Transatlantische Beziehungen

Mal Partner, mal Rivale

Deutschland und Europa stehen in den USA gerade hoch im Kurs. Doch die transatlantischen Beziehungen schwanken stark – und mancher Konflikt ist seit Jahrzehnten ungelöst.

Mal Partner, mal Rivale

Seit dem Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung werden das Verhältnis der USA zu Europa und speziell die Beziehungen zwischen Washington und Berlin von einem Wechselbad der Gefühle begleitet. Mal wird Deutschland zum Sündenbock und Buhmann gestempelt, dann beschwören US-Politiker die enge Freundschaft und Kooperation. Derzeit steht der Alte Kontinent aus Sicht der USA wieder hoch im Kurs. Angesichts der Volatilität der vergangenen Dekaden ist aber ungewiss, wie lange der Hausfrieden halten wird. Einige Konflikte bleiben nämlich bis heute ungelöst.

Die Höhen und Tiefen waren stets immens. Die Rede des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan vor dem Brandenburger Tor („Mr. Gorbatschow, tear down this wall!“) symbolisierte 1987 das sich abzeichnende Ende des Kalten Kriegs. Reagans Nachfolger George H.W. Bush setzte sich energisch für die Wiedervereinigung ein. Eine Eiszeit brach 2001 nach den Terroranschlägen von 9/11 an. Durch seine unverblümte Kritik an dem US-Einmarsch­ im Irak wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder in Washington zur Persona non grata. Während Schröder im Weißen Haus und Kongress oft vor verschlossenen Türen stand, wurde die damalige Oppositionschefin Angela Merkel von Vertretern der Regierung des 43. Präsidenten George W. Bush mit offenen Armen empfangen.

Kehrtwende unter Trump

Nach acht Jahren der Bush-Administration folgte dann das Tauwetter unter Präsident Barack Obama: Zwischen Obama und Altkanzlerin Angela Merkel entstand eine zunehmend tiefe persönliche Beziehung, die sowohl den Skandal um das Abhören von Merkels Handy durch den Geheimdienst NSA als auch Obamas politische Prioritäten überdauerte. Obamas offenkundiges Ziel war es, den Fokus der US-Sicherheits-, Wirtschafts- und Handelspolitik von traditionellen Bündnispartnern in Europa auf den asiatisch-pazifischen Raum (Apec) zu lenken.

Zu einer dramatischen Kehrtwende kam es 2017 unter Trump, und die transatlantischen Beziehungen traten eine steile Talfahrt an. Dessen „America First“-Ideologie, der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen sowie scharfe Kritik an der EU rissen eine tiefe Kluft. Im Kreuzfeuer der Trumpschen Tiraden stand vor allem Deutschland – wegen der bilateralen Handelsüberschüsse, angeblicher Währungsmanipulation und der mangelnden Bereitschaft zu höheren Rüstungsausgaben. Indem er zudem dauernd mit einem Austritt aus der Nato kokettierte und drohte, auch die Welthandelsorganisation WTO zu verlassen, brüskierte Trump auch gleich alle europäischen Partner.

Seit Anfang 2021 führt der Demokrat Joe Biden in der US-Hauptstadt die Regierungsgeschäfte und hat mit Erfolg viele der Brücken, die Trump abgebrochen hatte, wieder aufbauen können. Er begann mit der Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen. Der symbolisch wichtige erste Schritt signalisierte nicht nur gegenüber Berlin, sondern allen europäischen Partnern die Bereitschaft der USA, wieder Loyalität gegenüber dem transatlantischen Bündnis zu demonstrieren und sich im gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel stärker zu engagieren.

So groß der Respekt für Merkel war, sehen US-Politiker in Bundeskanzler Olaf Scholz einen Garanten für Kontinuität. Ein Verdienst an den Beziehungen zu den USA leistete Scholz, indem er kurz vor dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs in der Ukraine die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die Biden einen „schlechten Deal für Europa“ nannte, auf Eis legte. Immerhin war die scharfe Kritik an deutscher Abhängigkeit von russischem Erdgas einer der wenigen Punkte, in dem sich Biden und sein Vorgänger Trump einig waren. Auch war die Zusage des Kanzlers, den Rüstungsetat um 100 Mrd. Euro aufstocken zu wollen, den Beziehungen durchaus förderlich. Darin sah nämlich das Weiße Haus die Bereitschaft Berlins, auch auf amerikanische Wünsche Rücksicht zu nehmen.

Die Entscheidung zu Nord Stream 2 bereitete zugleich den Weg für neue, kommerzielle Partnerschaften, insbesondere durch den Bau neuer Flüssiggas-Terminals für Gasimporte aus den USA. So hat sich unter anderem der Karlsruher Energieversorger EnBW verpflichtet, ab 2026 jährlich 1,5 Millionen Tonnen Flüssiggas (LNG) von dem US-Konzern Venture Global LNG zu beziehen. Andere Unternehmen haben Vorverträge mit US-Lieferanten geschlossen und leisten damit einen weiteren Beitrag, um die transatlantischen Handelsbeziehungen anzukurbeln.

