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Wie das Backoffice lernte, die KI zu lieben

In der Finanzbranche ist die Furcht vor dem Jobkiller Digitalisierung verblasst. Ohne die neuen Technologien könnte der Fachkräftemangel kaum bewältigt werden. Strategien und tarifliche Regelungen sind jedoch noch Mangelware.

Wie das Backoffice lernte, die KI zu lieben

Von wegen Jobkiller –
wie das Backoffice lernte,
die KI zu lieben

Die Schreckenszenarien einer weitgehend automatisierten Finanzbranche sind der Hoffnung gewichen, den Fachkräftemangel mithilfe neuer Technologien ­zu überstehen. Arbeitgeber wie Arbeitnehmer ringen noch um Positionen.

Von Anna Sleegers, Frankfurt

Die Digitalisierung gefährdet jede dritte Stelle in der Kreditwirtschaft. Hunderttausend Jobs in der Finanzbranche werden verschwinden. Neue Technologien gefährden nicht bloß Routinetätigkeiten im Bankensektor. So oder so ähnlich lauteten die Thesen, mit denen Berater noch vor wenigen Jahren den Bankbeschäftigten das Gruseln lehrten. Und das schon, bevor ChatGPT den Weg auf Betriebsfeste und private Geburtstagsfeiern fand, wo er rasch den Beweis antrat, dass er in vielen Fällen der originellere Redenschreiber ist.

Fachkräftemangel größtes Problem

Doch spätestens seit dem Ende der Pandemie stellt sich die Wirklichkeit anders dar. Obwohl schon heute fast alle Institute mit Technologien wie maschinellem Lernen oder generativer künstlicher Intelligenz (KI) experimentieren, haben sich die Jobcenter keineswegs mit umschulungswilligen Bankern gefüllt. Im Gegenteil: der Fachkräftemangel gilt Vielen in der Finanzbranche aktuell als größte Herausforderung.

Vernachlässigte Ausbildung

Das hat auch damit zu tun, dass große Teile der Branche das Thema Ausbildung über Jahrzehnte schmählich vernachlässigt hat. Soweit dahinter das Kalkül gesteckt haben sollte, dass die Digitalisierung und neue Technologien einen großen Teil der Bankbelegschaft à la longue überflüssig machen würde, waren die Kreditinstitute möglicherweise zu fortschrittsgläubig. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Personalplanung und -entwicklung mangels kurzfristigen Einflusses auf die Profitabilität schlicht nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, die sie mit Blick auf die demographische Entwicklung verdient hätte.

Chatbots gehören zum Standardrepertoire

So sind Filialen auf dem Lande nicht bloß kostspielig zu unterhalten, sondern es ist auch schwer, ausreichend Personal zu finden. Auch deshalb setzen die Banken verstärkt auf neue Beratungsformen, die mithilfe neuer Technologien zentral organisiert werden können. Der (mehr oder weniger intelligente) digitale Chatbot ist von kaum einer Bankenwebsite wegzudenken. Um den Kahlschlag der Filialen zu kompensieren, wickeln die Großbanken einen signifikanten Anteil des Massengeschäfts in ihren Digitalzentren telefonisch oder online ab. Versicherer und Baufinanzierer der Sparkassen und Genossenschaftsbanken arbeiten mit zum Teil stark eingeschränkten Öffnungszeiten und versuchen, die dadurch entstehenden Lücken durch Videoberatung zu schließen.

