Green Finance

Nachhaltigkeit hält Einzug in der Kredit­vergabe

Die zunehmend dichte Regulierung zur Nachhaltigkeit stellt vor allem kleinere Banken und Sparkassen auf die Probe. Auch in der Kreditvergabe müssen sie wachsenden Informationspflichten genügen.

Nachhaltigkeit hält Einzug in der Kredit­vergabe

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Die zunehmende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der Kreditvergabe stellt Banken und Sparkassen vor erhebliche Herausforderungen und mögliche Belastungen. Seit Juni 2021 müssen sich die direkt von der EZB-Bankenaufsicht kontrollierten europäischen Häuser mit Nachhaltigkeitsrisiken befassen, wenn sie neue Kredite vergeben wollen. So besagen es die Leitlinien für die Kreditvergabe und -überwachung der europäischen Bankenregulierungsbehörde EBA. Bestandskredite fallen ab 30. Juni 2022 unter die Kreditwürdigkeitsprüfung nach Umwelt- und sozialen Kriterien sowie Aspekten verantwortungsvoller Unternehmensführung (Environmental, Social, Governance/ESG), wenn Vertragsanpassungen vorgenommen werden. Ab Juni 2024 sind dann die g­e­samten Kreditbestände betroffen.

Um Nachhaltigkeitsstandards ge­recht zu werden, erleben der Beratungsgesellschaft D-fine in Frankfurt zufolge neben klassischen grünen Krediten sogenannte Sustainability-Linked Loans einen Aufschwung (siehe eingeblockten Artikel). Deren Anteil am globalen Gesamtvolumen von Green-Finance-Produkten über 555 Mrd. Dollar, die von Anleihen dominiert werden, betrug im Jahr 2020 ein Viertel (siehe Grafik).

Nach Ansicht von ZEB-Senior-Manager Ekkehardt Bauer und Heinz-Gerd Stickling, Partner und Leiter des Researchs der Beratungsgesellschaft, wird sich kein Finanzinstitut ESG-Vorgaben von welcher Seite auch immer entziehen können. Früher oder später würden Empfehlungen von Regulierern und Aufsehern wie EBA, EZB und BaFin für alle verbindlich. „Wir hoffen dabei auf Proportionalität“, sagt Stickling. „Die Gefahr ist, dass auch Regionalbanken mit mehr Bürokratie überzogen werden.“

Einheitliche Definition fehlt

Das befürchtet auch Maik Grabau, Direktor strategische Banksteuerung und Rechnungslegung beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Herausfordernd sei bereits die Antwort auf eine scheinbar banale Frage: „Im Kreditgeschäft fehlt eine einheitliche Definition, was nachhaltig ist.“ Als ein Anhaltspunkt gilt die EU-Taxonomie, die zu definieren versucht, welche Wirtschaftsaktivitäten überhaupt nachhaltig sein können und welche Kriterien hierfür zu erfüllen sind. Den Anfang machen Klimaziele.

Der Taxonomie-Verordnung zu­folge ist eine Wirtschaftsaktivität dann als taxonomiekonform anzusehen, wenn sie wesentlich zu wenigstens einem von sechs Umweltzielen beiträgt, ohne den anderen Zielen entgegenzustehen, heißt es vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Dabei müssen Mindestanforderungen erreicht werden.

Die sechs Umweltziele sind demnach Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Verschmutzung, Schutz von Ökosystemen und Biodiversität. Künftig sollen über die beiden Klimaziele hinaus die vier weiteren Um­weltziele einbezogen werden sowie soziale Kriterien und  Aspekte verantwortungsvoller Governance.

Mühe mit der Taxonomie

Um ein hochgradig komplexes und technisches Regelwerk handele es sich dabei, sagt Grabau. „Die Taxonomie ist an vielen Stellen sehr wirtschaftsfern, weshalb sich viele Unternehmen sehr schwer damit tun.“ Keine Bank oder Sparkasse könne in ihrem Kreditgeschäft realistischerweise zu 100% taxonomiekonform sein, gibt Grabau zu bedenken. Schließlich würden manche Wirtschaftsaktivitäten und -branchen von der Taxonomie erst gar nicht erfasst. „Damit handelt es sich um nicht taxonomiekonforme Wirtschaftsaktivitäten. Und zwar nicht deshalb, weil sie etwa schlecht sind, sondern schlichtweg deshalb, weil sie nicht klassifiziert wurden“, erklärt Grabau.

