Sung Lee

„Wir wollen der nächste große Name werden“

Der Finanzvorstand von Morphosys erläutert die hohen Ziele des Biotechnologieunternehmens und erklärt den steilen Kursrutsch nach dem Zukauf von Constellation in den USA.

„Wir wollen der nächste große Name werden“

Joachim Herr

Herr Lee, die veränderte Strategie mit der Übernahme von Constellation Pharmaceuticals hat viele Aktionäre von Morphosys verschreckt. Wie wollen Sie das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen?

Wir sind natürlich nicht glücklich über den Kursrückgang und haben festgestellt, dass nicht jeder versteht, was die Akquisition von Constellation für Morphosys bedeutet. Wir sehen darin erhebliche Chancen, um Wert zu schaffen.

Und wie?

Mit Constellation werden wir unser Wachstum beschleunigen, weil wir unsere Pipeline um einen sehr vielversprechenden Medikamentenkandidaten in der Phase 3 und einen in der Phase 2 erweitert haben. Dieser Zukauf eröffnet uns Chancen, ein führendes Unternehmen in der hämatologischen Onkologie zu werden. Das ist unser Fokus, und dafür übernehmen wir ein gewisses Risiko.

Und wie gewinnen Sie Vertrauen zurück?

Indem wir liefern und unsere Strategie erfolgreich umsetzen.

Warum hat Morphosys das Ge­schäftsmodell verändert und sichere Tantiemen gegen das Risiko von Medikamentenkandidaten getauscht?

Unser früheres Geschäftsmodell hing vor allem davon ab, unsere Entwicklungen an große Unternehmen wie GSK, Roche oder Johnson & Johnson zu lizenzieren. Wenn wir nun mit Pelabresib entsprechend unseren Erwartungen erfolgreich sein werden, können wir weitaus höhere Umsätze erzielen als mit auslizenzierten Programmen.

Pelabresib ist ein Wirkstoff von Constellation, der zur Behandlung von Myelofibrose untersucht wird, einer seltenen Krebserkrankung des Knochenmarks.

Genau. Das ist das Potenzial unseres neuen Modells, indem wir eigenständig Medikamente entwickeln und vermarkten, ohne von Partnern abhängig zu sein.

Inwiefern abhängig?

Man weiß nicht, wo man auf der Prioritätenliste eines Partners steht, der viele Projekte hat. Es kann Jahre dauern, bis das Medikament auf den Markt kommt. Jetzt können wir unsere Zukunft selbst kontrollieren. Ich bin deshalb von unserem neuen Geschäftsmodell sehr begeistert.

Morphosys geht damit allerdings ein höheres Risiko ein.

Wenn man ein Medikament selbst in allen drei Phasen entwickelt, ist das mit einem höheren Risiko verbunden. Aber die ganze Pharmaindustrie basiert darauf, Risiken zu tragen. In den USA ist unser Modell für Unternehmen unserer Größenordnung sehr häufig. Wir müssen kalkulierte Wetten eingehen. Und wir hätten die Akquisition von Constellation nicht gemacht, wenn wir nicht von einem Erfolg absolut überzeugt wären. Das war schon sehr ungewöhnlich für unsere Branche: ein Unternehmen zu kaufen, das fast 60% unserer damaligen Marktkapitalisierung ge­kostet hat. Übrigens hat schon Simon mit dem früheren Managementteam den Weg zur neuen Strategie eingeschlagen.

… Simon Moroney, der 1992 einer der Gründer von Morphosys war und von 1994 bis 2019 Vorstandsvorsitzender.

Er hat damals entschieden, das Medikament Monjuvi mit dem Wirkstoff Tafasitamab weiterzuentwickeln und selbst auf den Markt zu bringen. Wir als neues Managementteam beschleunigen diese Strategie nur. Wenn ein Unternehmen wie Morphosys mit 1,1 Mrd. Euro liquiden Mitteln und Zugang zu Kreditlinien das Kapital dafür hat, sollte es die Gelegenheit nutzen.

Warum?

Der wirtschaftliche Ertrag ist viel höher, als nur einen Bruchteil vom Umsatz eines Partners zu erhalten.

Wie stehen die Chancen für Pelabresib?

Aufgrund der jüngsten Studiendaten, die wir vor kurzem auf der Jahrestagung der American Society of Hematology vorgestellt haben, ist unsere Zuversicht gestiegen. Die Daten bestärken uns in unserem Vorhaben. Wir glauben, dass Pelabresib ein Umsatzpotenzial von mehr als 1 Mrd. Dollar hat.

Wie lange müssen die Investoren Geduld haben?

Vom Beginn der Entwicklung bis zur Markteinführung eines Medikaments dauert es sieben bis zehn Jahre. Pelabresib könnten wir in drei bis dreieinhalb Jahren auf den Markt bringen. Das ist nicht mehr lange für unsere Branche. Wir sehen gute Chancen, Mitte 2024 die Welt zu überraschen, wenn wir die Daten der Phase-3-Studie veröffentlichen werden. 2025 können wir zwei Medikamente in der hämatologischen Onkologie auf dem Markt haben. Und 2026 wollen wir profitabel sein und einen positiven Cash-flow erzielen. Wir wollen der nächste große Name in der europäischen Biotechnologie werden.

