„Die meisten Firmen setzen ihre Klima-Programme fort“
Herr Thallinger, wie beurteilen Sie die Kehrtwende in der US-Klimapolitik?
Der neue Präsident sendet mit dem Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen eine klare Botschaft. Aber in der US-Politik gibt es viele unterschiedliche Stimmen.
Auf welche Stimmen spielen Sie an?
Am Tag der Amtseinführung von Präsident Donald Trump haben 24 US-Gouverneure in Namen ihrer jeweiligen Bundesstaaten, mit insgesamt nahezu 60% der amerikanischen Wirtschaftsleistung, als U.S. Climate Alliance kundgetan, dass sie das Klimaschutzabkommen in jedem Fall umsetzen wollen.
Also alles nicht so dramatisch?
Auf jeden Fall sind die Erklärungen aus der Politik vielfältig. Manche Programme gelten für die gesamten USA. Aber es gibt natürlich auch die einzelnen Staaten, die unterschiedliche Initiativen vorantreiben.
Mein Eindruck ist: Trump tritt auch in der Klimapolitik inhaltlich viel radikaler auf als zu Beginn seiner ersten Amtszeit. Teilen Sie diese Wahrnehmung?
Ich glaube, faktisch sind seine beiden Programme sehr ähnlich. Was wir heute sehen, hat es ziemlich genau so 2016/2017 gegeben.
Trump definiert in einer Durchführungsverordnung als Energiearten alles von Öl über Kohle bis Atomkraft. Aber Windkraft und Solarenergie sind bezeichnenderweise nicht dabei.
Die Prioritäten von Präsident Trump sind klar. Und sie kommen nicht überraschend.
Die US-Umweltschutzbehörde EPA erhält eine Führungsriege, die zuvor als Anwälte und Lobbyisten für die Öl- und Gasindustrie gearbeitet hat.
2017 haben wir an der Spitze dieser Behörde vergleichbare Personalentscheidungen beobachtet.
Damals hat der Apparat noch die EPA-Spitzenleute dominiert, mittlerweile aber haben sie mehr administrative Erfahrung und werden den Apparat in ihre Richtung zwingen.
Die Frage für uns ist: Was hat das für eine Auswirkung auf die Transformation der Unternehmen? Denn nur diese Transformation führt zu einer Wirtschaft mit einer besseren Wettbewerbsfähigkeit. Die Energiekosten sinken, und die Sicherheit der Energiebereitstellung wächst.
Welche Auswirkungen sehen Sie?
Wir beobachten: Die meisten Firmen setzen ihre Klima-Programme fort. Gelingt dies so umstandslos wie zuvor? Nein, sicherlich nicht. Bestimmte Zielsetzungen müssen neu gedacht werden. Megatrends manifestieren sich allmählich, aber sicher und sind daher – im Gegensatz zu politischen Positionen – stärker und dauerhafter. Beispielsweise kann die Politik nicht den Megatrend zu erneuerbaren Energien beenden.
Die Ölförderung in den USA ist auf Rekordniveau.
Ja, diesen Anstieg gab es aber schon unter Trumps Vorgänger Joe Biden. Letztlich ist der Ölpreis entscheidend dafür, ob mehr Öl gefördert wird. Es wird nicht so einfach sein, die Kapazitäten weiter auszubauen.
In Kasachstan hat ein Chevron-Joint-Venture 50 Mrd. Dollar investiert und Mitte Januar die Öl-Förderung hochgefahren. Dort soll 1% des weltweiten Angebots aus der Erde geholt werden. Sind Sie nicht zu zuversichtlich?
Es geht nicht um Zuversicht. Es gibt langfristige Trends, die unabhängig davon sind, was Politiker kommunizieren. In Europa kommt etwa die Hälfte der Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen. Aber in China wird der Sektor viel schneller ausgebaut. Nach unserer Überzeugung erreicht der Bedarf an fossiler Energie ein Plateau.
Aber diese Entwicklungen sind doch nicht komplett unabhängig von der Politik.
