Umfrage

Finanz­branche wartet mit Spannung auf den Tag X

Fondsanbieter und Vertriebe haben Monate gebraucht, um die neuen Fragen nach den Nachhaltigkeitsvorlieben in den Beratungsprozess zu integrieren. Viele Details sind jedoch noch unklar.

Finanz­branche wartet mit Spannung auf den Tag X

Von Silke Stoltenberg, Frankfurt

Die EU-Pläne für eine nachhaltigere Finanzwirtschaft gehen am 2. August einen großen Schritt weiter. Dann müssen Anlageberater ihre Kunden erstmals nach den Nachhaltigkeitspräferenzen befragen und Produktanbieter neue Vorgaben hierfür be­achten. Dies sieht die delegierte Verordnung zur Märkterichtlinie Mifid II vor. Die Erwartungen der Finanzbranche sind unterschiedlich, inwieweit dies das ohnehin stark gestiegene Interesse an nachhaltigen Finanzprodukten weiter anfachen kann. Auch wird die Greenwashing-Debatte in den Beratungsgesprächen eine prominente Rolle einnehmen.

Zurückhaltend äußert sich die DekaBank in der Umfrage der Börsen-Zeitung: Die „sehr detaillierte Abfrage“ der eigenen Nachhaltigkeitspräferenzen könne für Kunden „herausfordernd“ sein. „Von daher erwarten wir zunächst keine weiteren Impulse auf den Absatz nachhaltiger Produkte.“ Allerdings hat die Sparkassen-Finanzgruppe schon seit dem vierten Quartal 2020 Fragen zu Nachhaltigkeitspräferenzen in der Beratung „mit großem Erfolg“ eingeführt, so dass die Umsetzung der EU-Vorgaben als eine Weiterung gesehen wird. Angewandt werden die Mifid-Vorgaben in der Gruppe übrigens auch schon seit Ende Juni. Als Vertreterin der Sparkassen teilt die Hamburger Sparkasse (Haspa) die Einschätzung ihres zentralen Wertpapierdienstleisters. Hier ist die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen seit Januar 2021 üblich. Jeder zweite neu angelegte Euro fließe in diese Produkte, heißt es dort.

Optimistischer klingt die andere Finanzgruppe der Genossenschaftsbanken. Nachhaltigkeit sei „schon heute ein sehr wichtiges Thema in der Anlageberatung“, heißt es bei Union Investment. Man erwarte nun, „dass Nachhaltigkeit künftig einen sich weiter entwickelnden Stellenwert beim Anleger haben wird“, und spricht von einem Megatrend. Schon heute gehen bei der genossenschaftlichen Fondsgesellschaft zwei Drittel der privaten Neugelder in nachhaltige Fonds, 2018 war es noch nicht einmal ein Zehntel gewesen.

Auch die DWS, die mit dem Vorwurf zu kämpfen hat, nur eine grüne Fondsfassade ohne echte Inhalte zu haben, und unlängst ungebetenen Besuch der Staatsanwaltschaft be­kommen hatte, gibt sich betont zuversichtlich. Man erwarte, dass die „explizite Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen“ die wachsende Kundennachfrage nach nachhaltigen Anlageprodukten noch einmal verstärken und dazu führen dürfte, „dass Kunden der direkte Bezug zwischen ihrer Anlageentscheidung und Nachhaltigkeitsüberlegungen noch einmal stärker verdeutlicht wird und sie sich somit intensiver mit der nachhaltigen Wirkung ihrer Investments auseinandersetzen als bisher“.

Systematische Befragung

Die Commerzbank betont, dass die Nachhaltigkeit schon lange ein wichtige Rolle in den Beratungsgesprächen spiele und das Interesse der Kunden immer stärker werde. „Wir rechnen mit einem anhaltenden Trend, bestärkt unter anderem durch die Berichterstattung in den Medien und die noch systematischere Befragung ab August“, heißt es.

Die neuen Regeln für die Finanzberatung sind bereits der dritte Vorstoß der EU bei ihrem Vorhaben, die Finanzbranche nachhaltiger zu gestalten. Die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR/Offenlegungsverordnung) sowie die Taxonomie, die Wirtschaftsaktivitäten in nachhaltig und nichtnachhaltig einstuft, sind in Teilen bereits eingeführt. So wie diese beiden Regelwerke ineinandergreifen, so sind diese auch in der künftigen Finanzberatung von Relevanz. Zwei Probleme gibt es dabei: Zum einen sind für die Anlageberatung die durch die SFDR gerade erst eingeführten Kategorien Artikel-8 -Fonds (nachhaltige Aspekte werden be­rück­sichtigt) und Artikel-9-Fonds (dezidierte Nachhaltigkeitsziele) nicht mehr von Relevanz, weil neue Kriterien eingeführt werden. Dies macht die nachhaltigen Finanzprodukte für Anleger nicht gerade greifbarer. Zum anderen heben die neuen Definitionen auf Vorgaben der Taxonomie und SFDR ab, die erst im nächsten Jahr gelten sollen oder noch gar nicht festgelegt sind. Schätzungen der Produktanbieter sollen helfen, bevor die Veröffentlichungspflichten und weitere Definitionen kommen. Auch fehlt es an nachhaltigen Unternehmensdaten.

