Inas Nureldin, Tomorrow

„Der Schritt ins Ausland wird kommen“

Die auf Nachhaltigkeit gepolte Digitalbank Tomorrow erschließt neue Ertragsfelder. Nach der Abkehr vom Gratiskonto und dem bevorstehenden Einstieg in die Geldanlage via Fonds stehen weitere Projekte an. An Ambitionen mangelt es nicht.

„Der Schritt ins Ausland wird kommen“

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Die Hamburger Smartphone-Bank Tomorrow stellt nach einem bevorstehenden ersten Fondsangebot in Kooperation mit Evergreen weitere Produkte und mehr grüne Investments in Aussicht. Das strikt auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Fintech war in der Vergangenheit manchem Kritiker nicht grün genug. Mit der bereits 2019 angekündigten Auslandsexpansion lässt sich Tomorrow derweil Zeit. Im Fokus stehe erst mal die Produktpalette. „Der Schritt ins Ausland wird kommen, denn wir wollen ein europäischer Akteur werden“, verdeutlicht Mitgründer und Managing Director Inas Nureldin die Ambitionen im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Aber es ist extrem wichtig, zunächst das Produktangebot zu stärken. Das Geschäftsmodell wird profitabler, und dann können wir immer noch ins Ausland gehen.“

Dabei verweist er dezent auf N26. Die hatte demonstriert, wie man es nicht machen sollte: Von der mit Pomp und Gloria angekündigten Eroberung des US-Marktes hatten die Berliner kleinlaut den Rückzug antreten müssen, nachdem sie sich schon aus Großbritannien verabschiedet hatten. Bei der Entscheidungsfindung dürfte jedoch auch die deutsche­ Finanzaufsicht BaFin eine erhebliche Rolle gespielt haben, die N26 wegen ihrer – teils auch wachstumsbedingt – anhaltend überschaubaren Leistungen in der Geldwäscheprävention unter eine verschärfte Obhut genommen hat.

Nicht grün genug

Kritik an Tomorrow hagelte es von anderer Seite. Das Fintech, dessen Management und Mitarbeiterschaft sich auf einer „Mission“ zur Verbesserung der Welt wähnen und andere Nachhaltigkeitsbanken als zu wenig ambitioniert betrachten, hatte lediglich einen Bruchteil seiner Kundengelder in nachhaltigen Investments angelegt. Ende 2019 waren es nach Angaben des Magazins „Finance Forward“ nur 1%, knapp zwei Jahre später dann 15%. Jetzt sei man nahezu beim Doppelten, sagt Nureldin. „Von den aktuell rund 380 Mill. Euro, die auf Girokonten liegen, haben wir fast 30% in nachhaltige Anlagen investiert. Den Anteil werden wir weiter ausbauen.“

Die Quote fluktuiere bisweilen, hänge es doch stark von der Marktsituation ab, also davon, was gerade emittiert wird. Das Angebot muss schließlich noch den hohen Ansprüchen von Tomorrow standhalten. Das sei nicht immer einfach, sagt der Co-Gründer, die Situation verbessere sich aber. „Es gibt zunehmend investierbare Produkte, was in der Vergangenheit gar nicht immer so einfach war – und wir werden auch immer besser.“ Hoch im Kurs stehen grüne Anleihen wie ein Green Bond der Hamburger Hochbahn, in den im vergangenen­ Jahr 2 Mill. Euro flossen, soziale Bonds der NRW.Bank mit Investitionen von 5 Mill. Euro und schließlich grüne Bundesanleihen mit Investments in gleicher Höhe. Insgesamt waren 2021 gut 60 Mill. Euro in solche Anlagen investiert, zeigt der Nachhaltigkeitsbericht.

