vorbild
„Die größte Herausforderung ist sicherlich die juristische Prüfung, inwieweit die Cannabis-Legalisierung völkerrechtlich umsetzbar ist“, sagt Finn Hänsel, Mitgründer von Sanity Group, die im Sommer 35 Mill. Euro eingesammelt hat und im November auch Casa Verde Capital, die Beteiligungsgesellschaft der mit Cannabis eng vertrauten Rapper-Legende Snoop Dogg, in den Investorenkreis aufgenommen hat. Denn Deutschland ist Vertragspartei der Single Convention on Narcotic Drugs von 1961, die die strafrechtliche Verfolgung des nichtmedizinischen Gebrauchs von Cannabis festlegt.
Länder wie Kanada oder Uruguay, die ebenfalls Vertragsparteien des UN-Abkommens sind, hat das nicht an der Legalisierung von Cannabis gehindert. Für die Ampel-Koalition ist das nach Einschätzung von Florian Holzapfel und Philipp Schetter, die mit Cantourage in der ersten Hälfte des nächsten Jahres an die Börse streben, keine Option. Denn Deutschland riskiere bei einer Vertragsverletzung einen umfangreichen Exportstopp von Cannabis aus anderen Ländern. „Damit müssten für den Anbau in Deutschland sehr kurzfristig Kapazitäten für den bestehenden Medizinmarkt und den nun entstehenden Freizeitmarkt aufgebaut werden – kein leichtes Unterfangen mit Blick auf lange Ausschreibungs- und Vergabeverfahren“, sagt Holzapfel.
Schon jetzt importiert Deutschland laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mehr als 5 Tonnen Cannabisblüten pro Quartal, um den Bedarf für medizinisches Cannabis zu decken (siehe Grafik). Insgesamt wurden im Jahr 2019 mehr als 20 Tonnen importiert, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP im Bundestag von 2020 hervorgeht – Tendenz steigend. Für den Anbau in Deutschland wurden laut BfArM bisher Lizenzen für eine Menge von etwas mehr als 10 Tonnen über vier Jahre erteilt. Nach der Legalisierung rechnen Marktbeobachter mit einem Bedarf von mindestens 200 Tonnen pro Jahr, andere Schätzungen reichen bis über 700 Tonnen.
Um Engpässe parallel zur Marktöffnung zu vermeiden und außerdem den Jugend- und Gesundheitsschutz sicherzustellen, schlagen die Cantourage-Macher statt einer Legalisierung von Cannabis die Regulierung als Betäubungsmittel vor, das von der Rezeptpflicht befreit „over the Counter“ in Apotheken abgegeben wird. „Aus Sicht der Autor:innen besteht die Möglichkeit, dies im nationalen Recht einzugliedern, indem Cannabis als OTC-Arzneimittel von den aktuellen betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften ausgenommen wird“, heißt es in einem „White Paper“ dazu. „Klar gibt es Wege, die Völkerrechtsthematik zu umgehen, aber ist das dann Legalisierung?“, sagt Niklas Kouparanis zu solchen Überlegungen. „Das White Paper ist super, aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir Cannabis nicht durch die Hintertür legalisieren sollten.“ Er neigt der Variante zu, aus dem Abkommen von 1961 auszutreten.
„Eine Möglichkeit für Deutschland wäre die Kündigung der UN Single Convention mit anschließendem Wiedereintritt unter Vorbehalt von Cannabis, so wie es das Cannabiskontrollgesetz der Grünen vorsieht“, erklärt Sanity-Gründer Hänsel mit Verweis auf einen Gesetzentwurf, den die Grünen schon 2018 eingebracht haben. Einen ähnlichen Weg habe Bolivien mit Koka eingeschlagen. Alternativ könne Deutschland im Rahmen des sogenannten „Inter se modification“-Verfahrens Abkommen mit einzelnen Ländern schließen, um die internationale Versorgungskette abzusichern. „Aus unserer Sicht ist die Herausforderung, die Erwartungen, die jetzt von vielen an eine Cannabis-Legalisierung geknüpft werden, zu erfüllen. Voraussetzung dafür ist ein kurzfristig legaler Zugang zu möglichst vielen Cannabis-Produkten, die heute auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden“, begründet Cantourage-Gründer Holzapfel seinen Vorschlag zur Regulierung von Cannabis.
CBD macht auch fröhlich
Der Ausstieg aus dem UN-Abkommen zum Umgang mit Suchtmitteln wäre nach Einschätzung von Experten frühestens Anfang 2023, realistisch wohl erst Anfang 2024 möglich. Der Prozess bis zur Umsetzung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis für den Freizeitgebrauch könnte sich noch ein bis zwei Jahre hinziehen, ist auch Sanity-Gründer Hänsel überzeugt, der sich außerdem für eine Änderung der Rechtslage bei Cannabidiol (CBD) starkmacht. „Wie absurd wäre es denn, wenn berauschende THC-haltige Cannabisprodukte frei abgegeben werden dürfen, während nichtberauschende CBD-haltige Lebensmittel weiterhin in einer Grauzone liegen. Ich würde mir wünschen, dass dieses Thema in einem zukünftigen Gesetz mit angegangen wird, um endlich Rechtssicherheit zu schaffen.”