Debatte

Für die Altersvorsorge in Deutschland springt das schwedische Modell zu kurz

Wenn man Finanzbildung und Investitionsförderung in Deutschland angehen will, gäbe es bessere und zielgerichtetere Ansätze als einfach die Investitions- und Aktienkultur zu fördern. Einer davon ist etwa die Förderung der Mitarbeiterbeteiligung in Unternehmen, die langfristig Vermögen aufbaut und die Mitarbeiterbindung stärkt.

Für die Altersvorsorge in Deutschland springt das schwedische Modell zu kurz

Es ist ein guter Startpunkt für die notwendige Debatte zu einem der zentralen Zukunftsthemen: Ausgehend von den im Koalitionsvertrag verankerten Vorschlägen zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Rente und dem Prüfauftrag zur privaten Altersvorsorge (pAV) hat der Wissenschaftliche Beirat des BMF in seinem Gutachten zentrale Elemente einer möglichen Weiterentwicklung der kapitalgedeckten Rente skizziert und dabei unterschiedliche Gestaltungsformen abgewogen.

Bedeutende Aspekte

Das renommierte Gutachter-Gremium greift dabei viele wichtige Aspekte auf:

die Frage der Organisation, d. h. staatliche Angebote versus privatwirtschaftliche Lösungen,

Ausrichtung der Kapitalanlage,

die Bedeutung, aber auch Kosten von Beitragsgarantien in der privaten Altersvorsorge,

die Frage nach Freiwilligkeit versus Verpflichtung zur Teilnahme, gegebenenfalls auch begrenzt auf bestimmte Zielgruppen

sowie die Auszahlung versus Verrentung von Leistungen.

Zudem wird auch behandelt, ob und in welcher Form beim Aufbau kapitalgedeckter Systeme eine öffentliche Schuldenfinanzierung begründbar erscheint.

Führt uns das Gutachten auf einen neuen Weg? In der Essenz scheinen die Autoren ein verpflichtendes Zusatzsystem aus einem staatlichen und privaten „Standardangebot“ zu bevorzugen, ohne sich auf ein konkretes Modell festzulegen. Einige Kommentatoren ziehen den Schluss, das sogenannte schwedische Modell oder die Aktienrente wären die richtige Folgerung.

Doch das könnte zu kurz springen. Warum?

Richten wir das Augenmerk auf Aspekte bei der Weiterentwicklung der Altersvorsorge, die mit dieser Antwort nicht ausreichend reflektiert würden:

Vorsorge sollte eine breitere Anlagebasis haben: So positiv der Fokus auf Aktien ist, bei einem effizienten und zielgerichteten Ver­mögensaufbau sollte es nicht nur um Aktien, sondern generell um breite Vermögensanlage in Realwerte und alternative Anlagen wie Immobilien, Infrastrukturinvestments oder nicht börsengehandelte Beteiligungen oder Finanzierungen gehen. Dies würde auch zu einem echten Diversifikationsgedanken oder den Anlagengrundsätzen erfolgreicher institutioneller Investoren passen. Das zeigt der Blick in andere Länder: Endowment-Fonds der großen amerikanischen Universitäten haben sehr früh einen erheblichen Teil ihres Vermögens in alternative Anlageklassen investiert. Auch bei großen Pensionskassen im angelsächsischen Raum, aber auch in Nordeuropa und der Schweiz ist dies inzwischen Standard. Die Wertentwicklung alternativer Anlageklassen ist weit weniger abhängig von den Bewegungen an Aktien- und Anleihemärkten und damit weniger volatil. Und durch den langfristigen Anlagehorizont im Rahmen der Altersvorsorge können auch stabilisierende Effekte für den Kapitalmarkt bzw. den Wirtschaftskreislauf geschaffen werden.