77 Felder für Baufinanzierung

Bis zum Jahresende 2021 mussten Sparkassen  diejenigen Anteile ihrer Kreditportfolien identifizieren, die taxonomiefähig sind. Die Prüfung, ob diese Geschäfte tatsächlich taxonomiekonform sind, ist für den Jahresabschluss 2023 vorgesehen. Grabau und sein Team haben sich z.B. angeschaut, welche Daten erhoben werden müssten, damit eine Immobilienfinanzierung als grün bezeichnet werden kann. „Für eine gewerbliche Neubaufinanzierung sind wir auf 77 Datenpunkte gekommen“, berichtet er. „Von diesen 77 Datenpunkten haben wir aktuell 27, das sind beispielsweise Angaben zum Kreditnehmer oder zum Wert der Immobilie.“

Somit verbleiben 50 offene Datenfelder. Dabei handelt es sich Grabau zufolge in erster Linie um Daten aus dem Energieausweis, die zwar vorlägen, aber noch nicht ausreichend standardisiert sind, um elektronisch ausgewertet werden zu können. An­zu­geben seien auch Informationen wie Wasserverbrauch pro Toilettenspülung, Nitratgehalt des Bodens oder ob die zu errichtende Immobilie auf einstigem Ackerland steht oder für das Bauland Wald gerodet wurde. Für derlei eher finanzierungsferne Taxonomie-Kriterien wie Bodenbeschaffenheit oder Wasserdurchlauf von Wasserhähnen werde es für Neubauten sicherlich rasch einen Standard geben, erwartet der Experte.

Baujahr gibt Rückschlüsse

Bei Bestandsfinanzierungen behilft man sich zunächst damit, nach KfW-Darlehen zu fahnden, denn bei denen sind ja beispielsweise für Niedrigenergiehäuser bereits bestimmte Nachhaltigkeitskriterien und somit Taxonomie-Kennzahlen erfüllt. „Wir können außerdem beispielsweise aus dem Baujahr Rückschlüsse auf bestimmte Taxonomiekriterien ziehen, weil das deutsche Baurecht – je nach Jahr – schon bestimmte Werte erzwungen hat, die gewährleisten, dass ein Taxonomie-Kriterium erfüllt ist“, sagt Grabau.

Möglichkeit des Scheiterns

Und wenn einer der 77 Datenpunkte fehlt? „Rein formal würde es momentan bedeuten, dass die Finanzierung als nicht taxonomiekonform zu klassifizieren ist. Eine Schätzung ist nicht statthaft“, erklärt der DSGV-Direktor. Wegen solch strenger Auslegungen hält er es für nicht ausgeschlossen, dass die EU-Taxonomie auf der Strecke bleibt, wenn sich daran nichts ändert. „Sie wird schlicht an der Realität scheitern. Sie ist viel zu komplex,  einfach zu um­ständlich und nicht praxisnah – weder für den Kreditnehmer noch für den Gläubiger“, kritisiert Grabau. „Hier wurde von den Autoren der Taxonomie leider ,ambitioniert‘ mit ,detailliert‘ verwechselt.“

Ist eine Finanzierung nicht taxonomiekonform, geschehe aber erst mal gar nichts. „Es gibt keine Nachhaltigkeitsregulatorik, die Finanzierungen grundsätzlich untersagt“, so Grabau weiter. „Keine regulatorische Vorgabe bezüglich Nachhaltigkeit zwingt eine Bank, einen Investor, einen Eigenkapitalgeber, eine Finanzierung nicht vorzunehmen.“

Das führe zwar dazu, dass der Anteil taxonomiekonformer Assets (Green Asset Ratio, GAR) sinkt. Sparkassen hätten aber einen öffentlichen Auftrag, sprich die Versorgung des Geschäftsgebiets mit Finanzdienstleistungen. „Wenn ein Unternehmen jetzt nicht grün ist, dann muss es sich auf den Weg machen. Und diese Transformation muss finanziert werden. Dafür stehen die Sparkassen bereit.“

Grabau kann sich allerdings zwei Situationen vorstellen, in denen Finanzierungen aus Nachhaltigkeitsgründen abgelehnt werden. Zum einen, dass die Risiken zu groß sind, etwa, wenn der Kunde die grüne Transformation nicht bewältigt. Als Beispiel nennt er den Autozulieferer, der Vergaser produziert und bei der Sparkasse einen Kredit mit 15-jähriger Laufzeit beantragt. „Den wird er wahrscheinlich eher nicht bekommen“, sagt Grabau, „weil die Autoindustrie 2035, also in weniger als 15 Jahren, keine Verbrennungsmotoren mehr herstellen soll. Das Geschäftsmodell hat keine Zukunft, demnach wird es nicht finanziert.“ Das sei aber nicht der Taxonomie ge­schuldet, sondern dem nicht mehr tragfähigen Geschäftsmodell. Als weiteres Beispiel führt er an, dass ein Institut selbst bestimmte Branchen von der Finanzierung ausschließt, also z.B. Pornografie, Tabak- oder ABC-Waffenproduktion.

