Klaus Hommels, Lakestar

„Wir müssen deutsches Kapital mobilisieren“

Mit seinem Wagniskapitalfonds Lakestar zählt Klaus Hommels zu Europas größten Venture-Capital-Investoren. Im Interview warnt er vor der strukturellen Abhängigkeit deutscher Wachstumsunternehmen von amerikanischen Geldgebern.

„Wir müssen deutsches Kapital mobilisieren“

Herr Hommels, Sie haben pünktlich zum Antritt der neuen Bundesregierung zusammen mit McKinsey eine Finanzierungslücke von jährlich 100 Mrd. Euro für Wachstumsunternehmen aus Deutschland ausgerechnet. Wie kann die Politik gegensteuern?

Ich wünsche mir, dass die Leute verstehen, dass wir nicht ein Nachkommastellenproblem haben. Die große Gefahr ist ja, dass wir 4 Mrd. investieren und die nächste Regierung sagt, wir gehen auf 5 Mrd. hoch, und ist damit zufrieden, obwohl wir immer noch im Niemandsland unterwegs sind. An erster Stelle muss ein kollektiver Willensbildungsprozess stehen. Dass man versteht, was die Notwendigkeiten sind und was die Konsequenzen sind, wenn man sie nicht erfüllt. Es ist absolut offensichtlich und interpretationsfrei, dass das gemacht werden muss. Diese Diskussion hatte ich schon mit früheren Bundeswirtschaftsministern. Die Bundesregierung investiert seit 2007 über KfW und EIF in Venture und erhält eine Nettoverzinsung von 12%. Das spricht doch für sich.

Warum kriegen die Amerikaner das besser hin?

Ich hatte bei einem Dinner einmal eine Förderbank neben mir sitzen und mir gegenüber einen US-Pensionsfonds. Die Förderbank fragt: Was ist denn Ihre Venture-Allokation? Ungefähr 12%, sagt der Pensionsfonds. Nicht die Alternative-Investment-Quote, sondern die Venture-Quote, sagt die Förderbank. Das ist die Venture-Quote, unsere Alternative-Investment-Quote ist 60%, sagt der Pensionsfonds. In Deutschland ist die Aktienquote von institutionellen Akteuren wie der Allianz 3%, von Alternative Investments ganz zu schweigen. Man kann sich ausrechnen, was das für den Wohlstand der Rentner bedeutet. Wenn das Geld für die Rente dann nicht da ist, wird es durch den Bundeshaushalt ausgeglichen und deshalb geht es uns alle an.

Welche Maßnahmen müssen in dieser Legislaturperiode greifen, um umzusteuern?

Deutschland ist Weltmeister bei Lenkungssteuern. Wir hatten mal so etwas wie eine Tonnagesteuer, das hat die Schifffahrt jahrelang über Wasser gehalten. Dann haben wir irgendwann die DDR aufgebaut und dazu eine Lenkungssteuer eingeführt, Paragraf 4 Gebietsfördergesetz. Plötzlich wurde in Infrastruktur investiert und wir haben ein ganzes Land mehrere Stufen nach vorn gebracht. Wir können das. Wenn wir heute genau das Gleiche machen würden, sagen wir, man dürfte im Jahr der Investition 30 bis 40% abschreiben, dann wäre das nur ein Steuerstundungseffekt, aber am Ende kommt sogar mehr dabei raus. Ich finde die Maßnahmen also gar nicht kompliziert. Wenn man mit Versicherungen spricht, lernt man aber zum Beispiel, dass die Bundesregierung über Eigenkapitalunterlegungsvorschriften steuert, in was Pensionsfonds und Versicherungen investieren. Sie hat ein vitales Interesse daran, dass in nichts anderes als in Staatsanleihen investiert wird, damit die eigenen Schulden gekauft werden. Deswegen ist die Eigenkapitalunterlegung für Staatsschulden null und für Venture Capital 50%. Wenn ich ein Politiker mit einem Vierjahreshorizont bin, ist das vernünftig. Wenn ich einen Horizont von 10 oder 15 Jahren habe, wird mir das aber auf die Füße fallen.

Wieso?

Man sieht es allein an der schieren Marktkapitalisierung, die wir schaffen müssen, nur um den Status quo zu halten. Die 7% Market Cap, die der S&P 500 jedes Jahr mit neuen Firmen zulegt, sind auf den Dax gerechnet 120 Mrd. Früher haben das die Banken finanziert, im Moment können aus regulatorischen Gründen nur Venture-Capital-Fonds und Growth-Fonds diese Finanzierungen machen.

