Europa muss seinen Zahlungsverkehr neu aufstellen
Europa muss seinen Zahlungsverkehr neu aufstellen
Vor dem Hintergrund der geopolitischen Entwicklungen gewinnt der Zahlungsverkehr als kritische Infrastruktur weiter an Bedeutung. Der Regierungswechsel in den USA und der andauernde Krieg in der Ukraine veranlasst immer mehr Regionen, ihren Zahlungsverkehr unabhängig zu machen.
BRICS und EU gehen voran
So arbeiten zum Beispiel die BRICS-Staaten bereits am Aufbau eines eigenen Zahlungssystems, das perspektivisch Swift ablösen soll. In der Europäischen Union sind das Inkrafttreten der Dora-Regulierung zur digitalen Resilienz und das Projekt zu Einführung des digitalen Euro die prominentesten Beispiele für diese Entwicklung.
Auswahl der Infrastrukturpartner
Das von der Europäischen Zentralbank (EZB) vorangetriebene Projekt einer digitalen Zentralbankwährung wird in diesem Jahr an Fahrt gewinnen. So steht der Auswahlprozess für die Partner zum Aufbau der entsprechenden Infrastruktur steht vor dem Abschluss. Zumindest die größeren Geldhäuser und Verbünde werden in die entsprechenden Vorstudien einsteigen. Und schließlich wird auch der europäische Gesetzgeber das Projekt vorantreiben und versuchen, das entsprechende Gesetzgebungsverfahren abzuschließen.
Mögliche Anwendbarkeitslücken
Darüber hinaus steht die Entscheidung an, welche Lösung für die Einführung der Wholesale Digital Central Bank Digital Currency (CBDC) in der Eurozone das Rennen macht. Und man wird sich damit auseinandersetzen, ob zwischen dem Digitalen Euro und der CBDC Anwendbarkeitslücke im Bereich des Zahlungsverkehrs für Unternehmen besteht, die geschlossen werden muss.
Wero strebt nach mehr
Neben der hoheitlich getriebenen Initiative für den digitalen Euro will auch die privatwirtschaftliche European Payment Initiative (EPI) mit ihrem Bezahlverfahren Wero weitere Fortschritte machen. Nach dem erfolgreichen Start mit der Echtzeit-Überweisung zwischen Privatpersonen (P2P) sollen 2025 auch Zahlungen im E-Commerce möglich werden.
Instant Payment wird Pflicht
Ein weiterer Bereich, in dem die zunehmenden Autonomiebestrebungen sichtbar werden, ist die Weiterentwicklung des Sepa-Zahlungsverkehrs. Hier geht es für die Branche darum, die Instant-Payments-Regulierung umzusetzen. Seit diesem Januar müssen alle Zahlungskonten für Zahlungen in Echtzeit erreichbar sein. Im April greifen zusätzliche Berichtspflichten für Zahlungsdienstleister. Im Oktober schließlich müssen alle angeschlossenen Dienstleister in der Lage sein, Instant-Payment-Zahlungen zu senden.
Technische Herausforderungen
Dabei stehen die Anbieter im wesentlichen vor drei Herausforderungen. Erstens müssen sie so genannte Verification-of-Payee-Funktionalitäten einführen. Diese müssen sicherstellen, dass die Kunden verifizieren können, ob das Empfängerkonto wirklich dem gewünschten Adressaten gehört. Zweitens müssen sie es ihren Kunden ermöglichen, ihre Verfügungs- und Transaktionslimite in Echtzeit zu ändern. Und drittens müssen sie in der Lage sein, eine große Zahl an Transaktionen in Echtzeit zu verarbeiten.
Kartengeschäft ringt um Wettbewerbsfähigkeit
Anders ist die Situation im kartengestützten Zahlungsverkehr, also am Point of Sale und im E-Commerce. Hier wird der Fokus weniger auf der europäischen Autonomie als vielmehr auf der Wettbewerbsfähigkeit liegen. Die Platzhirsche, mit Namen die Girocard muss ihre Stellung bewahren.
Acquirer bleiben bei Omnikanalstrategie
Hebel dafür sind die Digitalisierung der Karten („War of Wallets“), die Verbindung von Karten mit Loyalty-Lösungen und die Einführung neuer Co-Badges. Im E-Commerce wird man auf Seite der Issuer insbesondere im Bereich Mobile Payments virtuelle Karten und In-App-Payments verstärkt propagieren. Im Acquiring bleibt das Ziel die Fähigkeit, alle Kanäle bedienen zu können.
Interoperabilität bleibt das Ziel
Trotz aller Re-Regionalisierungstendenzen wird es auch um eine Verbesserung der Interoperabilität des internationalen Zahlungsverkehrs gehen. Sie ist für den internationale Waren- und Dienstleistungsverkehr schlicht unabdingbar. Darüber besteht auch Einigkeit zwischen den G20-Staaten.
Adaptionsrate beim ISO-Standard mit Luft nach oben
Vor diesem Hintergrund werden die weltweite Einführung des ISO-20022 Standards in die finale Phase gehen und die Initiativen zur Einführung von Cross-Border-Echtzeitzahlungen weiter voranschreiten. Allerdings zeigen die Adaptionsraten bei der Einführung des ISO-Standards, dass hier noch erhebliche Kraftanstrengungen erforderlich sind.
Request-to-Pay braucht Weiterentwicklung
Es bleibt zu hoffen, dass trotz der Vielzahl der beschriebenen Handlungsfelder die Geldhäuser über die Kraft, die Ressourcen und die Budgets verfügen, um sinnvolle innovative Angebote an den Markt zu bringen. Dies gilt vor allem für das Request-to-Pay-Verfahren, insbesondere in Verbindung mit der Möglichkeit, elektronische Rechnungen zu verarbeiten.
Zeit der Workarounds ist vorbei
Angesichts der anstehenden Umwälzungen werden viele herkömmliche Bewältigungsstrategien nicht mehr funktionieren. Die Zeit der Workarounds, Konvertierungs- und Behelfslösungen geht zu Ende. Europa und seine Zahlungsdienstleister sind gefordert, ihre Zahlungsverkehrsinfrastruktur substanziell neu aufzustellen. Niemand kann mehr alles selbst machen. Kooperationen, Fremdbezüge und Auslagerungen sind das Gebot der Stunde.