Sie mögen vielleicht etwas abgeschwächt werden, und darüber muss man sich schon Gedanken machen. Aber sie werden nicht völlig umgekehrt.
Welche weiteren Veränderungen bringt der US-Regierungswechsel auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit?
Wer fossile Energie priorisiert, der muss mehr für die Energiebereitstellung bezahlen. Das hat natürlich Konsequenzen für die Wirtschaft insgesamt. China dagegen treibt den Ausbau der Erneuerbaren mit extremer Geschwindigkeit voran. Energiebereitstellung ergibt Wettbewerbsvorteile.
In Deutschland sagen Rechtsradikale, dass gerade die Energiewende die Stromkosten erhöht.
Ich verstehe nicht, wie es gelingen soll, mit einer solchen Behauptung Wählerstimmen zu gewinnen. Der Haupttreiber für den Energiepreis in Deutschland ist das Gas, das wir zur Bereitstellung des Spitzenlaststroms verbrennen. Die Erneuerbaren wirken dagegen nicht direkt preistreibend. Wer Windkraft nicht unterstützt oder Windräder gar abbauen will, akzeptiert höhere Preise und Abhängigkeit von anderen Ländern.
Was ist richtig an der Argumentation, dass die Transformation unseren Wohlstand senkt? Schließlich wird ein vorhandener Kapitalstock teilweise nicht mehr eingesetzt.
Die Lage ist kompliziert. Bestimmte Assets verlieren tatsächlich an Wert. Nachhaltigkeit ermöglicht aber zugleich, deutlich effizienter zu wirtschaften. Ich bin überzeugt: Wenn wir in Europa die Transformation hinbekommen, wird der Wohlstand nicht sinken, sondern steigen.
Wie kann Nachhaltigkeit die Effizienz erhöhen?
Ein batteriegetriebenes Fahrzeug wandelt nahezu 90% der bereitgestellten Energie in Fortbewegung um, Verbrennungsmotoren schaffen nur 13%. Noch ein Beispiel: Eine Wärmepumpe liefert aus 1 kWh Strom 3 oder mehr kWh Wärmeenergie.
Welche Folgen haben die Turbulenzen in der Politik für Investoren wie die Allianz?
Wir sollten zwischen lang- und kurzfristigen Effekten unterscheiden. Wer langfristig investiert sein will wie die Allianz, der kann sich sehr klar in einer bestimmten Form von wirtschaftlicher Transformation engagieren. Aber auch für uns ist ein Thema, dass wir, wie die meisten Investoren, kurzfristig Ergebnisse darzustellen haben.
Das ist prinzipiell nichts Neues.
So ist es. Wenn die politischen Signale sehr unterschiedlich sind, müssen wir aber stärker daran arbeiten darzustellen, wie unser eigener Transformationsplan aussieht. Wo geht es hin mit den Investments? Was sollen wir im Sinne einer Transformation der Wirtschaft unterstützen? Die Langfristigkeit unseres Pfades ist im Interesse unserer Eigentümer und Kunden.
Haben sich Ihre Zielsetzungen im Nachhaltigkeitsbereich geändert?
Nein. In unserem Transformationsplan haben wir Ziele für das Jahr 2030 formuliert. Diese setzen wir um. Mit diesem langfristigen Pfad kann man dann erklären, warum sich kurzfristig bestimmte Ergebnisse ergeben.
Wie sehen die Ergebnisse denn aus?
Die ersten drei Allianz-Quartale 2024, über die wir schon berichtet haben, sind wirklich gut gelaufen. In der Kapitalanlage müssen wir uns natürlich extrem bemühen, verschiedenste Formen von Volatilitäten abfedern zu können. Sie nehmen zu, wenn die Politik sehr wechselhafte Signale setzt.
Sie meinen die US-Politik.