Die Venture-Capital-Investitionen in Deutschland lagen 2021 auf Rekordniveau. Das ist Ihnen immer noch zu wenig?

Das ist ungefähr, als wenn ich mich beim 100-Meter-Lauf von 50 Sekunden auf 45 Sekunden verbessere und dann bei den Olympischen Spielen mitlaufen möchte. Die großen Plattformgeschäfte, die nicht gelistet sind, bekommen mittlerweile zwischen 2,5 Mrd. und 3,5 Mrd. Finanzierungsvolumen. Alle Tech-Firmen, die es an die Börse geschafft haben, haben im Schnitt 300 Mill. Finanzierung bekommen. Im Augenblick könnte keiner der Venture-Fonds in Europa die letzten Runden dieser Firmen mitmachen, was die Konsequenz hat, dass wir zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in den Aufsichtsräten sitzen. Man bekommt in Europa zwar das Geld, läuft aber in eine strukturelle Abhängigkeit rein.

Was ist so schlimm daran, wenn Amerikaner die Aufsichtsräte deutscher Wachstumsfirmen dominieren?

Ich möchte das an einem Beispiel illustrieren. Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Space-Tech-Unternehmen in Europa hochzuziehen und den Münchener Kleinsatelliten-Trägerraketenhersteller Isar Aerospace zu finanzieren. Wir haben einen Trend, der zu Satelliten im Near Orbit geht. Es gibt mehrere Anbieter, in erster Linie aber den Tesla-Gründer Elon Musk mit Starlink. Wir haben keine solchen Satelliten, die deutsche Automobilindustrie ist für selbstfahrende Autos bis auf Weiteres auf Elon Musk angewiesen. Wenn wir eigene Satelliten bauen, brauchen wir aber auch eine eigene Trägerrakete. Die Lage spitzt sich sonst weiter zu, etwa wenn sich Apple direkt mit Starlink verbindet. Dann braucht man in Europa auch keine Telekommunikationsindustrie mehr, dann wird das iPhone direkt mit dem Starlink-Abo ausgeliefert. Hier sprechen wir von systemischen Innovationen, die wir besitzen müssen, um in Europa unabhängig sein zu können.

Solange die Altersvorsorge in Deutschland nicht kapitalgedeckt funktioniert, ist es trotzdem besser, wenn deutsche Start-ups das Geld von US-Pensionsfonds nehmen, oder?

Darin sehe ich auch kein Problem. Problematisch ist, dass wir deutsches Kapital nicht mobilisieren. Wenn wir das in absolute Zahlen übersetzen, geht es um verhältnismäßig kleine Beträge. 100 Mrd. Euro müssen jährlich aufgebracht werden. Davon geht etwas an die Banken, dann reden wir vielleicht noch von 75 Mrd. Euro pro Jahr. Wenn man ein Abschreibungsmodell für Private initiieren würde und Stiftungen 1 oder 2% in Start-ups investieren würden, ließe sich das Problem einfangen. Versicherungen brauchen etwas länger, aber Lebensversicherungen investieren bereits in Private Equity und interessanterweise auch in amerikanische Venture-Capital-Fonds. Ändern kann man das also schon.

Ein Abschreibungsmodell ist das wichtigste Instrument, um die Finanzierungslücke zu schließen?

Es ist eine Möglichkeit, allerdings natürlich kein Allheilmittel. Mein Ziel ist, erstmal festzustellen, was nötig ist. Man könnte zum Beispiel auch über eine Ausfallgarantie nachdenken, gegen die man als Fund of Funds leihen kann. Dann bewegt man mit 20% oder 25% Ausfallgarantie 100% Kapital, denn die Assetklasse funktioniert sehr gut. Es gibt viele Wege.

Denken Sie mit Ihrer Venture-Firma Lakestar über einen Börsengang nach, oder ist Venture Capital dafür nicht geeignet?