Werkzeug für sensible Bereiche

Auch aus vielen Bereichen des Backoffices ist die KI längst nicht mehr wegzudenken. Selbst in kritischen Bereichen wie der Kreditentscheidung und dem Risikomanagement kommen die neuen Technologien bereits sporadisch zum Einsatz, auch wenn Aufsichtsbehörden dies zu Recht besonders kritisch beäugen. Doch anders als in den Science-Fiction-Szenarien der Vergangenheit würde kaum jemand auf die Idee kommen, die „Maschine“ ans Steuer zu lassen. Angesichts der vielen unbesetzten Stellen und wachsender regulatorischen Anforderungen, die einen ständig zunehmenden Datenwust produzieren, sind maschinelles Lernen und generative Technologien mehr und mehr ein essenzielles Werkzeug, um die Informationsflut zu durchforsten. Die unternehmerische Entscheidung, so heißt es bei den Banken unisono, müsse am Ende jedoch immer menschliche Intelligenz fällen.

Sinnvoll ist der KI-Einsatz in der Finanzbranche auch immer dort, wo es um das Wissensmanagement geht. Viel Beifall erhielt etwa die Ratingagentur Moody’s für ihr KI-Tool, mit dem sich Nutzer individuelle Sektorenbetrachtungen zusammenstellen können. Die europäische Herausfordererin Scope denkt derweil über den Einsatz im Qualitätsmanagement im Rahmen der internen Reviews nach.

Gesellschaftlicher Aushandlungsprozess

Angesichts der vielfältigen Chancen verblasst die Angst vor KI als Jobkiller also ein bisschen. Vielleicht wäre die Branche ohne die innovativen Technologien gar nicht in der Lage, die Herausforderungen zu meistern, die der bevorstehende Ruhestand der letzten geburtenstarken Jahrgänge mit sich bringt? So weit will Jan Duscheck, Bundesfachgruppenleiter Bankgewerbe bei Verdi, dann doch nicht gehen: „Die Frage, ob die Ausweitung von KI zu Lasten von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen geht oder es hier sogar positive Entwicklungen gibt, ist für mich noch nicht final beantwortet sondern wird Teil von gesellschaftlichen und damit auch sozialpartnerschaftlichen Aushandlungsprozessen sein.“

Kaum tarifliche Regelungen

Aus Sicht der Arbeitnehmer seien klare Regelungen für den Einsatz von KI und verwandten Technologien erforderlich, findet Duscheck. Tarifliche Vereinbarungen in diesen Gebiet hätten jedoch bislang Seltenheitswert. Auch bei Verdi werde derzeit noch an einer Positionierung zum Thema KI gefeilt, die in künftige Tarifgespräche einfließen soll.

Den meisten fehlt eine KI-Strategie

Auch auf Seiten der Arbeitgeber ringt man noch um eine Haltung. Laut einer Umfrage, die im Auftrag der genossenschaftlichen Banken im vergangenen Sommer bei 238 Banken, Sparkassen und Versicherern durchgeführt wurde, herrscht in der Branche zwar die Meinung vor, dass generative KI in Zukunft einen signifikanten Einfluss auf die Wertschöpfungskette haben wird. Eine umfassende KI-Strategie, die auch generative Technologien umfasst, konnte jedoch nur jeder fünfte Teilnehmer vorweisen. In der Hälfte der befragten Institute wird das Thema derzeit immerhin diskutiert. Von einer gemeinsamen Stoßrichtung der Branchenarbeitgeber kann also noch keine Rede sein. Duscheck erwartet, dass der Einsatz von KI vor allem im Service stark zunehmen wird. Wie in vielen Branchen könnte die menschliche Beratung zum Premiumangebot werden, für dass Kunden extra bezahlen müssen.

Doch auch hier werden die Institute dafür sorgen müssen, dass die KI das leistet, was die Kunden benötigen. Aus Sicht des Gewerkschafters ist die entscheidende Frage daher, ob es den Instituten gelingt, ihre Belegschaften entsprechend fortzubilden. Nur wenige Personalabteilungen hätten sich bereits ernsthaft mit der Frage beschäftigt, welche Qualifikationen es in den kommenden fünf bis zehn Jahren brauche. Hier müsse dringend nachgesteuert werden. Andernfalls könne der Einsatz von KI den Fachkräftemangel sogar noch verstärken, warnt Duscheck.


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