Kooperation mit Evergreen

Um neue grüne Investments und Erträge zu generieren, wird das Fintech in Zusammenarbeit mit dem Leipziger Fintech Evergreen einen Aktienfonds auflegen. Am Launch des Investment-Produkts werde mit Hochdruck gearbeitet. Berücksichtigt werden sollen laut Nureldin nur Titel, die einen nennenswerten positiven Beitrag leisten und strikten Vorgaben entsprechen. „Wir legen bei der Auswahl von Aktien deutlich strengere als herkömmliche ESG-Kriterien an den Tag“, berichtet er. „Das ist uns nicht genug, auch wenn es einfacher gewesen wäre, einen Fonds von der Stange zu nehmen. Wir haben einen eigenen, vierstufigen Auswahlprozess definiert, und darüber hinaus muss ein unabhängiger Nachhaltigkeitsbeirat jedes Investment bewilligen.“

Tomorrow orientiert sich dabei an den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen. Für eine Finanzierung infrage kommen demnach nur Projekte, die einen wesentlichen Beitrag zum Schutz natürlicher Ressourcen, zur Gewährleistung von Grundbedürfnissen, zu Klimaschutz, Fairness und zur Stärkung benachteiligter Gruppen leisten. Ausgeschlossen sind unter anderem Finanzierungen von Projekten mit Bezug zu Waffen, Massentierhaltung oder Kohleförderung. Und schließlich hat noch der vierköpfige Beirat das letzte Wort. Der sogenannte Impact Council kann jeden Investmentvorschlag blockieren.

Abkehr vom Kostenlos-Konto

Erträge vereinnahmt Tomorrow in erster Linie durch Kontogebühren. Vom kostenlosen Basiskonto hat es Abstand genommen. Zwar dürfen Bestandskunden nach wie vor ihr kostenloses Konto nutzen, doch seit Oktober 2021 werden für Neukunden Gebühren fällig, die je nach Kontomodell 3, 7 oder 15 Euro im Monat betragen. Kunden, die sich für das Premiumkonto Tomorrow Zero entscheiden, sollen damit den durchschnittlichen CO2-Fußabdruck eines jeden Deutschen – gut 11 Tonnen im Jahr – kompensieren können, indem Projekte wie etwa zum Schutz des Regenwaldes unterstützt werden.

Abgesehen vom neuen Fondsgeschäft erwirtschaftet Tomorrow Erträge durch Bargeld-Abhebe­gebühren sowie durch die Inter­change Fee in Höhe von durchschnittlich 0,20%. Bezahlt ein Kunde bei einem Händler mit seiner Tomorrow-Debitkarte, führt der Dienstleister die Gebühr an das Fintech ab, von der es die Hälfte einbehält und die restlichen 0,10% einem Klimaschutzprojekt in Südafrika zukommen lässt.

Weitere Schritte, um neue Ertragsquellen aufzutun, seien angedacht, sagt Nureldin. So sei die künftige Vergabe von Krediten in nicht allzu weiter Ferne, Genaueres könne er jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Laut Nachhaltigkeitsbericht plant Tomorrow, über Kreditausreichungen hinaus Dispo-Kredite anzubieten und Investments in nachhaltige Sachwerte vorzunehmen.

Seit der Unternehmensgründung im Jahr 2018 hat Tomorrow die Einnahmen Jahr für Jahr bis auf 1,61 Mill. Euro 2021 steigern können. Doch stand nach Abzug der jährlich wachsenden Kosten zuletzt unter dem Strich ein Jahresfehlbetrag von 14,43 Mill. Euro. Dennoch komme Profitabilität in Sichtweite, beteuert Nureldin. „Wir steuern in Richtung Break-even. Der wird auf jeden Fall in den nächsten Jahren erreicht sein“, sagt er. „Natürlich ist es immer eine Frage des Wachstumstempos, denn die höchsten Kosten sind Wachstumskosten.“ Von den Ge­samt­aufwendungen im vergangenen Jahr von 16 Mill. Euro waren 31 % Personal- sowie 26 % Bankingkosten und 15 % für Marketing bestimmt. Tomorrow verfügt über keine eigene Banklizenz und stützt sich auf die Dienste der Solarisbank.

