„Ohne EDIS bleibt die Bankenunion unvollständig"
„Ohne EDIS bleibt die Bankenunion unvollständig“
Der linke finnische Europaabgeordnete Jussi Saramo über Sparerschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Standfestigkeit gegenüber Trump
Herr Saramo, welche finanz- und wirtschaftspolitischen Themen sollten Ihrer Ansicht nach in dieser Legislaturperiode im Zentrum der Arbeit des EU-Parlaments stehen?
Die Europäische Union ist ein tief integrierter Wirtschaftsraum mit beispielsweise einer europäischen Kohäsionspolitik, gemeinsamen fiskalischen Regeln, einem einheitlichen Bankenaufsichtsrahmen und einer gemeinsamen Währung, die in 20 Mitgliedstaaten verwendet wird. Allerdings fehlt der EU eine gemeinsame Steuerpolitik. Während die Besteuerung eine wesentliche nationale Kompetenz bleiben sollte, kann die EU Mindeststandards setzen. Die Europäische Union muss europäische Steueroasen bekämpfen und Mindeststandards, etwa für Reichensteuern, festlegen, um die Finanzierung der Wohlfahrtsstaaten zu sichern.
Wie wichtig ist es, die Kapitalmarktunion voranzubringen, und welche Maßnahmen halten Sie für dringlich?
Es gibt einige positive Aspekte an der Kapitalmarktunion. Eine Harmonisierung der Regulierung kann für Kleinanleger vorteilhaft sein und die Finanzierungsmöglichkeiten von kleinen und mittleren Unternehmen verbessern. Dennoch sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, dass die Kapitalmarktunion die europäische Investitionskrise lösen wird. Zudem ist es wahrscheinlich, dass viele der unterstützenswerten Reformen der CMU, wie der Versuch, den Schutz von Kleinanlegern zu verbessern, durch die mächtigen Lobbyisten des Finanzsektors verwässert werden. Es besteht auch die Gefahr, dass die Kapitalmarktunion zu einem Projekt verantwortungsloser Finanzmarktderegulierung wird, das potenziell den Weg für finanzielle Instabilität ebnet.
Erwarten Sie Fortschritte auf dem Weg zu einer europäischen Einlagensicherung (EDIS) – und wie wichtig wäre es aus Ihrer Sicht, in diesem Dossier voranzukommen?
Die Lehre aus der Finanzkrise von 2008 und der anschließenden Eurokrise war, dass Europa einen gemeinsamen Rahmen für das Management von Bankenkrisen benötigt. Ohne EDIS bleibt die Bankenunion jedoch unvollständig. Die Europäische Einlagensicherung sollte abgeschlossen werden, um europäische Sparer zu schützen und das Vertrauen in das europäische Bankensystem zu stärken. Es ist wichtig, dass das Europäische Parlament in dieser Legislaturperiode Fortschritte bei EDIS erzielt.
Die EU-Kommission stellt das Thema Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum. Was ist aus Ihrer Perspektive wichtig, damit Europas Volkswirtschaften wieder wachstumsstärker werden?
Europa sollte auf seinen Stärken aufbauen: Lebensqualität, Bildung, Klimaschutz und Arbeitnehmerrechte. China und die USA sollten nicht als Vorbilder dienen. In China haben Arbeitnehmer keine Rechte, und in den USA verschlechtert sich die Lebensqualität nach vielen Maßstäben. Die Klimapolitik in beiden Ländern ist völlig unzureichend. Gleichzeitig benötigt Europa Reformen, um seine wirtschaftliche Souveränität zu verbessern. Dies erfordert eine Überarbeitung des europäischen Finanzierungsrahmens, einschließlich eines Umdenkens bei den EU-Fiskalregeln, gemeinsamen Steuern und einem gemeinsamen Mechanismus zur Finanzierung von Investitionen. Allzu oft wird Wettbewerbsfähigkeit als Vorwand genutzt, um Ausgaben zu kürzen und Arbeitnehmerrechte zu schwächen. Der grüne Übergang bietet eine Chance für Investitionen und neue Arbeitsplätze.
Der designierte US-Präsident Trump droht mit Zöllen, auch gegenüber der EU. Wenn er den Worten Taten folgen lässt, wie sollte die EU reagieren?
Europa sollte sich Trumps Einschüchterungsversuchen standhaft entgegenstellen. Europa muss darauf hinarbeiten, sowohl wirtschaftlich als auch sicherheitspolitisch unabhängig zu sein. Da Russland durch seine unrechtmäßigen und inakzeptablen Kriegsaktionen in der Ukraine geschwächt ist, hat Europa nun die Möglichkeit, in seine eigene Verteidigungsindustrie zu investieren. In Bezug auf die Wirtschaftspolitik ist der beste Weg, Abhängigkeiten von unberechenbaren ausländischen Mächten zu verringern, die neoliberale Illusion von der Macht des freien Marktes abzulegen. China, die USA sowie Länder wie Südkorea haben protektionistische Maßnahmen und staatlich gelenkte Industriepolitiken genutzt, um ihre jeweiligen Volkswirtschaften zu schützen und zu entwickeln. Europa muss klug genug sein, dies ebenfalls zu tun.
Die Fragen stellte Detlef Fechtner.