Klaus-Peter Naumann, IDW

„Wirecard war ein spezieller Einzelfall“

Der Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), Klaus-Peter Naumann, hält es für unnötig, nach Unternehmenspleiten wie etwa bei Wirecard nun die europäischen Regeln für seine Branche zu verschärfen. Ansatzpunkt für Verbesserungen müsse vielmehr der Bereich der Corporate Governance sein, sagt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

„Wirecard war ein spezieller Einzelfall“

Von Andreas Heitker, Brüssel

Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) warnt die EU-Kom­mission davor, angesichts von Unternehmensausfällen wie im Falle Wirecard oder Carillion die Regeln für die Abschlussprüfung jetzt noch einmal nachzuschärfen. „Wir sind der Ansicht, dass der europäische Gesetzesrahmen für die Abschlussprüfer grundsätzlich in Ordnung ist“, betonte Klaus-Peter Naumann, der Sprecher des Vorstands des IDW, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Er verwies darauf, dass die letzte größere Reform der Abschlussprüfer-Regeln erst 2016 war und einige der damals neu eingeführten Regeln gerade erst wirksam würden. „Daher mahnen wir zur Vorsicht, den EU-Rahmen jetzt schon wieder zur Disposition zu stellen.“

Hintergrund der Aussagen ist eine aktuell stattfindende Überprüfung der Regulierung durch die EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde will auch mit Blick auf die Unternehmensausfälle in den vergangenen Jahren insbesondere die Qualität und Zuverlässigkeit der Unternehmensberichterstattung börsennotierter Unternehmen noch einmal genauer unter die Lupe nehmen. Aktuell wertet die Kommission eine öffentliche Konsultation aus, in der sich Stakeholder bis Februar insbesondere zu den Bereichen Corporate Governance, Abschlussprüfung und Aufsicht äußern konnten.

Für Naumann steht in diesem Zusammenhang fest: „Der Fall Wirecard war ein spezieller Einzelfall, aber kein Systemversagen der Abschlussprüfung.“ Darauf müsse man nun nicht mit neuen europäischen Gesetzen reagieren. „Denn wenn Fehler im Einzelfall gemacht worden sein sollten, und sie nicht hindeuten auf einen Mangel im System, dann macht eine Veränderung des Systems auch keinen Sinn“, argumentiert der Honorarprofessor für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Wirecard habe zum Beispiel lange Zeit keinen Prüfungsausschuss gehabt beziehungsweise keinen Prüfungsausschuss, der aktiv gearbeitet habe, erläutert Naumann. Deutschland habe den Mangel, der dies möglich gemacht habe, und der auf Ausnahmeoptionen im EU-Recht zurückzuführen sei, mittlerweile über das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz beseitigt. „Eine Änderung der europäischen Regulierung war gar nicht notwendig.“

Auch ein weiteres Defizit auf nationaler Ebene sei schon behoben worden: das Fehlen einer nach EU-Recht eigentlich vorgeschriebenen ‚zuständigen Stelle‘, an die sich die Prüfer bei Unregelmäßigkeiten und Gesetzesverstößen hätten wenden können – die es in Deutschland bis Juli 2021 aber gar nicht gab. Heute ist die BaFin als zuständige Stelle bestimmt. Auch dies müsse man auf europäischer Ebene nicht regeln, sagt Naumann. „Weil es schon geregelt ist.“

Compliance als Chefsache

Nach Einschätzung des IDW, das 13000 Wirtschaftsprüfer und Prüfungsgesellschaften vertritt, könnte die EU-Kommission beim Thema Corporate Governance ansetzen, wenn sie wirklich die Qualität der Unternehmensberichterstattung verbessern wolle. Damit würden Fehler nach den Worten von Naumann dort verhindert, wo sie auch gemacht würden. „Eine der Lehren aus Fällen wie Wirecard oder dem britischen Carillion könnte sein, Vorstände künftig dazu zu verpflichten, ein Compliance-Management-System einzurichten, das angemessen und wirksam ist und dies auch nach außen zu erklären“, sagt der Verbandschef. Daran würden sich nämlich weitergehende Pflichten, beispielsweise des Aufsichtsrates, anknüpfen lassen. Die heutige Corporate Governance in deutschen Unternehmen reiche oft nicht, stellt Naumann klar. „Compliance muss als eine Vorstandspflicht verankert werden.“

Wichtig wäre seiner Ansicht auch, wenn das Management stärker die langfristige Stabilität seines Unternehmens, „seine Resilienz“, in den Blick nehme und auch hier eine Erklärung abgebe, welche Maßnahmen ergriffen wurden, um die Widerstandsfähigkeit zu erhalten. „Das bedeutet: Man braucht eine Risikoanalyse und ein Risikomanagementsystem. Mithilfe einer eine Art Risikoinventur können erkennbare und drohende Risiken, wie Cyberrisiken, Klimarisiken oder auch digitale Risiken aufgedeckt werden“, betont Naumann in dem Gespräch.

