Scott Russell

„Wenn sie gewinnen, gewinnen auch wir“

Scott Russell verantwortet im SAP-Vorstand alle Aktivitäten rund um Vertrieb, Service, Partner-und Kundenbeziehungen. Das scheint dem in den USA ansässigen Australier zu glücken. Das Cloud-Wachstum hat er in jedem Fall in Gang gebracht.

„Wenn sie gewinnen, gewinnen auch wir“

Von Sebastian Schmid, Frankfurt

Trotz eines leichten Rückschlags aufgrund der Kriegs in der Ukraine hat sich das Cloud-Wachstum von SAP im ersten Quartal in hohem Tempo fortgesetzt. Der zentrale Wachstumsindikator Current Cloud Backlog (CCB) legte um 28 % auf 9,73 Mrd. Euro zu bzw. währungsbereinigt um 23 %. Vor allem beim wichtigen Kernprodukt S/4Hana geht es nach anfänglicher Zurückhaltung der Kunden mittlerweile deutlich schneller voran. Hier sprang der CCB um fast 80 % auf 1,93 Mrd. Euro.

Extern sind es diese Zahlen, an denen SAPs Erfolg in der Cloud gemessen wird. Intern hat Scott Russell, der im Vorstand alle Aktivitäten rund um Vertrieb, Service, Partner- und Kundenbeziehungen verantwortet, sein Team anders ausgerichtet. „Wir konzentrieren uns auf den Customer Lifetime Value“, betont Russell im Gespräch. SAP orientiere sich an dem Wert, den ein Kunde aus der Nutzung der Produkte ziehe, und nicht an der Menge der Produkte, die SAP verkauft habe. „Die zwei Faktoren sind miteinander verbunden, aber sie gehen nicht unbedingt Hand in Hand.“

Von B2B zu B2C

Was auf den ersten Blick wie ein blumiges Werbeversprechen klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Russell ist überzeugt, dass sich das klassische B2B-Geschäft zunehmend in Richtung eines B2C-Geschäfts entwickeln wird, „bei dem Unternehmen Technologie nach Bedarf nutzen“. SAP wolle diese Entwicklung nicht nur begleiten. „Als Führungskraft eines Unternehmens blicken Sie immer zwei bis drei Jahre voraus, wenn es darum geht, wo Sie hinwollen. Wir wollen mit der Agilität eines verbrauchsorientierten Unternehmens arbeiten“, erklärt er.

Der Softwarekonzern steht nicht nur vor der Herausforderung, die Marge in der Cloud auf ein ähnliches Niveau wie im klassischen Softwarelizenz-Geschäft zu heben. Hinzu kommt, dass Kunden geringere Wechselbarrieren haben. „Wenn wir sehen, dass ein Kunde Bestandteile seines Softwarepakets nur in sehr begrenztem Umfang nutzt, suchen wir das Gespräch mit ihm. Wir sehen, wie intensiv er eine bestimmte Software einsetzt,  und können dies mit der Nutzung dieser Komponenten durch andere Unternehmen der Branche abgleichen“, beschreibt Russell einen Ansatz, mit der Herausforderung umzugehen. Manchmal wisse ein Unternehmen lediglich nicht, wie oder wann es eine bestimmte Software einsetzen kann und welche Vorteile sich daraus ergeben. Eine solche Beratung sei nicht notwendigerweise ein Verkaufsvorgang. „Das trägt aber dazu bei, dass unsere Kunden gewinnen, und wenn sie gewinnen, gewinnen auch wir.“

Als Beispiel für ein Produkt, bei dem die Strategie, den Kundennutzen über kurzfristige Umsatzoptimierung zu stellen, bereits gut funktioniert habe, nennt der 48-Jährige die Reisekostenabrechnungssoftware Concur. Obwohl der gesamte Geschäftsreisesektor durch die Pandemie stark in Mitleidenschaft gezogen worden sei, lägen die Verlängerungsraten bei Concur nach wie vor im hohen Neunziger-Prozentbereich. „Obwohl das Nutzungsvolumen zurückgegangen ist, haben die Kunden nicht daran gedacht, sich von der Technologie zu trennen.“

