Dirk Degenhardt

„Wünsche mir Differenzierung und Versachlichung“

Der Boom der Fondsbranche hat durch den Ukraine-Krieg ein Ende gefunden. Der neue BVI-Präsident Dirk Degenhardt blickt dennoch mit Zuversicht nach vorn. Angesichts des Streits um die Echtheit nachhaltiger Fonds spricht er sich für eine sachlichere Debatte aus.

„Wünsche mir Differenzierung und Versachlichung“

Jan Schrader
Silke Stoltenberg

Herr Degenhardt, die Fondsbranche befindet sich an einem Wendepunkt. Die laxe Geldpolitik der Notenbanken hat das Geschäft über Jahre beflügelt. Nun sorgen die Zinswende, die durch den Ukraine-Krieg jäher passiert als erwartet, und die düstere Börsenstimmung angesichts von Rezessionsängsten für hohe Mittelabflüsse. Wie beurteilen Sie als neuer Präsident des BVI die Lage?

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine war der Wendepunkt. Das Geschäft ging in den folgenden Monaten immer stärker zurück. Der Ukraine-Krieg, explodierende Energiepreise und steigende Inflationsraten haben Anleger verunsichert. Trotzdem haben sie sehr besonnen reagiert, denn wir reden nicht von hohen Rückflüssen, sondern von einer Kaufzurückhaltung. Ja, wir hatten ein schwaches drittes Quartal. Bei den Publikumsfonds gab es nach der ersten, noch robusten Jahreshälfte zuletzt Abflüsse von 17 Mrd. Euro, was im europäischen Vergleich aber moderat ist. Spezialfonds hatten dagegen im dritten Quartal Zuflüsse von 7 Mrd. Euro. Über alle Assetklassen hinweg legten private und institutionelle Investoren seit Jahresbeginn insgesamt 41 Mrd. Euro an.

Welche Mittel haben die Anbieter, das Geschäft zu stabilisieren?

Wir müssen in Richtung unserer Anleger sehr klar kommunizieren, warum und weshalb sich die Portfolios so und nicht anders entwickeln, und welche Perspektiven sich daraus ergeben. Es ist wichtig, jetzt nah an den Kunden zu sein, sie nicht allein zu lassen. Anleger brauchen jetzt Rat, um sich in diesem herausfordernden Umfeld neu orientieren zu können. Da sind wir ebenso gefragt wie die Berater vor Ort. Das Anlagegeschäft hat sehr viel mit Vertrauen zu tun.

Die abrupten Zinsanhebungen der EZB tragen ihren Teil zum schwächeren Fondsgeschäft bei. Sind Sie dennoch für weitere Zinsanhebungen?

Die EZB hatte zögerlich reagiert. Mit den großen Zinsschritten seit dem Sommer und mit der entsprechenden Kommunikation hat sie jetzt aber ein Stück Vertrauen zurückgewonnen. Es ist wichtig, dass der Markt der EZB vertraut, die Inflation in den Griff zu bekommen. Aktuell ist an den Terminmärkten ein EZB-Zins im nächsten Frühjahr von 2,75 bis 3% eingepreist. Das könnte eine Größe sein, mit der die EZB die Inflation wieder in den Griff bekommt. Der Höhepunkt der Inflation steht meines Erachtens auch in Europa kurz bevor. Allein Basiseffekte wirken ab Februar inflationsdämpfend. Die Inflation dürfte dann 2023 auf 6 bis 7 % zurückgehen – immer noch extrem viel. In den Jahren ab 2024 könnten wir dann wieder in einen Korridor von 2 bis 4 % hineinkommen. Die EZB wird es schwer haben, den Zielkorridor von 2 % wieder zu erreichen. Es gibt zu viele Preistreiber wie zum Beispiel Deglobalisierungstendenzen und Dekarbonisierung.

Wenn die niedrigen EZB-Zinsen als der jahrelange Treiber des Fondsgeschäfts wegfallen, welche Aussichten hat das Fondsgeschäft dann noch mittelfristig?

Gestiegene Zinsen bedeuten auch, dass Anleger und damit auch wir wieder mehr Anlagemöglichkeiten haben. Die Rentenseite wird attraktiver, zum Beispiel europäische Unternehmensanleihen mit Investment Grade, die wieder eine Rendite von circa 4 % bringen. Mit der gestiegenen Attraktivität der Renten werden auch Multi-Asset-Produkte und die Vermögensverwaltung interessanter für Kunden. Es gibt jetzt wieder Alternativen für Aktien, die es lange nicht gab.

Wie beurteilen Sie die Ertragslage der Gesellschaften?

