„Es wird eine signifikante Konsolidierung im Bankensektor geben“
Alex Wehnert.
Herr Hertrich, die Zusammenbrüche von Silicon Valley Bank (SVB Financial) und Signature Bank halten die Wall Street im Bann. Wie bewerten Sie die regulatorische Reaktion auf die Turbulenzen?
Wir werden in den kommenden Tagen sicher noch mehr Details erfahren. Dass das US-Finanzministerium, der staatliche Einlagensicherungsfonds FDIC und die Federal Reserve die von den jüngsten Zusammenbrüchen betroffenen Einlagen garantiert haben, sollte eigentlich die Stimmung von Bankkunden und Investoren stabilisieren. Insbesondere das angekündigte „Bank Term Funding Program“ beinhaltet für kleinere und mittlere Banken die Möglichkeit, Ungleichgewichte zwischen ihren Assets und Verbindlichkeiten auszumerzen. Vorerst lassen sich die Marktteilnehmer davon aber nicht beruhigen.
Sind noch weitere regulatorische Maßnahmen notwendig?
Es wird definitiv über weitere Maßnahmen verhandelt werden – zum Beispiel über eine Laufzeitbegrenzung für die Aktiva, die in die Liquiditätsdeckungsquoten einfließen. Dies würde tiefgreifende Auswirkungen auf das Bieterverhalten der Banken für lang laufende Assets haben. Vor allem aber müssen die Behörden dem Markt ihr Vorgehen wohl genauer erklären.
Inwiefern?
Dass sie SVB Financial und Signature Bank im Zuge ihrer Stabilisierungsbemühungen für systemisch relevant erklärt haben, hat bei einigen Marktteilnehmern wohl Sorgen geweckt, wo vorher keine vorhanden waren. Bisher haben Treasury, Fed und FDIC zudem nur Probleme von Bankinvestoren adressiert. Möglicherweise braucht es zusätzliche programmatische Änderungen in Bezug auf Marktteilnehmer außerhalb dieses Zirkels.
Wie meinen Sie das?
Wenn wir davon ausgehen, dass die Einlagen der Kunden von Silicon Valley Bank und Signature Bank innerhalb des Bankensystems verbleiben, dann sollten die regulatorischen Maßnahmen ausreichen, um den Markt zu stabilisieren. Allerdings hat sich zuletzt ja gezeigt, dass Kunden spezialisierter Lender ihre abgezogenen Einlagen in Treasuries oder Geldmarktfonds gesteckt haben. Möglicherweise müssen die Regulatoren also verstärkt Risiken bei Intermediären ohne Einlagengeschäft adressieren, denen nun frei gewordene Mittel zufließen.
Allerdings werben auch andere Banken um ehemalige Kunden von SVB und Signature Bank.
Ja, und wir glauben tatsächlich auch, dass der Großteil der zuletzt abgezogenen Einlagen innerhalb des Bankensystems verbleiben wird. Wir gehen allerdings davon aus, dass sich eine verstärkte Verschiebung in Richtung der größeren Banken ergeben wird.
Das heißt, es werden vor allem weitere spezialisierte Lender unter Druck geraten?
Dies erscheint heute zumindest plausibler als jemals zuvor. Historisch gesehen liefen Einlagentrends in den USA zumeist eigentlich geografisch konzentriert ab. Abschwünge am Ölmarkt brachten beispielsweise die texanischen Banken in Schwierigkeiten, Wertverluste am kalifornischen Immobilienmarkt bereiteten den Geldhäusern an der Westküste Probleme. Über die vergangenen 15 Jahre ist es aber zu einer starken Konsolidierung nach Sektoren gekommen, bestimmte Banken sind in der Folge also mit einem viel höheren Anteil ihrer Assets von der Entwicklung einer bestimmten Branche abhängig. Diese Konzentration birgt Risiken, auch wenn die betreffenden Banken uns als robust kapitalisiert und liquide erscheinen.
Die SVB-Turbulenzen haben unterdessen auch die unrealisierten Verluste in den Portfolios der US-Finanzinstitute insgesamt stärker in den Fokus gerückt. Insgesamt lagen diese zuletzt bei mehr als 620 Mrd. Dollar. Wie gerechtfertigt sind Sorgen über die Stabilität des US-Bankensystems insgesamt in diesem Kontext?
