„Wir haben in Europa keine belastbaren Rahmenbedingungen“
Im Gespräch: Frank Terhorst
„Wir haben in Europa keine belastbaren Rahmenbedingungen“
Strategiechef von Bayer Cropscience fordert Stärkung der Landwirtschaft – Trotz Glyphosat-Risiken hohe Erlöspotenziale in den USA
Von Alex Wehnert, New York
Bayer arbeitet hart daran, die Kontroverse um den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup hinter sich zu lassen – und schickt gehäuft Spitzenmanager in die USA, um dort das eigene Image aufzupolieren. Im vergangenen Jahr suchte Vorstandsmitglied Rodrigo Santos, Leiter der Division Cropscience, auf einem Innovationsgipfel in New York die Agrarsparte als nachhaltigen und sozialen Partner für die Landwirtschaft ins Licht zu rücken. Ein Jahr später ist mit Frank Terhorst der Strategiechef der Sparte nach Chicago gereist, um Vertretern von Medien und Agrarwirtschaft eine Botschaft einzuschärfen: Bayer sei kein von Klagen niedergedrückter Krisenkonzern, sondern ein bewegliches Innovationsunternehmen mit hohen Wachstumspotenzialen.
Blockbuster angekündigt
Zehn sogenannte Blockbuster in zehn Jahren kündigte Bayer jüngst beim Innovations-Update im Mittleren Westen an – dabei handelt es sich um Landwirtschaftsprodukte, die nach Unternehmensangaben jeweils mehr als 500 Mill. Euro zum Spitzenerlöspotenzial der Forschungs- und Entwicklungspipeline von mehr als 32 Mrd. Euro beitragen dürften. Der adressierbare Markt der Cropscience-Division soll sich durch einen Fokus auf die regenerative Landwirtschaft langfristig auf über 200 Mrd. Euro verdoppeln.
„Das Geschäftsmodell verändert sich“, sagt Terhorst im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Gerade in den an die klassische Landwirtschaft angrenzenden Feldern, die einen wesentlichen Beitrag zum künftigen Erlöspotenzial liefern sollen, sieht der Stratege derzeit die USA allerdings als weitaus fortschrittlicheren Standort als die Europäische Union.
Zeitverluste in Europa
„Wir haben in Europa nach wie vor keine belastbaren Rahmenbedingungen, um beispielsweise ein Carbon-Geschäftsmodell aufzubauen“, unterstreicht Terhorst – und bezieht sich dabei auf Produkte, Dienstleistungen und Konzepte, die Landwirte bei der Reduktion oder Kompensation des Kohlendioxid-Ausstoßes und der CO2-Speicherung einsetzen sollen. In den Vereinigten Staaten und Märkten wie Brasilien seien entsprechende Programme längst Realität. „In Europa verlieren wir da viel Zeit“, sagt Terhorst.
Gerade der European Green Deal, mit dem die EU das Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2050 verfolgt, ruft in der Landwirtschaft Kritik hervor. Das Konzept sieht vor, dass der Anteil der ökologischen Bewirtschaftung auf 25% der landwirtschaftlichen Fläche steigt. In Deutschland haben sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag 30% Öko-Landbau bis zum Jahr 2030 zum Ziel gesetzt.
Durchgängige CO2-Bepreisung gefordert
Zudem plant Brüssel, die Verluste von Nährstoffen wie Phosphor, Stickstoff und Kalium um mindestens 50% zu mindern, den Einsatz von Düngemitteln um mindestens 20% zu verringern und zugleich die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten. Der Einsatz und die Risiken chemischer Pflanzenschutzmittel sollen um 50% sinken, der Populationsschwung von Bestäubern wie Bienen soll sich umkehren – dies bis zum Jahr 2030.
Wissenschaftler und Landwirtschaftsverbände kritisieren, dass die Vorgaben zu einer schrumpfenden Produktion und steigenden Preisen führen würden. Damit sei zu erwarten, dass die Importe landwirtschaftlicher Produkte aus Weltregionen mit niedrigeren Standards zunähmen. Um Kohlenstoff effektiv zu binden, fossile Ressourcen zu ersetzen und den Anteil der Biomasse zu steigern, sei statt Verbotspolitik eine durchgängige CO2-Bepreisung nötig. Bisherige Pläne zur Ausweitung des Emissionshandels reichten nicht weit genug, heißt es beispielsweise beim Deutschen Bauernverband.
Ergänzungen im Green Deal nötig
„Wir müssen bei den Zielen des European Green Deal nicht zurückrudern, sondern diese ergänzen“, betont Terhorst. „Der Wettbewerb und das Innovationsklima müssen da stärker Berücksichtigung finden.“ In den vergangenen 20 Jahren hätten Deutschland und die EU die Landwirtschaft nicht als strategisch wichtig betrachtet, dies müsse sich unter der neuen Kommission ändern. „Die Landwirtschaft stellt nicht nur Ernährungsmittelsicherheit her, sondern kann auch in anderen Nachhaltigkeitsbereichen Teil der Lösung sein“, betont Terhorst.
Der Bayer-Manager verweist dabei zum Beispiel auf die Herstellung von Biotreibstoff. So bauten die Deutschen ihren Anteil an Covercress im Jahr 2022 auf 65% aus – an der Firma aus St. Louis sind auch der Ölriese Chevron und der Agrarkonzern Bunge beteiligt. Das Unternehmen hat genomeditiertes Acker-Hellerkraut entwickelt, das Landwirte als Zwischenfrucht anbauen können – also zu Jahreszeiten, in denen ihre Flächen sonst brachliegen würden. Dies ermögliche es nicht nur, die Bodenqualität konstant hoch zu halten, sondern ermögliche auch Zusatzeinnahmen für Bauern.