Nicht nur. Wir haben das an vielen Stellen. Einmal werden batteriebetriebene Fahrzeuge gefördert, dann wieder nicht. Kurzfristig veränderte Signale der Politik gab es auch bei der Wärmeenergie. Oder: Berlin möchte die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung plötzlich um zwei Jahre aussetzen oder sogar fundamental verändern. Wenn diese CSRD-Berichterstattung geändert wird, hat dies Auswirkungen auf die Unternehmen und den Markt.
Was wünschen Sie sich?
Ein Langfristinvestor wie die Allianz plädiert immer dafür, dass man erst Ziele setzt und dann auch wirklich an ihrer Umsetzung arbeitet. Selbstverständlich kann man dabei lernen, was man vielleicht besser machen kann. Aber die Politik sollte die Ziele nicht immer wieder grundlegend in Frage stellen.
Sie tut es aber. Die Absicherung wird also schwieriger?
Dies schlägt bei Langfristinvestoren schon durch. Die Kosten, die entstehen, um ein Ergebnis auch kurzfristig zu erreichen, können durchaus höher sein, als man das in der Vergangenheit gesehen hat.
Inwiefern?
Dies trifft beispielsweise bestimmte Formen von Derivaten. Aber auch die Allokation in einzelne Assetklassen kann in einem volatileren Marktumfeld anders sein, weil man eben die kurzfristigen Ergebniseffekte möglichst vermeiden muss. Diese Opportunitätskosten sind Folge der gesteigerten Volatilität.
Kann die Allianz dies nicht mit Diversifikation auffangen?
Teilweise geht dies gut. Aber es hat Grenzen, wenn sich die Steuerungssignale sehr stark ändern. Wenn man sich dann als Anleger anders gegen Volatilität schützen muss, dann kann man eben auch bestimmte Renditen nicht mehr erwarten.
Oder Investoren verabschieden sich von nachhaltigen Anlagen.
Langfristig bleibt das Thema Nachhaltigkeit von extrem großer Bedeutung. Denn Anlageobjekte, die sich nicht hin zu Nachhaltigkeit transformieren, werden voraussichtlich auf lange Sicht dramatisch an Wert verlieren. Das ist auch der Grund, weshalb wir Nachhaltigkeit so stark vorantreiben. Wir glauben, dass wir verschiedenste Formen von Anlagen wesentlich besser im Wert gestalten können, wenn wir die Transformation unterstützen.
Die Wirtschaft zieht sich aber zurück. US-Großbanken haben scharenweise die Net Zero Banking Alliance verlassen, die Fed wendet sich von einem Notenbank-Netzwerk zum Studium von Klimarisiken ab, und die Net Zero Insurance Alliance hat sich aufgelöst.
Aber die allererste dieser Allianzen arbeitet weiter: die Net Zero Asset Owner Alliance, die wir 2019 mitgegründet haben. Sie hat 88 Mitglieder, die knapp 10 Bill. Dollar verwalten. In fünf Jahren sind lediglich vier Mitglieder ausgetreten, und dies nur, weil ihnen die Zielsetzungen zu ambitioniert waren.
Was strebt die Net Zero Asset Owner Alliance an?
Wir setzen uns aktiv für die Reduktion von Emissionen ein. Und das mit Erfolg: Die Mitglieder verringern die Treibhausgas-Emissionen in ihren Portfolien jährlich um 6%. Eine tolle Sache.
Was bedeutet die Nachhaltigkeitsdebatte für Europa?
Wir haben in Europa eine ganz besonders dringende Notwendigkeit zu transformieren. In dieser Analyse könnten Sie Nachhaltigkeit komplett weglassen. Es geht schlicht darum, wettbewerbsfähig zu bleiben. Ich wage fast schon zu sagen: wieder wettbewerbsfähig zu werden.
Was sollte passieren?
Wir müssen die Energiebereitstellung in Europa im Wesentlichen auf erneuerbare Energien umstellen. Außerdem sollte die nötige Infrastruktur mit mehr Stromnetzen und Batteriespeichern geschaffen werden. Dies alles muss in einem politischen Kontext eingebettet sein. Dies betreibt die EU-Kommission sehr gut. Natürlich sollte man dabei das Ausmaß von Regulierung immer abwägen.