Der Großteil der Assets in den Portfolios von US-Firmenkundenbanken weist eine relativ lange Laufzeit auf. Daher ergeben sich bei signifikanten Zinsveränderungen immer unrealisierte Verluste, die aber nicht in den Gewinn- und Verlust-Rechnungen der Finanzinstitute auftauchen. Die SVB-Episode wird sicherlich eine Debatte über diese Praxis in der Rechnungslegung auslösen. Daraus aber abzuleiten, dass Banken mit unrealisierten Verlusten notwendigerweise schwächer aufgestellt sind, wäre nicht fair. Denn solange es nicht zu einem plötzlich rapide steigenden Liquiditätsbedarf kommt, werden die Verluste ja eben nicht realisiert.
Auch US-Präsident Joe Biden hat sich schnell zu den Turbulenzen im Bankensystem geäußert. Dürften seine Verlautbarungen denn stärker dazu beitragen, die Nerven der Marktteilnehmer zu beruhigen?
Es ist sicher immer hilfreich, wenn die Exekutive dem Markt signalisiert, dass sie Probleme im Visier hat und Regulatoren Rückendeckung gibt. Allerdings handelt es sich bei den kollabierten Banken nicht um Institute, die in größerem Stil im Privatkundengeschäft aktiv waren. Äußerungen zu Retail-Einlagen dürften die Entscheidungen von institutionellen Investoren daher nur äußerst indirekt beeinflussen.
Inwieweit ist Biden denn überhaupt in der Lage, die angekündigte Verschärfung der Regulierung für kleinere und mittelgroße Banken durch den politisch gespaltenen Kongress zu bekommen?
Die Aussichten dafür stehen besser als vor den jüngsten Zusammenbrüchen. Allerdings befinden wir uns da noch in einem sehr frühen Stadium. Der Markt bewegt sich in Sekundenschnelle, der Kongress braucht für Entscheidungen zu Regulierungsänderungen dagegen Monate. Auch in Bezug auf die bereits verkündeten Maßnahmen der Treasury, Fed und FDIC benötigen die Investoren ja noch Zeit zum Verdauen.
Wie schätzen Sie die Bereitschaft der US-Regierung ein, weitere Banken zu retten?
Ich denke, in dieser Diskussion überspringen wir einige Schritte. In vielen Fällen ist eine Konsolidierung die einfachste Lösung. Wenn eine Bank so wie SVB Financial in die Zwangsverwaltung durch die FDIC gerät, beginnt die Suche nach einem neuen Kreditinstitut, an das der Regulator die Einlagen transferiert. Das System funktioniert und hat auch die Ansteckungsrisiken in Situationen wie der aktuellen deutlich verringert.
Im Fall der SVB Financial ist ein schneller Verkauf allerdings gescheitert.
Dass dies in diesem Fall nicht kurzfristig geklappt hat, ist angesichts der sehr speziellen Charakteristika der SVB-Bilanz mit ihrem hohen Tech-Exposure nachvollziehbar. Schließlich gibt es nur einen begrenzten Kreis an Banken, die sich einen Transfer der Einlagen und Assets von SVB Financial hätten leisten können. Dennoch wird es in den kommenden Monaten und Jahren eine signifikante Konsolidierung im US-Bankensektor geben – Übernahmen von und Zusammenschlüsse mit kriselnden Finanzinstituten dürften wir deutlich häufiger sehen als staatliche Rettungen.
Welche Folgeeffekte der Turbulenzen erwarten Sie für das globale Bankensystem?
Es gibt nicht nur in den USA, sondern in verschiedenen Weltregionen Banken, die einen sehr engen Branchenfokus besitzen. Aus Sicht von Regulatoren ist es durchaus rational, die Risiken dieser Konzentration zu prüfen. Vor allem stellt sich für sie die Frage, ob die Fokussierung der Banken einen negativen Effekt darauf hat, wie schnell Einlagenkunden und Kreditnehmer von einem Finanzinstitut zum nächsten wechseln können.
Das Interview führte