Biotreibstoff-Innovation in den USA
Die Covercress-Pflanze ist eine reiche Quelle: Aus fünf Kilogramm ihrer Samen soll sich ein Liter Pflanzenöl generieren lassen. Damit ist sie potenter als Soja. Durch die Nutzung als Biokraftstoff soll sich die Abhängigkeit von Erdöl und somit der CO2-Abdruck in zahlreichen Branchen reduzieren lassen. Für die Landwirte funktioniert das so: Sie erhalten von der Firma aus St. Louis den Auftrag zum Anbau und verkaufen die reifen Ölsaaten anschließend wieder an diese, dafür winken ihnen Erträge von bis zu 500 Dollar pro Hektar.
Dass die Innovation zu Biotreibstoff in den USA schneller voranschreite als in Europa, ist laut Terhorst auch auf Zweitrundeneffekte des Inflation Reduction Act zurückzuführen. Infolge der Subventionspolitik steckten US-Öl- und Energieunternehmen Milliardenmittel in den Ausbau ihrer Kapazitäten. „Die Nachfrage wird dem folgen“, sagt der Bayer-Stratege.
Herbizide zum Klimaschutz
Unterdessen will Bayer auch mit neuartigen Herbiziden und Fungiziden punkten. Die Vernichtungsmittel sollen dazu beitragen, den Klimawandel zu bekämpfen. Einerseits soll sich somit der Einsatz von Landwirtschaftsmaschinen reduzieren, die mit fossilen Treibstoffen betrieben werden. Andererseits schließt der Boden viel CO2 ein, das durch den Verzicht auf das Pflügen nicht freigesetzt wird. Weil sich Unkraut somit aber nicht mehr über die Bodenbearbeitung kontrollieren lässt, wird laut dem Handelsverband Crop Life International ein verstärkter Einsatz von Vernichtungsmitteln nötig.
Auch Glyphosat komme damit eine potenziell entscheidende Rolle in Landwirtschaft der Zukunft zu. In den USA muss sich Bayer seit der über 60 Mrd. Dollar teuren Übernahme von Monsanto mit einer Klagewelle um Roundup auseinandersetzen und lancierte 2020 ein milliardenschweres Programm, um den Großteil der Klagen ohne Haftungseingeständnis beizulegen. Noch sind Tausende Fälle offen; bisher hat die Glyphosat-Klagewelle den Konzern mehr als 10 Mrd. Euro gekostet.
„Jedes Urteil zählt“
„Die Belastung für unsere Reputation wiegt in Deutschland und Europa interessanterweise schwerer als in Nordamerika, wo die rechtlichen Auseinandersetzungen anhängig sind“, sagt Terhorst. Die Klagen seien natürlich „eine massive finanzielle Belastung für das Unternehmen“ gewesen, „die uns eingeschränkt hat“. Nach den bisherigen Vergleichen sei nun die Frage, zu welchen Konditionen sich der Rest der Klagen beilegen lasse. „Da zählt jetzt jedes Urteil“, betont Terhorst.
Flankieren will Bayer neue Herbizide mit genetischen Modifikationen, durch die Sojabohnen eine Toleranz gegen eine stetig wachsende Zahl an hochpotenten Unkrautvernichtern aufbauen sollen. Bei den Anlegern haben die neuen Produkte zuletzt noch recht wenig Fantasie geweckt, die Aktie liegt seit Jahresbeginn gerechnet mit über 24% im Minus. Die Agrarsparte, deren Erlöse im ersten Quartal währungs- und portfoliobereinigt um 3% zurückgegangen sind, wirkte zuletzt eher als Belastung.
Pipeline zu versilbern
Terhorst betont, die Cropscience-Division habe „signifikant besser abgeschnitten als alle Konkurrenten“ – einige Branchenvertreter seien um über 20% geschrumpft. Angesichts dessen sei die Wettbewerbsposition relativ zufriedenstellend. „Wir haben aber natürlich den eigenen Anspruch, dass wir das, was wir jetzt in unsere Pipeline stecken, auch versilbern müssen“, wendet der Stratege ein. Die Investitionsvolumina in Forschung und Entwicklung wolle Bayer im Vergleich zu den Vorjahren konstant halten. Vor Sondereinflüssen standen 2022 hier Aufwendungen von 2,6 Mrd. Euro zu Buche.
In wenigen Jahren würden die zusätzlichen Marktpotenziale von 100 Mrd. Euro im Agrargeschäft „schon wesentlich stärker greifbar“, sagt Terhorst – nimmt dabei aber auch die Konkurrenz in den Blick. Die Wettbewerberin Syngenta befinde sich in chinesischer Kontrolle. Für Europa und Nordamerika sei es in diesem Umfeld ratsam, ihre jeweiligen Agrarwirtschaften durch besser abgestimmte Rahmenbedingungen gegenseitig zu unterstützen.
Bayer hat in den USA zuletzt umfangreiche Produktinnovationen für den Agrarsektor vorgestellt. Davon verspricht sich Cropscience-Strategiechef Frank Terhorst milliardenschwere Erlöspotenziale. Europa und Deutschland verlören bei Versuchen, die Landwirtschaft für eine nachhaltige Zukunft aufzustellen, jedoch viel Zeit.