Entscheidend sind für die Gesellschaften die Höhe der Assets under Management und deren Struktur wegen unterschiedlicher Gebührenhöhen. Das verwaltete Vermögen ist marktbedingt in diesem Jahr rückläufig. Die Ertragsbasis ist dadurch im Vergleich zu Ende 2021 gesunken. Mit Blick auf das Neugeschäft gehe ich davon aus, dass wir in den nächsten Jahren von der Geldvermögensbildung profitieren und wieder deutlich positive Zuflüsse generieren. Ich erwarte aber nicht, dass wir in Größenordnungen stoßen, wie wir sie 2021 gesehen haben. Das war ein Jahr ohne Krisen, ohne Alternativen, ohne Zins. Wir werden aber in den nächsten Jahren sicherlich Niveaus erreichen, die sich im Schnitt der letzten fünf bis zehn Jahre bewegen.

Ein Thema, das für starke Zuflüsse wie auch für heftige Debatten gesorgt hat, ist die Nachhaltigkeit. Stand zunächst hierzulande die DWS dabei besonders im Fokus, weitet sich die Kritik mittlerweile auf die gesamte Branche auf. Konkret geht es um die Frage, wie grün ein Fonds wirklich ist, der etwa noch fossile Energieträger im Portfolio hat. Was sagen Sie dazu als BVI-Präsident?

Nachhaltigkeit ist extrem wichtig. Auch unsere Branche muss ihren Beitrag dazu leisten. Es gibt hier inzwischen sehr viele detaillierte Regelungen und Anforderungen. Aber es fehlt ein klares Zusammenspiel und eine Abstimmung der einzelnen Regelwerke wie Taxonomie-Verordnung, Offenlegungsverordnung oder Mifid. Die Vorgaben passen nicht zu 100 % zusammen. Das macht das Thema so schwierig, für die Fondsbranche und für die Anleger. Denn trotz aller Regelwerke ist nirgendwo konkret definiert, was Nachhaltigkeit in der Geldanlage bedeutet. Das birgt das Risiko, dass Assetmanager mit Greenwashing-Vorwürfen konfrontiert werden. Hier spielt Kommunikation eine große Rolle. Jeder Anbieter muss sich am Ende des Tages daran messen lassen, was er kommuniziert.

Geht Ihrer Ansicht nach die Kritik an der Branche zu weit durch die NGOs von Finanzwende über Urgewald bis Greenpeace?

Ich halte es für sinnvoll, perspektivisch zwischen zwei Nachhaltigkeitsprodukten zu unterscheiden. Das eine Produkt, das stärker die Transformation der Wirtschaft begleitet und finanziert, und das andere, das nur in die bereits heute sehr nachhaltigen Unternehmen investiert. Ich persönlich glaube, dass wir durch einen Transformationsprozess sogar eine größere Wirkung auf die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen erzielen können. Daher ist es meines Erachtens nicht richtig, wenn zum Beispiel pauschal Investments in Versorger kritisiert werden. Denn viele haben sich schon auf den Weg der Transformation gemacht und erhebliche Fortschritte erzielt. Oder es werden Investments in Unternehmen aus dem Grundstoff-Bereich kritisiert. Damit wären dann zum Beispiel wesentliche Infrastrukturanbieter im Bereich der alternativen Energien ausgeschlossen. Die Aufgabe von uns Assetmanagern ist es deshalb auch, solche Unternehmen auf ihrem weiteren Weg zu begleiten und den Transformationsprozess zu fördern. Ich wünsche mir in der Debatte mehr Differenzierung und Versachlichung sowie einen konstruktiven und lösungsorientierten Dialog.

Trägt die Fondsbranche nicht aber selbst einen Anteil an der Zuspitzung der Debatte, wenn man sich beispielsweise vor Augen führt, wie die Zahl der Produkte nach Artikel 8 explodierte mit Inkrafttreten der Offenlegungsverordnung und selbst alte Fonds auf einmal in solche umgewandelt wurden? Haben sich die Anbieter da nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt?

Das ist ein verbreitetes Missverständnis: Artikel 8 der Offenlegungsverordnung ist kein Qualitätssiegel für nachhaltige Produkte, sondern eine Transparenzvorschrift. Sie greift immer dann, wenn ein Produkt sich dazu verpflichtet, bestimmte ökologische und/oder soziale Kriterien in der Anlagestrategie zu berücksichtigen. Dies können zum Beispiel Ausschlusskriterien zum Thema Kohle, Öl oder bei schwerwiegenden Verstößen gegen Menschenrechte sein. Produkte, die solche Kriterien vorsehen, unterliegen automatisch Artikel 8 und müssen für die gesetzlich vorgeschriebene Transparenz sorgen. Ein bestimmtes Ambitionsniveau ist hingegen nicht vorgeschrieben. Wir brauchen mehr Klarheit durch die EU-Gesetzgeber, vor allem mit Blick auf Artikel 9 der Offenlegungsverordnung. Seit Einführung der Nachhaltigkeitsabfrage im Rahmen der Anlageberatung durch die Mifid sind nur wenige Fonds mit Wirkungsbezug, also als Artikel-9-Fonds, eingestuft.