Bisher überwiegt die Skepsis. Die Marktkapitalisierung von Morphosys beträgt nur noch 1,1 Mrd. Euro, obwohl für Constellation 1,7 Mrd. Dollar gezahlt wurden.

Ja, das ist nicht toll, und wir sind auch sehr enttäuscht über die Reaktion der Börse. Wir glauben, dass das Unternehmen viel mehr wert ist. Es liegt nun an uns, Vertrauen zurückzugewinnen und Wert zu schaffen. Da sind wir gut unterwegs. Fünf Monate nach der Übernahme von Constellation konzentrieren wir uns darauf zu liefern.

Worauf kommt es vor allem an?

Eines ist entscheidend: die Daten einer Phase-3-Studie. Wenn die erfolgreich sind, können auch Skeptiker nicht mehr zweifeln. Spätestens dann werden wieder deutlich mehr in Morphosys investieren.

Offenbar sind auch im Management nicht alle überzeugt. Ende dieses Jahres verlässt schon der dritte Vorstand Morphosys, seit Jean-Paul Kress im September 2019 CEO wurde. Auch Ihr Vorgänger Jens Holstein ist gegangen.

Es ist normal und typisch, dass es Wechsel nach einer Veränderung an der Spitze gibt. Das vorherige Team war ziemlich lange zusammen. Solche Veränderungen gibt es auch in Unternehmen anderer Branchen.

Hat sich der Aktionärskreis von Morphosys seit der Übernahme von Constellation verändert?

Ja, denn unser früheres Tantiemenmodell hat in Europa und den USA andere Investoren angezogen. Jetzt sagen wir für die nächsten Jahre Verluste voraus, da wir in die Entwicklung von Pelabresib investieren, um künftig höhere Umsätze zu erzielen. Das erfordert einen anderen Typ von Investor.

Welchen?

Einen, der geduldig ist, auf dieses Wachstum wartet und zu erhöhtem Risiko bereit ist. Unser Geschäft passt nicht zu risikoaversen Aktionären, die kurzfristig ein positives Ebit erwarten. Wir haben jetzt mehr Aktionäre, die in Wachstum investieren, und weniger wertorientierte.

Haben Sie nun auch mehr Aktionäre in den USA?

In den USA haben wir seit unserem Börsengang an die Nasdaq im April 2018 eine größere Zahl von Aktionären. Ihr Anteil beträgt etwa 40%, hat sich aber seit der Akquisition von Constellation nicht wesentlich verändert. In Europa haben wir insgesamt mehr Aktionäre.

US-Investoren gelten als risikobereiter. Stellen Sie das auch fest?

Sie sind es gewohnt, Chancen und Risiken von Biotechnologieunternehmen abzuwägen. Für europäische Aktionäre sind Beständigkeit und eine Vorhersehbarkeit des Ebit wichtiger. Aber letztlich gibt es auf beiden Seiten des Atlantiks verschiedene Profile von Investoren.

Der Umsatz von Monjuvi, dem Medikament gegen Blutkrebs, gewinnt an Fahrt. Wie entwickelt sich das weiter?

Im dritten Quartal ist der Umsatz verglichen mit dem zweiten um 22% gestiegen. Wenn es um die weitere Zukunft für Monjuvi geht, schauen wir aber weniger auf die Quartalszahlen. Wir haben die einzige Zulassung für die Zweitbehandlung von Patienten mit einem großzelligen B-Zell-Lymphom. Das ist ein Wettbewerbsvorteil. Wir sind sehr zuversichtlich, diese Patientenbasis ausbauen zu können und so die Umsätze mit Monjuvi für eine längere Zeit zu steigern – auch weil wir Monjuvi zusätzlich als Erstlinientherapie entwickeln.

Mit der Marktkapitalisierung von nur noch 1,1 Mrd. Euro und mehr als 90% Streubesitz ist Morphosys ein Übernahmekandidat. Erwarten Sie trotzdem, dass Morphosys eigenständig bleibt?

Wir konzentrieren uns darauf, was wir kontrollieren können. Das sind unser Vertrieb, die Vermarktung, die Medikamentenentwicklung und so weiter. Wenn uns ein Unternehmen attraktiv findet – und davon gibt es welche, wie ich denke –, liegt das außerhalb unserer Kontrolle.

Analysten, zum Beispiel von Bryan Garnier, halten Ihren Partner In­cyte wegen Synergien für einen möglichen Käufer.

Es ist schon eine etwas merkwürdige Situation, weil wir in der Vermarktung von Monjuvi Kooperationspartner von Incyte sind. Zudem dominiert Incyte mit einem ihrer Medikamente die Behandlung von Myelofibrose, der ersten Indikation von Pelabresib. Aber nochmals, wir konzentrieren uns auf unser Geschäft.

Beide Unternehmen würden wegen der Synergien gut zueinander passen.

In unserer Industrie gibt es viele Unternehmen, die miteinander Synergien erzielen könnten. Ich will nicht spekulieren.

Wird Morphosys die Jahresziele 2021 erreichen: einen Umsatz von 155 bis 180 Mill. Euro und Betriebsaufwendungen von 435 bis 465 Mill. Euro?

Wir sind sehr zuversichtlich, die Guidance, die wir im November bestätigt haben, zu erreichen.

Liegen die Zahlen eher am oberen oder am unteren Ende?

Wir werden unsere Jahresfinanzergebnisse am 16. März veröffentlichen.

Das Interview führte .

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