Pandemie-Regeln

Wall-Street-Banker auf dem Weg zurück ins Büro

Die Vorstandschefs der großen US-Investmentbanken haben keine Lust mehr auf Homeoffice und Videokonferenzen. „Ich bin kurz davor, alle meine Zoom-Meetings abzusagen“, sagte Jamie Dimon, CEO der größten Bank J.P. Morgan Chase, kürzlich auf einer...

Wall-Street-Banker auf dem Weg zurück ins Büro

nok New York

Die Vorstandschefs der großen US-Investmentbanken haben keine Lust mehr auf Homeoffice und Videokonferenzen. „Ich bin kurz davor, alle meine Zoom-Meetings abzusagen“, sagte Jamie Dimon, CEO der größten Bank J.P. Morgan Chase, kürzlich auf einer Konferenz. Dimon prognostizierte, dass sich das Arbeitsumfeld an der Wall Street nach mehr als einem Jahr pandemiebedingtem Homeoffice ab September nicht mehr sonderlich von der Zeit vor Ausbruch der Corona-Pandemie unterscheiden wird. „Alle werden glücklich darüber sein. Die Leute mögen den täglichen Weg zur Arbeit zwar nicht, aber was soll’s.“ Dimon, Chef einer Bank, die gerade einen neuen Wolkenkratzer im Zentrum von Manhattan baut, trägt seinen Teil dazu bei, dass sich die Bürotürme wieder füllen. Die Angestellten von J.P. Morgan in Amerika sollen Anfang Juli wieder in ihren Büros erscheinen – wegen der auf 50% beschränkten Belegung aber vorerst in einem rotierenden Zeitplan.

Dimon ist nicht der einzige Wall-Street-Boss, der angesichts der steigenden Impfquoten gegen das Coronavirus auf eine Rückkehr an die alten Arbeitsplätze drängt. „Wenn Du in New York in ein Restaurant gehen kannst, kannst Du auch ins Büro kommen“, sagte James Gorman, der Vorstandschef von Morgan Stanley.

Diese Haltung unterscheidet sich deutlich vom Ansatz großer Technologieunternehmen wie Facebook oder Twitter, die Mitarbeitern eine Option auf permanente Heimarbeit offerieren. Investmentbanken konkurrieren mit den Tech-Giganten zwar um Talente, aber die Vorteile einer Präsenz im Büro oder in den Handelssälen scheinen die Überlegungen der Spitzenbanker zu dominieren. Dimon und seine Kollegen sind davon überzeugt, dass die Zusammenarbeit im Büro neue Ideen generiert und Klienten persönliche Treffen bevorzugen. J.P. Morgan habe schon Aufträge verloren, weil Konkurrenten im Gegensatz zu den eigenen Bankern persönlich erschienen waren. „Das war eine Lektion“, sagte Dimon.

Auch Analysten glauben, dass der harte Wettbewerb an der Wall Street die Marschbefehle ins Büro bedingt. „Sie schaffen ungleiche Wettbewerbsbedingungen, wenn Sie von zu Hause arbeiten, während die Konkurrenten persönlich mit den Kunden sprechen“, sagt Mike Mayo, Bankenanalyst bei Wells Fargo. Dazu werden junge Banker, die von der Universität kommen, traditionell von Mentoren angelernt. In einer virtuellen Welt ist das schwieriger.

Gleichwohl sind nicht alle Arbeitnehmer an der Wall Street begeistert, wieder voll ins Büro zurückzukehren – insbesondere Leute in der Mitte ihrer Karriere. Eltern fürchten nicht nur den Verlust der Flexibilität des Homeoffice, sondern auch, dass junge, alleinstehende Kollegen mehr Zeit mit Führungskräften oder Kunden in Anspruch nehmen und damit die eigene Karriere bremsen könnten. „Frauen sind deswegen absolut nervös“, sagte Rob Dicks, Personalfachmann bei der Gesellschaft Accenture, gegenüber Bloomberg.

Angeführt wird die Rückwanderung ins Büro von Goldman Sachs, wo alle Mitarbeiter schon in der vergangenen Woche wieder in die Hauptverwaltung im südlichen Manhattan beordert wurden. „Wir wissen aus Erfahrung, dass unsere Kultur der Zusammenarbeit, Innovation und Ausbildung gedeiht, wenn unsere Leute zusammenkommen“, hieß es in einem internen Memo der Bank.

Andere lassen sich etwas mehr Zeit, betonen aber auch die Bedeutung von Präsenz im Büro. Die Investmentbanker der Deutschen Bank sollen „nicht später“ als Anfang September, nach dem Labor-Day-Feiertag, wieder am Arbeitsplatz erscheinen. Morgan Stanley erlaubt ebenfalls Flexibilität bis zum Labor Day und will Zugeständnisse für Eltern machen, die sich um kleine Kinder kümmern müssen. Die Schulen in New York beginnen im September ebenfalls mit Präsenzunterricht. Bei der Citigroup bietet CEO Jane Fraser, die einzige Frau an der Spitze einer großen Wall-Street-Bank, ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mehr Flexibilität, da jüngere Kinder noch nicht geimpft werden können und Betreuungsmöglichkeiten noch nicht wieder vollständig geöffnet sind. Längerfristig erwägt die Citigroup ein hybrides Modell zwischen der Arbeit von zu Hause und im Büro.