Als es im August zur Einführung der Nachhaltigkeitsabfrage für die Anlageberatung durch die Mifid-Verordnung kam, haben ganz viele Anbieter nur die ganz einfachen grünen Fonds angeboten, die sich auf das Vermeiden von negativen Nachhaltigkeitsauswirkungen konzentrieren. Der Produktausweis der Wirkung nach Taxonomie-Verordnung oder nach Offenlegungsverordnung wird kaum erfüllt.

Diesen Wirkungsbezug sollen die Assetmanager ausweisen, uns sagt aber keiner, wie man die Wirkung zu berechnen hat. Viele Fondsgesellschaften ermitteln den Wirkungsbezug, also den Anteil nachhaltiger Investitionen im Portfolio, nach dem Anteil des Umsatzes der entsprechenden Tätigkeit im Unternehmen, der einen positiven Beitrag zu einem Umwelt- oder einem Sozialziel leistet. Es gibt aber auch andere Fondsgesellschaften, die rechnen ein Unternehmen zu 100 % ein, wenn der Umsatzanteil eine bestimmte Schwelle überschreitet. Solch unterschiedliche Methoden zur Berechnung der nachhaltigen Investitionen darf es nicht geben. Es gibt zwar in den diversen Regelwerken Tausende Seiten zum Thema Nachhaltigkeit, aber die wesentlichen Dinge bleiben ungeklärt. Zudem fehlen grundlegende Daten, um die positive Wirkung sinnvoll und einheitlich berechnen zu können. Letztlich tragen die Unklarheiten und Komplexität der neuen Vorgaben auch zur Verunsicherung der Anleger bei.

Inwiefern?

So wie das Ganze derzeit ausgestaltet ist, ist der Kunde überfordert. Das muss einfacher werden. Auswertungen zeigen, dass viele Anleger bei der Präferenzabfrage angeben, Nachhaltigkeit spiele für sie keine Rolle. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass sie vielleicht bei den Fragestellungen überfordert sind. Andererseits müssen wir aber auch den Wunsch vieler Kunden akzeptieren, dass sie ein breit diversifiziertes Portfolio mit einer bestmöglichen Balance aus Rendite, Risiko und Nachhaltigkeitsgesichtspunkten haben wollen. Nicht alle wollen ein dunkelgrünes, extrem konzentriertes Portfolio, das letztlich enorme Klumpenrisiken birgt.

Gerade im Zusammenhang mit diesen Artikel-9-Fonds gab es zuletzt Schlagzeilen, dass Anbieter diese Produkte heruntergestuft haben in die Artikel-8-Kategorie, auch Ihr Haus.

Das hängt im Wesentlichen mit den im April veröffentlichten technischen Regulierungsstandards zur Offenlegungsverordnung zusammen. Dort steht, dass Artikel-9-Fonds ausschließlich nachhaltige Investitionen mit einem Wirkungsbezug anstreben sollen. Da aber noch immer unklar ist, nach welcher Methode der Anteil nachhaltiger Investitionen zu berechnen ist, haben einige Anbieter Umgruppierungen vorgenommen.

Gerade hat die Wertpapieraufsicht ESMA eine Konsultation gestartet, unter welchen Bedingungen ein Fonds den Begriff „nachhaltig“ beziehungsweise „ESG“ im Namen tragen darf. Das hatte die BaFin letztes Jahr auch mal probiert, der Aufschrei der Fondsbranche war groß.

Die Konsultation der ESMA ist der richtige Weg, da die Unsicherheit derzeit hoch ist. Wichtig ist, die Vorgaben EU-weit festzulegen. Es darf keinen deutschen Sonderweg geben. Das wäre nachteilig für den Fondsstandort Deutschland und auch schwierig im internationalen Ge­schäft.

Da es sich um eine europaweite Konsultation handelt und durchaus die Meinungen über Nachhaltigkeit auf politischer und gesellschaftlicher Ebene da sehr auseinanderklaffen – was sind aus BVI-Sicht­ Leitplanken für diese Konsultation?