Dabei liefern die geplanten Gasgeschäfte nur eines von zahlreichen Beispielen für das weiter expandierende Handelsvolumen zwischen den Wirtschaftsblöcken. Das zeigt sich auch an dem Engagement deutscher Unternehmen auf einem der wichtigsten Auslandsmärkte. Christoph Schemionek, der deutsche Handelsbeauftragte in den USA, betont, US-Politiker wüssten zu schätzen, dass „mehr als 5600 deutsche Unternehmen, die in den USA tätig sind, über 885000 Stellen geschaffen haben und somit der drittgrößte ausländische Arbeitgeber sind“.

Gelegentliche Irritationen

Doch so robust die Beziehungen auch sein mögen, kommt es dennoch zu gelegentlichen Irritationen. Nach Trumps Auffassung sind amerikanische Exporteure die Leidtragenden davon, dass sich die deutsche Wirtschaft vorwiegend auf Ausfuhren stützt. Folglich sollten keine Autos aus dem Hause Daimler mehr über Amerikas Straßen rollen dürfen, drohte der Ex-Präsident. Zwischenzeitlich hat die stete Kritik, die unter der Trump-Administration zu hören war, erkennbar nachgelassen. Gleichwohl ist die Schräglage im transatlantischen Handel auch seinem Nachfolger Biden nicht verborgen geblieben.

Bidens Ökonomen stellen fest, dass Deutschland 2021 gegenüber den USA im Handel mit Waren ein Plus von knapp 70 Mrd. Dollar aufwies, und gemessen an den ersten zehn Monaten dürfte der Überschuss 2022 etwa dieselbe Höhe erreichen. Gegenüber allen EU-Ländern verzeichnete die US-Wirtschaft 2021 einen Passivsaldo von fast 219 Mrd. Dollar. Folglich wünschen sich auch Biden und die Demokraten, dass europäische und insbesondere deutsche Politiker mehr unternehmen, um über steuerliche Anreize, Infrastrukturinvestitionen sowie andere Lockmittel die Binnennachfrage anzukurbeln und die hohe Abhängigkeit vom Export zu verringern.

Für Unmut in Europa und vor allem Deutschland sorgt Bidens sogenanntes Inflationsbekämpfungsgesetz. So haben die darin enthaltenen Steuervorteile für Fertigung auf amerikanischem Boden dazu beigetragen, dass der Autobauer Tesla die Produktion von Batteriezellen im brandenburgischen Grünheide auf Eis gelegt hat. Dasselbe gilt für die Herstellung von Batterien durch den schwedischen Konzern Northvolt, der ursprünglich in Schleswig-Holstein produzieren wollte.

Die daraus resultierenden Unstimmigkeiten waren unvermeidlich. Folglich hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vor einem potenziellen Handelskonflikt ge­warnt, der „nur Verlierer haben würde“. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire forderte eine „starke Antwort seitens der EU“. Zwar berät derzeit eine transatlantische Arbeitsgruppe über Wege, den Konflikt zu entschärfen. Doch ein Kern des Konflikts ist kaum aus der Welt zu schaffen: Mit den Steuervorteilen und nationalen Beschaffungsstrategien verfolgt Biden auch wahltaktische Überlegungen. Folglich werden Biden und die Demokraten, vom überraschend guten Ergebnis bei den jüngsten Kongresswahlen beflügelt, mit Blick auf das kritische US-Wahljahr 2024 wohl kaum innenpolitische Prioritäten den Wünschen selbst ihrer wichtigsten Bündnis- und Handelspartner unterordnen.

Die transatlantischen Beziehungen könnten dennoch so stark bleiben, wie sie derzeit sind. Darauf deutet eine kürzlich veröffentlichte Studie des Pew Research Center hin. Demnach beschreiben 81% der befragten Amerikaner das Verhältnis zu Deutschland als „gut“. Insbesondere halten sie die Bundesrepublik dann für einen starken Partner, wenn es um die europäische Sicherheit oder die Bekämpfung des Klimawandels geht. Gleichwohl belegt Deutschland derselben Studie zufolge nur den fünften Platz unter den wichtigsten Partnerländern der USA. Das wiederum illustriert die Schräglage im Machtgefüge. Folglich werden Europa und Deutschland immer das Ansehen der USA genießen, sofern sie eine Kondition erfüllen: die Akzeptanz der amerikanischen Interessen-Hierarchie und der Tatsache, dass Europa aus amerikanischer Perspektive nicht denselben Stellenwert hat wie umgekehrt.

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