Markus Franz und Cristina Mussenbrock

„Personal ist ein neural­gischer Punkt“

Auf Unternehmen kommen wegen Inflation, Energiekrise und drohender Rezession schwierige Zeiten zu, erwartet die Taunus Sparkasse. Sie rechnet mit einem Anstieg der Risikovorsorge 2023. Zu schaffen mache den Firmen aber auch der Arbeitskräftemangel.

„Personal ist ein neural­gischer Punkt“

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Arbeitskräftemangel, Nachwuchsgewinnung und Unternehmensnachfolge spielen in Kreditentscheidungen eine immer bedeutendere Rolle. Für die Firmenkunden der Taunus Sparkasse haben diese Themen höchste Priorität, berichten Vorstandsmitglied Markus Franz und Cristina Mussenbrock, Bereichsleiterin Kreditmanagement und Verhinderungsvertreterin des Vorstandes. „Personal ist ein neuralgischer Punkt, wir schauen da schon sehr genau hin. Das nimmt in unseren Kreditgesprächen immer breiteren Raum ein“, sagt Franz, der unter anderem das Firmenkundengeschäft verantwortet.

Denn Unternehmen, die es nicht schafften, gute Mitarbeiter zu finden und zu halten, und solchen mit überfälliger Nachfolgeregelung drohten wirtschaftliche Turbulenzen und den sie finanzierenden Banken und Sparkassen entsprechende Kreditausfallrisiken. „Früher sah es so aus, als ob nur Spezialisten gesucht würden, ausschließlich hervorragend ausgebildete Fachkräfte“, sagt Mussenbrock. „Nun zeigt sich aber, dass der Arbeitskräftemangel sämtliche Be­reiche betrifft, und zwar auch solche, in der keine höheren Qualifikationen erforderlich sind.“

Millionen Babyboomer gehen

In den nächsten 15 Jahren werden die geburtenstarken Jahrgänge 1957 bis 1969, die Babyboomer, in den Ruhestand gehen. Das sind laut Statistischem Bundesamt bis 2036 insgesamt 12,9 Millionen Erwerbspersonen. Das entspreche fast 30% der arbeitenden Bevölkerung und könne durch die jüngeren Altersgruppen nicht vollständig kompensiert werden, heißt es von der Wiesbadener Statistikbehörde. Das Problem ist lange bekannt, tritt aber mehr und mehr zutage und wurde Franz zufolge durch die Corona-Pandemie verschärft, die für manche Branchen einen regelrechten Aderlass an Personal zur Folge gehabt habe, so etwa in der Gastronomie.

Die Mitarbeiter der Taunus Sparkasse schauten deshalb genau hin, wie es beispielsweise um Fluktuation und Rekrutierungsprozesse bei ihren Firmenkunden bestellt ist, ob es Programme zur Mitarbeiterbindung gibt, welche Qualifikationen Schlüsselfiguren mitbringen, wie Vertretungsregelungen geartet sind und ob Klumpenrisiken oder sogenannte Kopfmonopole existieren, ein Mitarbeiter also als Einziger über wertvolles Know-how verfügt und ein Ausscheiden die Firma in die Bredouille bringen würde. Fragen wie diese spielten seit einiger Zeit in jedem Kreditgespräch eine ganz entscheidende Rolle, sagt Franz.

Das gilt auch im Fall einer sich anbahnenden Unternehmensnachfolge. Rund 190000 Unternehmen in Deutschland brauchen nach Angaben der LBBW bis 2026 altersbedingt eine neue Leitung. „Die Nachfolgeregelung ist ein bedeutendes Thema“, sagt Mussenbrock. „Wie abhängig ist das Unternehmen von seinem ge­schäftsführenden Gesellschafter? Steht jemand mit adäquater Qualifikation schon bereit? Funktioniert im Nachfolgefall noch das Geschäftsmodell? Hier sind wir sehr kritisch.“ Franz zufolge spricht die Sparkasse Firmenchefs fünf oder mehr Jahre vor einem möglichen Eintritt ins Rentenalter an, um etwa auszuloten, wie lange er operativ tätig sein möchte, wie eine geregelte Übergabe aussehen könnte oder ob ein Verkauf angedacht ist. „Man muss sich anschauen, wer in der nächsten Generation der Familie bereitsteht. Funktioniert der Übergang zur Tochter, zum Sohn, zum Mitarbeiter? Wie viel kostet es den Unternehmer? Das sind natürlich keine beliebten Fragen“, weiß Mussenbrock.