Ich persönlich finde den Vorschlag gut, dass „ESG“ nur noch im Fondsnamen verwendet werden darf, wenn mindestens 80 % des Portfolios nachhaltig investiert werden. Bei der Verwendung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ finde ich die Anforderung, dass hier ein Wirkungsbezug von 50 % verlangt wird, aber zu extrem. Bleibt das so, werden nicht mehr viele Fonds diesen Begriff im Namen haben.

Das Geschäft mit der Altersvorsorge ist ein wichtiges Standbein für die Fondsbranche. Obwohl die Alterung der Gesellschaft dringend Reformen in allen drei Säulen der Altersvorsorge erfordert, hat die Ampelregierung bislang wenig von ihren Plänen umgesetzt, weil es hier auch je Partei unterschiedliche Ziele gibt. Immerhin soll es jetzt eine Fokusgruppe im Auftrag der Regierung geben, die Reformen für die private Altersvorsorge erarbeiten soll. Der BVI ist dabei und hat bereits einen Vorschlag zu einem Fondsspardepot unterbreitet. Was sind die wichtigsten Grundzüge?

Bei langen Zeiträumen ist die Aktienanlage alternativlos, um die Versorgungslücke im Alter zu schließen. Das Fondsspardepot soll nur Sparpläne mit einer Mindestlaufzeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres umfassen. Durch steuerliche Anreize soll es eine lange und kontinuierliche Sparphase bei den Anlegern fördern. In der Ansparphase findet keine Besteuerung statt. In der Auszahlphase können Fondsanleger über den Sparerpauschbetrag hinaus einen zusätzlichen Freibetrag nutzen, der 2 % pro Sparjahr beträgt. Somit wären zum Beispiel nach 30 Jahren Ansparzeit 60 % der Erträge in der Auszahlphase steuerfrei.

Versicherer werden andere Vorstellungen haben. Wie sehen Sie denn die Chancen, in der Fokusgruppe zu einer Einigung zu kommen?

Natürlich wird es verschiedene Sichtweisen innerhalb der Fokusgruppe geben. Darüber müssen wir diskutieren und werden hoffentlich zu einer guten Lösung kommen. Wir brauchen jedenfalls zwingend die private Altersvorsorge angesichts des demografischen Wandels.

Über einen Punkt stolpert man in dem Konzept, nämlich die Möglichkeit, Riesterverträge zu übertragen. Beerdigt die Fondsbranche nun endgültig die Riesterprodukte, nachdem ohnehin schon viele Anbieter den Vertrieb eingestellt haben?

Nein. Grundsätzlich ist es aber sinnvoll, neue Angebote zu schaffen, die über längere Zeiträume höhere Renditen versprechen, als es heute wegen der seit 20 Jahren unveränderten gesetzlichen Vorgaben mit Riester möglich ist. Insofern wäre es gut, wenn Sparer ihre Riester-Fondsprodukte in ein Fondsspardepot umschichten könnten. Damit will die Fondsbranche keinesfalls das Riester-Aus besiegeln. Im Gegenteil, wir brauchen eine Reform für die mehr als 16 Millionen Riesterverträge. Das Konzept ist attraktiv, auch durch die Förderung. Wenn die Politik endlich die Riester-Garantie flexibilisieren und damit den Anlegern mehr Möglichkeiten geben würde, an der Aktienanlage stärker partizipieren zu können, wäre das sehr hilfreich.

Mit den Themen Nachhaltigkeit und Altersvorsorge haben Sie für Ihre Amtszeit gewichtige Themen vor der Brust. Haben Sie noch andere Ziele?

Der BVI-Präsident hat keine eigene Agenda. Der BVI hat in den vergangenen Jahren hervorragend gearbeitet und viel für die Branche bewegt. Wir sind im Vorstand des BVI sieben Mitglieder und arbeiten sehr partnerschaftlich untereinander und mit der Geschäftsführung zusammen. Selbstverständlich gibt es Themen, die mir persönlich besonders am Herzen liegen. Das ist bei mir neben den bereits intensiv besprochenen Themen Nachhaltigkeit und Altersvorsorge vor allem Finanzbildung. Es ist wichtig, dass das Thema Finanzen in die Lehrpläne aufgenommen wird. Solange es noch kein entsprechendes Schulfach gibt, ist es erforderlich, dass Institutionen wie der BVI einen sachlichen Beitrag zur Finanzbildung junger Menschen leisten. So hat der BVI im Rahmen seiner Bildungsinitiative „Hoch im Kurs“ zum Beispiel in den letzten Jahren 1,4 Millionen Schülerbroschüren an interessierte Lehrer geschickt. Bildung ist der beste Verbraucherschutz. Da müssen wir in Deutschland unbedingt Fortschritte erzielen.

Das Interview führten

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