Russell hat auch die schwierige Aufgabe angenommen, das nach dem Abschied des langjährigen Vorstandsvorsitzenden und Sales-Spezialisten Bill McDermott etwas erlahmte US-Geschäft wieder in Gang zu bringen. Dass der Australier viele Jahre in Fernost gearbeitet hat, sei dabei kein Nachteil. Im Gegenteil: Einer der Vorteile, in Asien zu arbeiten und zu leben, bestehe darin, einen Querschnitt von Volkswirtschaften kennenzulernen, der sehr repräsentativ für die ganze Welt sei, erklärt Russell. „Mit Japan, Südkorea, Neuseeland und Australien gibt es dort einige der reifsten Märkte. Mit China und Indien sind einige der größten Schwellenländer vertreten.  Und dann gibt es noch einige Märkte der nächsten Generation, die sich meines Erachtens zu Kraftzentren der Zukunft entwickeln werden, wie z.B. Vietnam und Indonesien.“ Insofern sei der Wechsel in den US-Markt nicht schwergefallen. Er sei stolz, dass sich das Wachstum in den USA im Cloud-Bereich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres und auch im ersten Quartal beschleunigt habe. „Ich hatte hoffentlich einen guten Anteil daran.“

Comeback im US-Markt

Im ersten Quartal war der Cloud-Umsatz von SAP in den USA um gut ein Drittel bzw. währungsbereinigt um 24 % auf 1,48 Mrd. Euro gestiegen – in etwa auf Augenhöhe mit Europa und Asien. Im ersten Quartal 2021 hatte die Wachstumsrate lediglich 7 % betragen und war damit deutlich hinter den Steigerungen in Europa und Asien zurückgeblieben. Mittlerweile machen die Cloud-Erlöse in den USA  knapp 59 % der gesamten Erlöse aus. Zum Vergleich: In Europa (EMEA) kommt SAP nur auf 37 %, in Asien auf 39 %. Umso schwieriger ist es, hohe Wachstumsraten in Nordamerika zu erreichen, da diese zunehmend am Neugeschäft statt an der Wandlung bestehender Lizenzkunden hängen.

Dennoch stehen die Ampeln in den USA für SAP derzeit auf Grün. „Auf was ich stolz bin: Wir waren die am schnellsten expandierende Region in der Cloud, wir haben das Geschäft gedreht.“ Zudem sei der Net Promoter Score gestiegen, mit dem gemessen wird, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Kunde SAP an andere Unternehmen weiterempfiehlt.

Russell rechnet damit, dass die meisten Kunden mittelfristig in die Cloud gehen. „Jedes Unternehmen, das ich bisher getroffen habe, möchte skalieren. Aber wenn man nicht in der Lage ist, Innovationen zu entwickeln, kann man auch nicht skalieren. Das bringt einen zwangsläufig in die Cloud.“

Um die Kunden in ihrem Geschäft besser unterstützen zu können, wird auch ein besseres Verständnis ihrer Geschäftsprozesse nötig sein. „Im Moment haben wir einen sehr generalisierten Ansatz für Geschäftsprozesse. Mit Hilfe von Signavio wollen wir unseren Kunden sehr spezifische Einblicke in ihre Prozesse geben.“ Die Intention sei es, tiefer, schärfer und effektiver in dem Ansatz zu sein, anstatt nur zu standardisieren.

