Bankenstresstests

Bangen um die Dividende

Angesichts eines Stresstest-Szenarios mit einem scharfen Wirtschaftsabschwung geht bei Europas Banken die Sorge einer Beschränkung der Dividendenzahlungen um.

Bangen um die Dividende

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Der Stresstest für Europas Bankensektor ist erwachsen geworden: 2011 noch ein veritabler Aufreger für die gesamte Branche, haben Bankvorstände, Aufseher und Anleger die Belastungsproben in den vergangenen Jahren zunehmend als zwar aufwendige, aber dennoch mit Routinecharakter versehene Übung wahrgenommen.

Wenn am Freitagabend kommender Woche die Resultate des diesjährigen Tests bekannt werden, ist allerdings mehr Musik drin als gewöhnlich: Denn auf der einen Seite sehnen Europas Banken das Ende des im März 2020 verhängten Dividendenmoratoriums herbei. Auf der anderen Seite aber fließt das Ergebnis des Stresstests gemäß den regulatorischen Vorgaben im Herbst in die aufsichtliche Überprüfung und Bewertung (Supervisory Review and Evaluation/SREP) der Banken in Euroland ein, auf deren Basis die Europäische Zentralbank (EZB) für jede Bank unter ihrer direkten Aufsicht eine individuelle Kapitalempfehlung (Pillar 2 Guidance/P2G) formuliert. Diese Kapitalempfehlung ist damit das Instrument, mit dem die Aufsicht Dividendenzahlungen auch nach Ende ihres Moratoriums vereinzelt einschränken wird, wie in Banken befürchtet wird.

„Angemessene“ Ausschüttung

Wie scharf dieses Schwert ist, steht allerdings dahin. So hat die Aufsicht den Instituten in der Pandemie es eigens gestattet, mit ihrer Kapitalquote noch bis Ende kommenden Jahres unter die P2G-Grenze zu rutschen, um die Kreditvergabe aufrechtzuerhalten. Was dies für Ausschüttungen bedeutet, ließ sie bislang offen und gab als „Leitprinzip“ lediglich die Losung aus, dass Banken­, deren Kapitalausstattung vorausschauend als nachhaltig beurteilt werde, die Ausschüttung „angemessener“ Dividenden erlaubt werden dürfte.

Eines steht fest: Wer darf, wird ausschütten wollen, wenn die EZB wie erwartet am heutigen Freitag ihr Moratorium über Dividendenausschüttungen aufheben dürfte. So gehen die Analysten von Citigroup davon aus, dass Europas Banken im laufenden und im kommenden Jahr bei ihren Anteilseignern, Aktienrückkäufe eingerechnet, mit Dividendenrenditen zwischen 6 und 8% werden glänzen können, auch wenn dies für deutsche Institute eher kein Thema sein wird (siehe Grafik). Dies entspräche einer Ausschüttungsquote von 55 bis 60% – vorausgesetzt, der Kapitalverzehr im Stresstest macht den Häusern dabei keinen Strich durch die Rechnung.

Italien steht im Fokus

Offiziell durchfallen kann beim diesjährigen Stresstests niemand: Die Verlierer der Übung werden aber solche Banken sein, deren harte Kernkapitalquote im adversen Szenario derart in die Tiefe rauscht, dass die Aufseher unversehens ihre Ausschüttungsfähigkeit in Frage stellen.

Beim Stresstest 2018 hatten die Deutsche Bank sowie Danske Bank den höchsten Kapitalverzehr gezeigt. Dieses Mal stehen Analysten zufolge vor allem die Institute in Spanien sowie mittelgroße Institute aus Italien im Fokus. „Der Stresstest ist die Stunde der Wahrheit“, erklärte Stefano Caselli, Bankenprofessor von der Mailänder Bocconi-Universität, der Börsen-Zeitung dieser Tage mit Blick auf die Dauerkrisenbank Monte dei Paschi di Siena (MPS). Die Carige und die Volksbank von Bari gelten in Italien ebenfalls als Sorgenkinder mit Kapitalengpass.

In der Frage, wie die EZB das Ergebnis des Stresstests in ihrer Kapitalempfehlung P2G berücksichtigt, hat sich inzwischen zumindest zum Teil der Nebel gelichtet. So wollen die Aufseher die Großbanken Eurolands – ja nachdem, wie stark die Übung bei ihnen zu Buche schlägt – vier einander überlappenden Kategorien zuordnen, die für verschiedene Zuschläge auf die Kapitalanforderung stehen. Die Einteilung in vier Kategorien folge der Logik der Zuschläge für die globale Systemrelevanz von Banken, hat Andrea Enria, Chair des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM), argumentiert. Auch berücksichtige dieses Vorgehen, dass der Stresstest nicht auf einen Basispunkt genau festlegen könne, wie viel Kapital eine Bank benötige, um einem Schock zu widerstehen. Darüber hinaus würde Banken damit der Anreiz genommen, für eine Reduktion um nur ein paar Basispunkte zu kämpfen.