Es gibt einige, die das tun. Dann stellt sich die Frage, was bringe ich an die Börse? Rocket Internet hat es beispielsweise so gemacht, dass es auch die Portfoliogesellschaften an die Börse gebracht hat. Die Alternative wäre, nur die Managementgesellschaft an die Börse zu bringen. Das hat ein ganz anderes Risikoprofil. Im Wesentlichen diskontiert man dann sehr stabile Management-Fees und bietet die Carries (die Gewinnbeteiligung am Wertzuwachs beim Wiederverkauf einer Unternehmensbeteiligung, Red.) als Upside. Das wäre das Modell des börsennotierten schwedischen Finanzinvestors EQT, dessen Kurs sich seit der Erstnotierung versechsfacht hat. Ich glaube, man muss eine Mindestgröße haben, damit man nicht zu fragil ist. Ich gehe hierbei von etwa 5 Mrd. bis 7 Mrd. aus.

Wie kommen Sie auf diese Mindestgröße?

Ich glaube, man muss eine zehnstellige Bewertung haben, damit das eine funktionierende Aktie ist. Wenn man so eine Bewertung anstrebt, muss man sich die Multiples anschauen, die für Assets under Management gezahlt werden. Bei dem neuerdings börsennotierten US-Private-Equity-Haus TPG liegt das Verhältnis bei 120 Mrd. Assets under Management zu 10 Mrd. Market Cap. Bei Partners Group aus der Schweiz sind es 130 Mrd. zu 30 Mrd. So kommt man auf 5 Mrd. bis 7 Mrd. Euro.

Auf der operativen Seite waren Sie selbst im Board des schwedischen Zahlungsanbieters Klarna sowie bei der britischen Internet-Direktbank Revolut und sind aktuell im Board des britischen Mobile-Point-of-Sale-Zahlungsdienstleisters Sumup.

Und ein weiterer Partner hat den Kryptowährungsfinanzdienstleister Blockchain.com gemacht. Das sind allein vier Fintechs mit zweistelligen Milliardenbewertungen. Drei davon könnten zukünftig die Größe der Deutschen Bank erreichen und vor acht Jahren gab es diese Unternehmen noch gar nicht. Wir investieren auch in den Bereich Gaming, das verschmilzt sehr stark mit Fintech, weil sich Währungen in Metaversen entwickeln und Spiele konzeptionell nahe am Metaverse sind. Healthcare ist auch ein wichtiges Feld in unserem Portfolio. Insgesamt haben wir also vier große Themengebiete bei 14 Firmen. Drei davon bewegen sich im Bereich Deep Tech.

Hat hier auch der Staat als Investor eine besondere Aufgabe?

Ja. Wir brauchen Biotech-Unternehmen und Firmen, die mit wissenschaftlicher Fundierung an Technologien wie der Kernfusion forschen. Bei diesen zukunftsentscheidenden Technologien weiß man aufgrund der Komplexität manchmal erst, ob das funktioniert, nachdem man bereits 150 Mill. ausgegeben hat. Wir müssen eine Infrastruktur schaffen, damit wir diese 150 Mill. riskieren können. Sonst gehen die Gründer dorthin, wo diese Infrastruktur vorhanden ist, und damit sind auch die Firmen weg.

Sie klingen, als wären Sie ein Lobbyist der europäischen Venture-Kapital-Branche.

Für mich selbst brauche ich das nicht. In Europa aber brauchen wir diese Mega-Fonds, damit wir das strukturelle Problem der Erneuerung der Wirtschaft lösen. Dafür ist es unumgänglich, dass die Venture-Fonds aus der zweiten Reihe, die fünf oder sechs Jahre jünger sind als wir, schnell aufschließen.

Wie sieht das Fazit zu Ihrer ersten Spac-Transaktion aus?

Spacs können eine sinnvolle Ergänzung als Finanzierungsinstrument sein. Am Ende des Tages hat ein europäisches Start-up durch den ersten Tech-Spac 250 Mill. eingesammelt, und wird damit uneingeschränkter europäischer Marktführer.

Welches Unternehmen aus dem Lakestar-Portfolio läutet denn als Nächstes die Börsenglocke?

Die Glocken läuten überall. Als die türkische Firma Hepsiburada vor kurzem in New York an die Börse gegangen ist, hat sich Nasdaq-Chefin Adena Friedman vorher eine Viertelstunde vor die Presse gestellt und die erste türkische Firma mit US-Notierung begrüßt. So macht man das in den USA. Wir sind in Deutschland etwas spröde unterwegs und haben nicht verstanden, dass zum Kapitalmarkt auch ein bisschen Marketing gehört. Von unseren Portfoliounternehmen geht Harrys jetzt in New York an die Börse, dann haben wir einen Börsengang in Hongkong.

Das Interview führten Stefan Paravicini und Christoph Ruhkamp.

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