Nutzung kollektiver Systeme und effizienter Glättungsmechanismen: Gerade bei lebenslangen Rentenleistungen, wie sie vom Wissenschaftlichen Beirat gefordert werden, spielt der Ausgleich im Kollektiv und über die Zeit eine besondere Rolle. Traditionell sind es hier Lebensversicherungen, die einen solchen Ausgleich organisieren, man kann diesen aber grundsätzlich in vielfältiger Form umsetzen. Das im Rahmen des sogenannten Betriebsrentenstärkungsgesetzes neu entwickelte Modell einer reinen Beitragszusage in der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) stellt hier einen interessanten Ansatz dar, bei dem basierend auf einer Steuerung der Tarifparteien kollektive Systeme geschaffen werden, in denen Sicherungspuffer aufgebaut und ein solcher Ausgleich auch für die Rentenphase genutzt werden kann.

Die Einbettung in die drei Säulen der Vorsorge: Die Wechselwirkungen eines neuen, verpflichtenden Elements im Drei-Säulen-System werden im Gutachten kaum analysiert; diese werden aber für den Erfolg oder Misserfolg eine sehr wichtige Rolle spielen. Damit verbunden sind auch Verteilungsfragen, da die eingesetzten Mittel entweder in anderen Säulen fehlen oder zumindest indirekt Verdrängungseffekte entstehen werden. So stellt sich z. B. die Frage, ob Arbeitnehmer nicht besser die Eigenmittel in eine durch den Arbeitgeber geförderte Betriebsrente einbringen sollten.

Vorsorge berührt immer auch die Zukunft unserer Volkswirtschaft: Sollten wir daher nicht intensiver diskutieren, wie die Frage der Altersvorsorge mit anderen drängenden Themenstellungen wie dem Transformationsprozess der Wirtschaft in Deutschland, Europa und weltweit oder der Finanzierung von Unternehmensgründungen verknüpft werden kann? Gerade Investitionen in Infrastruktur könnten ein hervorragendes Bindeglied sein: Denn durch den langfristigen Anlagehorizont in der Altersvorsorge erscheint die Erzielung von höheren Renditen durch das Eingehen langfristiger Kapitalbindung und damit einhergehenden Illiquiditätsprämien besonders vielversprechend. Dies belegen innovative Beispiele an der Schnittstelle von Assetmanagement und Le­bens­versicherung.

Ohne Zwang

Erstaunlicherweise wird zum Teil argumentiert, verpflichtende Standardprodukte würden die Investitions- und Aktienkultur in Deutschland fördern und einen Beitrag zur Finanzbildung und zum Vermögensaufbau der Bevölkerung leisten. Aber: Über ein Zwangssystem Finanzbildung zu stärken, erscheint vorsichtig formuliert nicht besonders zielführend. Wenn man Finanzbildung und Investitionsförderung in Deutschland angehen will, gäbe es bessere und zielgerichtetere Ansätze. Einer davon ist etwa die Förderung der Mitarbeiterbeteiligung in Unternehmen, die langfristig Vermögen aufbaut und die Mitarbeiterbindung stärkt. Auf Basis des Gutachtens und ergänzender Gedanken sollten wir in der Debatte dem schwedischen Modell auch andere Reformaspekte gegenüberstellen und diskutieren:

Stärkung der Kapitaldeckung und Reduzierung von Garantien in beiden Säulen der ergänzenden Vorsorge, also in der bAV und pAV – dies würde mehr Freiheiten und den breiteren Einbezug von alternativen Investments in der Kapitalanlage ermöglichen.

Entschlackung der Riester-Regelungen und Öffnung für neue Anlageformen mit stärkerem Wettbewerb.

Förderung der Finanzbildung und konsequente Digitalisierung von Prozessen und Systemen mit Nutzung einer digitalen Infrastruktur auch für die Verbreitung der Altersvorsorge – das spricht gerade jüngere Menschen an.

Und vor allem die Frage, wie sich die notwendigen Investitionen in dem anstehenden Transformationsprozess mit der Altersvorsorge verknüpfen lassen.

Es geht um ein wichtiges Thema! Es lohnt sich, eine breite Debatte zu führen und weitsichtige Maßnahmen zu beschließen, welche die Altersvorsorge zielgerichtet weiterentwickeln und zugleich die großen Zukunftsthemen unserer Zeit verbinden.