Und schließlich hat nicht nur das Finanzinstitut ein Interesse daran zu erfahren, wie es mit einer Firma weitergeht, sondern auch deren Mitarbeiter wollen es wissen. „Wenn sie merken, es wird nicht mehr investiert, dann ist die Gefahr groß, dass sie das Unternehmen verlassen“, gibt Franz zu bedenken. „Eine nicht geregelte Unternehmensnachfolge ist ein K.o.-Kriterium für die Kreditvergabe.“ Um der Relevanz der Thematik gerecht zu werden, hat die Taunus Sparkasse bereits 2018 einen eigenständigen Geschäftsbereich aufgebaut, der sich speziell Firmenübergaben und -nachfolgen widmet.

Der demografische Wandel macht sich aber auch in der Nachwuchsfindung bemerkbar, und zwar auch im eigenen Hause, wie Franz deutlich macht: „Die klassische Berufsausbildung hat an Attraktivität verloren. Das merken wir in der Sparkassenfamilie auch sehr stark, sowohl was die Zahl der Bewerber als auch was die Qualität angeht – beides nimmt ab.“ Der Taunus Sparkasse gelinge es noch recht gut, Ausbildungsstellen zu besetzen, doch Bewerbungen von jungen Menschen seien schon seit Jahren kein Selbstläufer mehr. „Die Rekrutierungsarbeit muss sich neu erfinden, viel aktiver werden und alle Möglichkeiten der Kontaktaufnahme nutzen.“

Unternehmen und Sparkasse müssten sich auf eine neue Generation von Azubis einstellen, die deutliche Ansprüche etwa an Work-Life-Balance und an die Ausgestaltung der Ausbildung stelle, bemerkt Mussenbrock. Mitunter prallten dann Welten aufeinander, wenn z. B. ein altgedienter Kreditfachmann auf eine 16-jährige Auszubildende stoße. „Die Veränderungs- und Wechselbereitschaft ist jetzt viel, viel höher als in der Vergangenheit“, weiß Mussenbrock zu berichten. „Wenn Sie den Auszubildenden nicht das Umfeld und die Themen bieten, die sie sich wünschen, dann sind Sie ganz schnell aus dem Rennen.“

Mehr Risikovorsorge erwartet

Die Vielzahl der aktuellen Herausforderungen wie Inflation, Energiekrise oder Ukraine-Krieg werden nach Einschätzung der beiden Manager voraussichtlich im nächsten Jahr in Form erhöhten Risikobedarfs schlagend. „Im ersten oder Anfang des zweiten Quartals 2023 wird sich zeigen, wo die Unternehmen stehen und wie hoch die Risikovorsorge der Banken ausfällt“, erwartet Mussenbrock. Wie hoch sie ausfallen dürfte, ist von den Managern nicht zu erfahren, aber klar sei, dass der in den vergangenen 10 bis 15 Jahren auf historisch niedrigem Niveau liegende Risikovorsorgebestand, der meist nahe null gelegen habe, anziehen werde. Denn die Einflussfaktoren für die Unternehmen hätten sich „dramatisch verschlechtert“, befindet Franz. Bisher profitierten Unternehmen zwar von den in den vergangenen Jahren aufgebauten Eigenkapitalpuffern und von staatlichen Coronahilfen, sagt er. Wenn sich nun aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechterten und zusätzlich KfW-Soforthilfen aus der Pandemie zurückgezahlt werden müssten, dann werde die Kapitaldienstfähigkeit arg strapaziert.

„Wir sehen mittlerweile schon den einen oder anderen auffälligen Kunden. Hier braut sich aber noch kein Sturm zusammen, sondern es handelt sich um Einzelfälle“, hat Franz beobachtet. Grund zur Beunruhigung bestehe deshalb nicht, aber potenzielle Risiken würden umso schärfer im Blick behalten. „Von unseren 800 Firmenkunden schauen wir uns im Rahmen unserer Frühwarnsysteme derzeit 100 bis 130 genauer an und prüfen, ob der Kapitaldienst nachhaltig sichergestellt ist“, berichtet Mussenbrock. „Auch wenn die meisten regelmäßig ihren Verpflichtungen nachkommen, be­halten wir diese vorsichtshalber im Fokus.“ Das seien mehr als vor Corona, doch hätten auch aufsichtsrechtliche Verschärfungen Anteil daran.

Viele der Kunden, die sich nun unter verschärfter Beobachtung befänden, wären noch vor drei Jahren nicht in den Fokus gerückt. So habe die Sparkasse etwa früher als andere Institute stärker den Cashflow von Unternehmen beachtet. „Wir haben die Kapitaldienstfähigkeit in den Fokus gerückt und nicht nur auf die Sicherheiten geachtet“, erklärt Mussenbrock. „Ein Unternehmen muss sich seinen Kredit aus den laufenden Einnahmen verdienen können. Andernfalls drohen Zombie-Unternehmen, die Kredit nur gegen Sicherheiten erhalten.“

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