Drei neue Kategorien

Das ESG-Zielmarktkonzept der deutschen Finanzverbände für die neuen Mifid-Vorgaben sieht drei Kategorien vor (siehe Grafik). Demnach ist ein Fonds nachhaltig, wenn bestimmte, unter Nachhaltigkeitsaspekten negative Auswirkungen (Principal Adverse Impacts/PAI) vermieden werden, etwa die Emission von Treibhausgasen, Menschenrechtsverletzungen oder eine Gefährdung der Biodiversität. Die Fondskategorie 2 à la Mifid schreibt Mindestanteile in beliebiger Höhe nachhaltiger Investments nach SFDR-Lesart vor. Für beide Kategorien müssen die Fondsunterlagen erst im kommenden Jahr Transparenz schaffen. Und bei der dritten Kategorie, den nachhaltigen Investments im Sinne der Taxonomie, steht vieles erst am Anfang. Es gibt gerade mal EU-Vorgaben zu Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, weitere Umweltthemen folgen erst 2023. Definitionen zu sozialen Aspekten und Fragen guter Unternehmensführung wollen erst geboren werden, und darüber hinaus gab es den Zoff um Atom und Gas.

Wie lösen die Fondsanbieter dieses Dilemma, wollte die Börsen-Zeitung wissen. Man zieht sich auf sicheres Terrain zurück. So heißt es unisono, dass sich bei den existierenden Fonds die PAI-Angaben relativ leicht ergänzen ließen. Auch die zweite Kategorie habe sich aus dem bestehenden Sortiment definieren lassen. Der Knackpunkt hierbei:  Private Anleger erwarten intuitiv, dass ein nachhaltiger Fonds in Gänze nachhaltig ist. Die Mifid-Einordnung macht hier jedoch keine qualitativen Vorgaben. Fonds mit hohen Quoten sind rar, gelten doch zum Beispiel nur 40 % der Titel des MSCI All Country World als nachhaltig im Sinne der SFDR. Das stelle Anlageberater vor die Herausforderung, potenziell ambitionierte Wünsche der Kunden zur Nachhaltigkeit ihrer Investitionen mit der Marktrealität zu vereinbaren, sagt Magdalena Kuper, Nachhaltigkeitsexpertin beim BVI.

Taxonomie spaltet

Bei nachhaltigen Investments im Sinne der Taxonomie unterscheiden sich die Vorgehensweisen. Während Union Investment und DWS davon die Finger lassen, bis die Datengrundlage besser ist, gibt die Deka an, auch die Taxonomie-Quoten zu veröffentlichen, wobei diese angesichts fehlender Daten niedrig sei oder niedriger als real. Eigenes Research schließe die Datenlücken, andernfalls gebe es keine Anrechnung.

Die Börsen-Zeitung fragte auch nach dem Umgang mit der Greenwashing-Debatte in den Beratungsgesprächen. Die DWS, die hier besonders interessiert, gibt an, die Berater zu den Produkten über Seminare, Workshops oder Gespräche zu informieren. Es gebe aktuell einen „erhöhten Informationsbedarf“ und eine „lebhafte gesellschaftliche Debatte“ als Folge des Ukraine-Kriegs und des Atom-Gas-Streits. Auch Union In­vestment setzt auf Schulung der Berater sowie auf Transparenz durch „Offenlegung sämtlicher Faktoren, die für die Anlagepolitik relevant sind“. Die Deka spricht von Beraterqualifizierung, Frage-Antwort-Katalogen, Gesprächsleitfäden sowie sachgerechter Produktdarstellungen. Die Haspa verspricht eine intensive Prüfung, laufende Überwachung der empfohlenen Produkte und einen engen Austausch mit den Produktanbietern. Die Commerzbank setzt auf Transparenz zu Prozessen und Vorgehensweisen.

Der Aufwand für die Mifid-Neuerungen war umfangreich. Schulungen der Berater, Anpassungen im Beratungs- und Vermögensverwaltungsprozess und in der Produkt-Governance nennt die Commerzbank. Die Haspa verweist darauf, dass auch die Beratungsprogramme durch den IT-Dienstleister Finanz Informatik angepasst werden mussten. Da sie Schulungen und technischen Support über die Sparkassen-Gruppe bezieht, sei der eigene Aufwand aber sehr gering. Die Fondsanbieter mussten das Anlageuniversum neu kennzeichnen, um neue Angaben ergänzen, hierfür Daten heranschaffen und den Beratern bereitstellen. DWS und Union Investment passten die Prospekte freiwillig vorzeitig an. Die Deka ließ IT-technische Unterstützungs- und Reporting-Leistungen für das Portfoliomanagement und das Berichtswesen entwickeln.

Hoher Aufwand

Union Investment berichtet, dass die Beratungsprozesse im Portal für die Berater vom IT-Dienstleister Atruvia angepasst werden mussten, ebenso im Robo-Advice die Fragestrecke und der Empfehlungsalgorithmus bei der Finanz-Vermögensverwaltung. Allein Union Investment gibt einen Einblick, wie hoch der Aufwand war. Es seien 20 Mitarbeiter cross-funktional eingebunden gewesen, die Vorbereitung habe ein halbes Jahr gedauert. Ohne konkret zu werden, werden mehrere Kostenblöcke genannt: interne Kosten durch die Bindung von Personal, externe Kosten für Programmierer in Systemen (z.B. für ESG-Research und Investmentprozess) sowie Verwaltungskosten bei der BaFin für Prospekt-Änderungen sowie Kosten für den Bezug weiterer Researchdaten.

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