Eine Verschärfung der Regeln für die Abschlussprüfer lehnt das IDW dagegen auch aus anderen Gründen ab: „Grundsätzlich birgt jede Regulierung die Gefahr einer weiteren Konzentration im Prüfungsmarkt“, warnt Naumann. Denn Regulierung löse grundsätzlich Kosten und Anpassungsmaßnahmen aus. Und je größer eine Prüfungsgesellschaft sei, umso eher könne sie mit diesen Herausforderungen umgehen. Kleineren Prüfungsunternehmen seien dagegen irgendwann die Risiken zu groß, was zu einem Nachdenken über einen Marktrückzug führe. „Diese Entwicklung hat man auch bei den letzten Reformen gesehen.“

Die EU-Kommission hatte in ihrer jüngsten Konsultation explizit auch anhaltend hohe Konzentration auf dem Markt für Abschlussprüfungen verwiesen. „Ich glaube, der Wettbewerb zwischen den Prüfern ist ausreichend groß“, stellt hingegen Naumann jetzt noch einmal fest. Aus deutscher Sicht könne man auch nicht sehen, dass das Angebot an Prüfern so gering sei, dass ein Unternehmen Schwierigkeiten habe, einen Prüfer zu finden.

Naumann räumt aber ein, dass die Politik ein breiteres Angebot möchte, und das IDW werde sich an einer solchen Diskussion auch gerne konstruktiv beteiligen. „Ich möchte aber darauf verweisen, dass gerade auch die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand eine marktbeeinflussende Rolle spielt“, sagt der Verbandschef. „Öffentliche Unternehmen könnten sich bei der Vergabe der Prüfung ja auch bewusst für einen mittelständischen Prüfer entscheiden.“

In der jüngsten EU-Konsultation positionierte sich das Institut der Wirtschaftsprüfer auch klar in der Frage, ob es Prüfern auch erlaubt sein solle, Nichtprüfungsleistungen anzubieten. Man könne damit leben, dass den Abschlussprüfern in bestimmten Fällen die Beratungsleistungen eingeschränkt würden, so Naumann. „Was aber keinen Sinn macht, ist, ihnen alle Nichtprüfungsleistungen zu verbieten, denn dazu gehören dann etwa auch alle unterjährigen Finanzprüfungen oder auch Prüfungsleistungen im Zusammenhang mit M&A-Transaktionen.“ Die Unabhängigkeit der Prüfer werde durch solche Tätigkeiten nicht beeinträchtigt.

Prüfung in einer Hand

Nach den Worten von Naumann werden mittlerweile auch die nichtfinanziellen Berichterstattungen für Stakeholder immer interessanter werden. Die Prüfung dieser nichtfinanziellen Berichterstattung sollten seiner Ansicht nach sinnvoller Weise auch die jeweiligen Abschlussprüfer übernehmen. „Denn am Ende wollen wir ja, dass die finanzielle und die nichtfinanzielle Berichterstattung einander ergänzen und im Idealfall sogar ineinander integriert werden“, betont Naumann in dem Gespräch. „Deshalb gehört auch die Prüfung in eine Hand.“

Naumann verweist darauf, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Prüfer „vor besondere Herausforderungen“ stelle. In den Abschlüssen beziehungsweise Zwischenabschlüssen zum 31.3.2022 werde man erste Auswirkungen auf die Bilanzen und Gewinn-und-Verlust-Rechnungen sehen, sagt Naumann in dem Gespräch. Ausführungen im Anhang und Lagebericht würden bei allen aktuellen Unsicherheiten Investoren helfen, erste Konsequenzen des Krieges einzuschätzen. „Diese Unsicherheiten werden sich im weiteren Verlauf hoffentlich mindern.“

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