Neben dieser Kategorisierung fließt in die Ermittlung der Kapitalempfehlung auch die Beurteilung einer Bank durch dessen Aufsichts-Team ein, wie zu erfahren ist. Wie stark beide Komponenten dabei gewichtet werden, darüber soll jeweils die Risikoeinschätzung der Aufsicht entscheiden. Nicht zuletzt streicht der SSM die Untergrenze von einen Prozentpunkt für seine Kapitalempfehlung.

Es gibt echten Stress

Die Nervosität in den Banken ist auch damit zu erklären, dass das Szenario der EBA diesmal echten Stress simuliert. In Banken wird wohl nicht zu Unrecht vermutet, dass der Kapitalverzehr im adversen Szenario der Aufsicht als Volatilitätsmaß dienen wird, aus dem sie vor allem ihre Kapitalempfehlung ableiten wird. Enria zufolge haben die Aufsicht viele Fragen von Banken gerade mit Blick auf das adverse Stresstest-Szenario erreicht.

Im Jahr 2019 noch hatten sich die Stresstester vom Europäischen Rechnungshof anhören dürfen, sie hätten ein Jahr zuvor „die Messlatte höher legen sollen“; die simulierten Schocks seien milder gewesen als die Realität der Finanzkrise von 2008 und nicht alle relevanten Systemrisiken für den europäischen Finanzmarkt seien angemessen berücksichtigt worden.

Unterschiedliche Annahmen

Kumuliert unterstellt das adverse Szenario diesmal gegenüber der Ausgangsbasis per Ende 2019, also einschließlich des Krisenjahrs 2020, einen Einbruch der Wirtschaftsleistung bis Ende 2023 um nicht weniger 12,9%. Laut EBA ist dieser Einbruch so hoch wie bei keinem anderen Stresstest zuvor. Entsprechend höher dürfte der Kapitalverzehr ausfallen, heißt es im Markt. Dabei bestehen in den Annahmen für die einzelnen Staaten, die sich wiederum aus Prognosen der nationalen Notenbanken speisen, Unterschiede, die teils für Erstaunen sorgen: So gilt etwa für Griechenland für den Zeitraum 2021 bis 2023, also ohne das erste Jahr der Coronakrise, eine kumulative Schrumpfungsquote von 3,6%, im Einklang mit der Eurozone, während für die Bundesrepublik wie für Italien ein Minus von jeweils 3,9% angenommen wird.

Im vergangenen Jahr schrumpfte die Wirtschaft dem Ende Januar publizierten Makro-Szenario zufolge in Deutschland derweil um 5,5%, in Italien um 9,5% und in Griechenland um 10%. Letztlich seien auch politische Motive hinter der Festlegung der Szenarien zu vermuten, meint ein hochrangiger Manager. Neben Banken aus Deutschland dürfte das Szenario seiner Einschätzung zufolge Institute aus den Niederlanden sowie aus Skandinavien relativ hart treffen. Grundsätzlich sei man aber zufrieden, wichen die Prämissen für einzelne Staaten doch weniger stark voneinander ab als in der Vergangenheit. Die EBA hat europaweit 38 Institute mit einer Bilanzsumme jenseits von 30 Mrd. Euro aus 15 Ländern getestet (siehe Kasten).

Banken tappen im Dunkeln

Ihre Methodik berücksichtigt dabei coronabedingte Moratorien, öffentliche Garantien sowie regulatorische Erleichterungen in der Pandemie, über deren Effekte sie separat berichten wird. Die EZB hat unterdessen, auch um im Herbst individuelle Kapitalvorgaben im SREP machen zu können, einen mit der EBA-Übung im Grunde identischen Test mit 51 Banken aus Euroland veranstaltet.

Erstmals will die Notenbank in diesem Jahr dabei nicht nur aggregierte Daten, sondern auch jeweils elf Datenpunkte zu einzelnen Banken vorlegen. Während die EBA den Eigenkapitalverzehr jeder Bank konkret beziffern wird, will es die EZB aber dabei belassen, eine Spanne zu nennen. Wieder einmal erfolgt dabei die Einordnung nach vier Kategorien. Die jeweiligen Risikotreiber einer Bank sollen dabei im Dunkeln bleiben.

Im Dunkeln haben bis zur finalen Lieferung ihrer Daten auch die Banken getappt, wie sich ihre Performance im Vergleich zur Konkurrenz darstellt. Denn anders als noch vor zwei Jahren hat die EZB entsprechende Gespräche in den vergangenen Monaten abgeblockt, wie im Markt berichtet wird. Bei Bankvorständen wird dies mit dem Verdacht begründet, dass manches Institut diese Gespräche dazu genutzt hatte, seine Eingaben kurzfristig nochmals zu überarbeiten.

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