Könnte Europa im US-Geleitzug den Green Deal aufkündigen?
Europa wird meiner Einschätzung nach diese Transformation fortsetzen, schon alleine auch wegen einer Abhängigkeit von bestimmten Energielieferanten, die man verhindern will.
Wie sehen Sie den deutschen Markt?
Deutschland will bis zum Jahr 2030, verglichen mit 1990, 65% der CO2-Äquivalente einsparen. Das erzwingt entsprechende Transformationsschritte, wenn man nicht das Gesetz brechen oder EU-Strafzahlungen provozieren will. Im aktuellen Wahlkampf spielt das Thema eine stark untergeordnete Rolle. Grundsätzlich fehlt der Gesellschaft eine gewisse Form von Zielsetzung.
Was schlagen Sie vor?
Mir schweben Leitbilder vor, die der Wirtschaft und der Bevölkerung insgesamt helfen würden zu verstehen, wie die Zukunft im Jahr 2030 aussehen soll. Ich denke an drei Bereiche: Energiemarkt, Transportsektor und Infrastruktur zur Informationsbereitstellung. Solche Leitbilder könnten die Diskussion in Deutschland sehr befördern.
Gibt es nicht bereits jede Menge Zielsetzungen?
Es gibt viele einzelne Teile. Die Bundesnetzagentur zum Beispiel legt ganz klar dar, wie sich die Netze entwickeln sollten. Aber es existiert keine gesamthafte Darstellung, wie der Energiemarkt aussehen soll.
Warum wären Leitbilder hilfreich?
Wir können dann diskutieren, welche Bausteine wir zu welchem Zeitpunkt wirklich schaffen sollten. Wenn Leitbilder die Zielvorstellung 2030 darstellen, sind Diskussionen zu einzelnen Themen einfacher zu führen. Wir könnten mehr Leute gewinnen, die Transformation wirklich mit zu betreiben.
Bitte nennen Sie ein Beispiel.
Im Sinne des Klimaschutzgesetzes gibt es ein klares Ziel für die Dekarbonisierung von Immobilien. Wenn man die ganze Diskussion rund um das Gebäudeenergiegesetz in dieses Leitbild eingebettet hätte, wäre es vielleicht vielen Leuten leichter gefallen zu verstehen, warum man langfristig andere Formen der Bereitstellung von Wärmeenergie benötigt als Öl- und Gasheizungen.
Welche Rolle spielen dabei Investoren?
Natürlich würden meine Kollegen und ich uns da sehr gerne engagieren, schließlich könnten wir die Investitionen für die Ziele 2030 beziffern. Mit unseren Anlagen für die Altersvorsorge würden wir die Transformation der Wirtschaft besonders gut unterstützen.
Damit kann in der Öffentlichkeit der Verdacht entstehen, dass sie nur ein Stück vom Kuchen der bisher staatlichen Infrastruktur ergattern wollen, um Rendite zu machen.
Natürlich wollen wir als Investor tätig sein. Aber: Die Allianz und auch etliche andere Finanzdienstleister in Deutschland erwirtschaften diese Form von Rendite insbesondere für die Versicherungsnehmer, die bei uns für ihr Alter vorsorgen. Das passt mit mehr Nachhaltigkeit einfach gut zusammen.
Im Interview: Günther Thallinger
„Die meisten Firmen setzen Klima-Programme fort“
Der Kapitalanlagevorstand der Allianz über Folgen der neuen US-Politik, die teure Volatilität und die Rolle von Leitbildern für die Transformation in Deutschland
Zoff um Zölle und die Konfrontation mit befreundeten Staaten weltweit: Dies beherrscht den Blick auf die US-Regierung. Präsident Donald Trump proklamiert jedoch auch eine Kehrtwende in der Klimapolitik. Investoren wie die Allianz müssen sich neu positionieren. Vorstand Günther Thallinger setzt auf Besonnenheit.
Das Interview führte Michael Flämig.