Mit ESG-Score Risiken messen

DSGV-Präsident Helmut Schleweis hat in der Vergangenheit immer wieder betont, dass Sparkassen ihre Firmenkunden auf dem Transformationspfad in Richtung Nachhaltigkeit begleiten und dafür erforderliche In­vestitionen finanzieren. „Es kann und darf dabei aber nicht darum gehen, die guten von den anderen Unternehmen zu unterscheiden“, sagte er etwa im September.

Um zu beurteilen, wie nachhaltig Firmenkunden sind, haben DSGV und S-Rating, die Risikomanagementexperten in der Sparkassen-Finanzgruppe, den sogenannten Sparkassen-ESG-Score entwickelt, ein Modell, mit dem sich messen lässt, wie stark Nachhaltigkeitsrisiken die Branchen der deutschen Wirtschaft im Schnitt betreffen. Dabei spielen Umweltaspekte wie beispielsweise Treibhausgasemissionen eine Rolle, aber auch soziale wie angemessene Entlohnung und faire Bedingungen am Arbeitsplatz sowie Kategorien guter Unternehmensführung, also das ganze ESG-Spektrum, macht der DSGV deutlich. Demnach sind rund 20% der Branchen im Durchschnitt erhöhten beziehungsweise hohen Nachhaltigkeitsrisiken ausgesetzt. „Kredite in diese Branchen erfordern in Zukunft eine besondere Begründung“, sagt Schleweis.

Net-Zero-Ambitionen rar

ZEB-Partner Stickling bemerkt, dass Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die ja in den meisten Fällen von der deutschen Aufsicht überwacht werden, Nachhaltigkeit als Erstes über ihren Auftrag und ihr soziales Engagement definieren. Nur wenige Institute haben ihm zufolge bislang Net-Zero-Ambitionen für das Kreditportfolio formuliert, d.h. ihre Kreditportfolios auf netto null Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

BaFin und Bundesbank würden die Klimarisiken der Regionalbanken bald in den Blick nehmen, ist sich Stickling gewiss: Auf sie kämen neben Fragen zur Integration von Klimarisiken in das Risikomanagement in absehbarer Zeit auch solche zum CO2-Ausstoß der Unternehmen in ihren Kreditportfolien zu. „Für Banken ist der CO2-Fußabdruck ihrer Kunden wesentlich. Die großen Häuser haben sich bereits verpflichtet, hier auf Net Zero zu kommen.“ Er erwartet aber, dass es auch für sie bis dahin „noch ein weiter, harter Weg“ sein werde.

Im Gegensatz zur Gewissheit, mit der neue Veröffentlichungspflichten und die Integration weiterer ESG-Kriterien in den Kreditvergabeprozess zu erwarten sind, stehe das Ergebnis von Diskussionen über etwaige Kapitalzuschläge oder -entlastungen noch in den Sternen, sagt Berater Bauer. Banken mit hohem Klimarisiko im Kreditportfolio könnten demnach beispielsweise im Zuge des aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses (Srep) einen Kapitalaufschlag verpasst bekommen, solche mit niedrigem Klimarisiko analog eine Kapitalerleichterung. „Eine andere Möglichkeit könnte sein, die zur Berechnung der Mindestkapitalanforderungen herangezogenen Risikogewichte für Kredite je nach ,braunem‘ oder ,grünem‘ Verwendungszweck zu senken oder zu erhöhen“, erläutert Bauer.

Generell erweist sich ihm zufolge in puncto ESG die Verfügbarkeit und Qualität von Daten als großes Hindernis. Was für große Konzerne kein Thema ist, gestalte sich für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) und Selbständige als Problem. „Fehlende Daten, bei der Bank bzw. bei deren Kunden, sind der Knackpunkt“, sagt Bauer. Je kleiner ein Unternehmen, desto weniger Daten dürften vorliegen. „Deshalb muss versucht werden, sich mit Datenmodellen zunächst für die CO2-intensiven Branchen zu behelfen, um dann darauf aufbauend das gesamte Portfolio zu bewerten.“

Großbanken im Vorteil

Für die 50 größten Banken Europas habe ZEB solche Datenmodelle aufgestellt, mit mindestens 80-prozentiger Genauigkeit, sagt Stickling. Für eine Standortbestimmung würde das genügen. Entscheidend sei, für kleinere Institute einfache Standards aufzustellen. „Nicht jeder Klempner, Tischler, Zweimannbetrieb wird eine CO2-Bilanz aufstellen.“ Großbanken kämen damit besser zurecht, da viele ihrer bedeutenden Kunden ohnehin am Kapitalmarkt sind und eine ­Größenordnung haben, in der entsprechende Offenlegungspflichten greifen. „Bei Regionalbanken ist die Ausgangssituation eine ganz an­dere“, gibt Stickling zu bedenken. „Es ist zu hoffen, dass hier die regula­torischen Anforderungen maßvoll bleiben.“ 

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