Vom den sich verschlechternden Rahmenbedingungen will sich Nureldin nicht bange machen lassen. Auch wenn schon viele Start-ups Federn hätten lassen müssen, komme Tomorrow gut weg. „Die gute Nachricht ist, dass unser Geschäftsmodell nicht berührt ist.“ Das makroökonomische Klima sei derzeit für kein Unternehmen gut. „Aber wir kommen auch aus einer sehr verwöhnten Zeit, was die Entwicklung der Aktienkurse oder die Investmentbereitschaft angeht.“

In einer Finanzierungsrunde im Oktober 2021 hatte sich Tomorrow 14 Mill. Euro beschafft unter Beteiligung des Family Office der Familie Albert Büll aus Hamburg, der Wagniskapitalgesellschaft Abacon Capital sowie von Torben Schreiter, Gründer des Software-Start-ups Signavio. Auch die Investoren der ersten Stunde sind weiter an Bord, berichtet Nureldin. An der ersten großen Finanzierungsrunde im November 2019 über 8,5 Mill. Euro hatten sich diverse Impact-Investoren beteiligt, so der Londoner Environmental Technologies Fund oder Juwi-Gründer Matthias Willenbacher.

Geld aus der Crowd

Darüber hinaus haben sich auch Kunden in zwei Crowdinvestings 2020 und 2021 zu Teilhabern von Tomorrow gemacht (siehe Grafik). „Crowdinvesting kann eine interessante zusätzliche Fundraising-Strategie sein“, sagt Nureldin. Im vergangenen Jahr hatten 6400 Crowd­investoren insgesamt 8 Mill. Euro eingebracht. Dass Bestandsinvestoren Vorbehalte gegenüber dem Crowdinvesting gehabt haben sollen, wie zu vernehmen war, sieht der Tomorrow-Geschäftsführer nicht so: „Sie finden das super. Ich denke, es herrschte große Skepsis vor, ob das funktioniert. Crowdinvesting ist in Deutschland, anders als in Großbritannien, oft nicht sehr erfolgreich gewesen. Deshalb gab es Bedenken, dass es ein Schuss in den Ofen wird. Letztlich haben wir aber das Gegenteil bewiesen.“

Nureldin und seine Mitstreiter, allen voran die Co-Geschäftsführer Jakob Berndt und Michael Schweikart, hegen weitreichende Ambitionen. Die nach Kundenzahl führende digitale Nachhaltigkeitsbank Europas wolle man werden, heißt es. Der Führungsanspruch geht dabei noch weiter: „Auf dem Weg, die Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken, müssen andere Banken mitziehen. Wir möchten als digitales Vorbild vorweggehen und zeigen, dass es funktioniert.“ Vom ursprünglichen, wenn auch nicht mit Datumsstempel versehenen Ziel, 1 Million Kunden gewinnen zu wollen, ist Tomorrow trotz kräftiger Steigerungsraten weit entfernt. Die aktuell noch auf Deutschland beschränkte Digitalbank zählt 120 Mitarbeiter und mehr als 127 000 Kunden. Vor gut einem Jahr waren es noch 76 000, Mitte 2020 mit 33 500 weniger als die Hälfte davon. Am Millionen-Ziel werde festgehalten, nur sei unklar, bis wann, sagt Nureldin.

Wie schwer es ist, hehre Ziele mit der Realität in Einklang zu bringen, muss die Smartphone-Bank Tomorrow auch an anderer Stelle erfahren. Etwa beim Zwiespalt, dass für die Herstellung von Smartphones seltene Erden und Metalle nötig sind, die oft in Konfliktregionen wie dem Kongo unter Bedingungen gewonnen werden, die katastrophal für Mensch und Umwelt sind. „Wir schauen uns alles an, was in unserem Wirkungsbereich liegt, und versuchen, dort möglichst nachhaltig zu sein“, merkt Nureldin an. „Also alles, was wir steuern können, beispielsweise über den Materialeinkauf, über unsere Versorgung mit Ökostrom oder über die Anlage von Kundengeldern.“ Zustände wie in afrikanischen Minen entzögen sich aber dem unmittelbaren Wirkungsbereich. Der Zwiespalt ist bis dato unauflösbar. Was bleibt, ist die Hoffnung, über Druck von Politik und Finanzmärkten Linderung zu schaffen und auf künftig nachhaltige Alternativen zu Konfliktrohstoffen zu spekulieren.

Zuletzt erschienen:

„Da entsteht eine neue Finanzklasse im grünen Bereich“ (16. August)

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