Ein wenig im Konflikt steht dieses Ziel mit dem zweiten Ziel, mehr kleinere und mittlere Unternehmen als Kunden zu gewinnen, bei denen es vor allem auf einen schnellen Return on Invest ankommt. Allerdings verspricht Russell, dass etwa das Anfang 2021 gestartete Programm „Rise with SAP“ schon nach kurzer Zeit Ergebnisse bringen soll. Die initiale Auseinandersetzung mit Geschäftsprozessen innerhalb von Rise dauere nur wenige Tage. „Danach können wir schon einige recht spezifische Einblicke in die Prozesse des Unternehmens geben. Noch nicht sehr tief, aber bereits relevant für die Geschäftsstrategie des Kunden.“ Eine Veränderung der Prozesse sei die wesentliche Voraussetzung für den Erfolg einer Cloud-Strategie. „Sie können in die Cloud wechseln, aber wenn Sie Ihre Prozesse nicht umstellen, wird Ihnen das nicht viel nutzen.“ Vor allem bei kleineren Unternehmen stößt der Ansatz von Rise offenbar auf Resonanz.

„Als wir mit Rise loslegten, waren 50 % der Kunden neu für SAP, und die meisten von ihnen KMU. Bei kleineren Kunden muss man schnell und flexibel sein und ihnen sofort zeigen, was man leisten kann.“ SAP habe daher auch ein sehr engagiertes Vertriebsteam, das sich ausschließlich um kleine und mittlere Unternehmen kümmere. „Der Verkaufsprozess erfolgt größtenteils digital und ist wesentlich zügiger als bei Großkunden.“ Für den Softwarekonzern gibt es laut Russell viele gute Gründe, sich dem harten Wettbewerb um kleinere Kunden zu stellen. „Auf dem KMU-Markt sieht man oft neue Technologien, die größere Kunden noch nicht kennen oder in Betracht ziehen, und konkurriert mit ihnen. Das hilft uns bei der Entwicklung oder bei Partnerschaften. Und wenn wir in kleineren und jüngeren Firmen präsent sind, hilft das SAP, mit den führenden Konzernen von morgen ins Geschäft zu kommen.“ Außerhalb Deutschlands und der USA bestehe die Kundenbasis schon heute primär aus kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Partnerschaften in China

Dass es mit der im Fokus stehenden Kundenorientierung nicht immer so einfach ist, zeigt die veränderte Lage in Russland aufgrund des Angriffs auf die Ukraine. SAP hat dort das Neugeschäft komplett eingestellt und steigt auch aus Wartung und Support für ihre Lizenzsoftware aus. Das macht sich in diesem Jahr mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag negativ bemerkbar. Allerdings ist Russland längst nicht die einzige Region, die potenziell kritisch ist. „Unser Hauptaugenmerk liegt darauf, unseren Kunden zu helfen, sich zurechtzufinden“, erklärt Russell. Die internationalen Partner müssten auch in China eine globale Plattform betreiben, aber gleichzeitig die lokalen Vorschriften einhalten. „Dies anzubieten ist eine unserer größten Stärken, und wir werden dies weiterhin tun”, so der SAP-Vorstand. Chinas Regierung habe einige Erwartungen in Bezug auf „den Verbleib von Daten, technologische Prozesse und so weiter.“ SAP prüfe daher stets, wie die Cloud-Angebote auch dort bereitgestellt werden können. „Wir sind beispielsweise eine Partnerschaft mit China Telecom eingegangen, die über eine lokale Infrastruktur verfügt, auf der unsere Anwendungen nativ ausgeführt werden. Durch solche Partnerschaften sind wir in der Lage, die lokalen Anforderungen zu erfüllen.“ China sei ein wesentlicher Teil der Wachstumsstrategie. SAP hoffe daher, dass die Beziehungen nicht nur zwischen China, den USA und der EU weiterhin von einem aktiven Dialog geprägt sein werden.

Mit Blick auf Menschenrechtsverstöße will sich SAP an Leitlinien orientieren, die der Softwarekonzern von Regierungen erhalte. „Reputationsrisiken nehmen wir natürlich sehr ernst, aber wir sind keine Forschungseinrichtung. Wir sind auf die Zusammenarbeit mit den Regierungen und auf die von ihnen bereitgestellten Informationen angewiesen.“ SAP habe zwar nicht immer alles zu 100 Prozent richtig gemacht. „Aber wo wir Fehler gemacht haben, lernen wir schnell hinzu.“

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