Im Blickfeld:Hitze, Dürren, Fluten und Stürme

„Der Klimawandel macht uns alle ärmer“

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels sind exakt schwer zu beziffern. Klar ist jedoch: Sie werden enorm hoch, verschärfen die globale Ungleichheit und erschweren die Geldpolitik.

„Der Klimawandel macht uns alle ärmer“

„Der Klimawandel macht uns alle ärmer“

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels sind schwer exakt zu beziffern. Klar ist jedoch: Sie werden enorm hoch, verschärfen die globale Ungleichheit und erschweren die Geldpolitik.

Von Martin Pirkl, Frankfurt

Großbritannien ist nicht gerade für sein warmes Wetter bekannt. Im Juli 2022 kletterten die Temperaturen jedoch zeitweise in einigen Regionen auf rund 38 Grad. In der französischen Gemeinde Beaulieu-sur-Layon ging es gar rauf auf fast 43 Grad. Die damalige Hitzewelle, die beinahe ganz Europa traf, könnte laut Klimaforschern den heißesten Sommer seit mindestens 500 Jahren verursacht haben. Gesichert ist, dass es seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen im Jahr 1881 nie wärmer war in Europa.

Die Rekordtemperaturen blieben nicht ohne Folgen. Es kam zu Dürren und Waldbränden in großen Teilen Europas. In manchen Regionen ging auch das Trinkwasser aus. Einige Flüsse wie der Rhein wurden wegen ihres niedrigen Pegels für den Schiffsverkehr stellenweise unpassierbar. Zudem sind laut einer Studie zwischen dem 30. Mai und dem 4. September 2022 über 60.000 Menschen in Europa an den Folgen der Hitze verstorben. Wissenschaftler sind sich – bis auf sehr wenige Ausnahmen – einig, dass die Hitzewelle durch den menschengemachten Klimawandel ausgelöst wurde. Genauso herrscht ein wissenschaftlicher Konsens darüber, dass der Klimawandel enorme Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung hat und sich diese in Zukunft noch verstärken werden.

Hohe Verluste der Wirtschaftskraft

In einem Arbeitspapier des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der EZB kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die klimabedingten Ernteausfälle die Lebensmittelinflation im Euroraum im Sommer 2022 um 0,67 Prozentpunkte erhöht haben. Da Ausgaben für Nahrungsmittel rund ein Fünftel des gesamten Warenkorbs zur Berechnung der Euro-Inflation ausmachen, ist dies eigentlich ein sehr relevanter Inflationstreiber gewesen. Allerdings wurde der Effekt durch die beiden noch größeren Auswirkungen auf die Preise überlagert: den Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sowie die Folgen der Corona-Pandemie auf die globalen Lieferketten. Daher fand der klimabedingte Inflationseffekt 2022 kaum Beachtung.

Effekte werden stärker

In der Zukunft dürfte es in Debatten jedoch öfter um die Auswirkungen des Klimawandels gehen. Denn die Effekte werden mit der Zeit immer stärker werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass bei einer Beibehaltung der derzeitigen Klimapolitik die Wirtschaftsleistung in Europa durch den Klimawandel bis Ende dieses Jahrzehnts um fast 5% sinken wird. Bis 2050 wären es dann bereits fast 10%. Sollte es der Menschheit tatsächlich gelingen, bis dahin global unter dem Strich keine Treibhausgase auszustoßen, würde die europäische Wirtschaftsleistung bis 2050 nur um 3,4% niedriger ausfallen als ohne den Klimawandel.

„Es ist unklar, ob die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels im Laufe der Zeit linear oder exponentiell zunehmen werden“, sagt Maximilian Kotz, der am PIK zu den Folgen des Klimawandels für Inflation und Wirtschaftswachstum forscht, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Die meisten aktuellen Arbeiten gehen eher von einem linearen Ansatz aus.“ Sollte es doch exponentiell sein, wären die wirtschaftlichen Schäden noch weit höher als vom IWF in der Modellrechnung prognostiziert. „Der Klimawandel verursacht Kosten und macht uns in jedem Fall alle ärmer“, sagt Almut Balleer, Professorin für empirische Makroökonomie an der Technischen Universität Dortmund, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Klimawandel heizt Inflation an

Der Blick auf die Inflationseffekte zeigt, dass es sich Notenbanken nicht leisten können, den Klimawandel bei ihrer Geldpolitik auszuklammern. In einer Untersuchung des PIK und der EZB kommen die Autoren, zu denen unter anderem Kotz zählt, zu dem Ergebnis, dass höhere Durchschnittstemperaturen die Lebensmittelinflation bis 2035 global um 0,9 bis 3,2% erhöhen könnten. In der Folge wäre die Gesamtinflation 0,3 bis 1,2% höher. „Die preistreibenden Effekte des Klimawandels und die dadurch größeren Schwankungen bei der Inflation dürften es den Notenbanken in Zukunft schwieriger machen, ihr Inflationsziel zu erreichen“, meint Kotz.

Wie beeinflusst der Klimawandel die Geldpolitik?

Für die Notenbanken wird es zentral sein zu verstehen, welche Effekte der Klimawandel auf die Wirtschaft haben wird und wie die Geldpolitik darauf reagieren sollte. „Die EZB muss die Preiseffekte des Klimawandels im Blick haben und analysieren, ob sie nur vorübergehender Natur sind oder nur relative Preise betreffen“, sagt Balleer, die sich am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung unter anderem mit dem Thema Geldpolitik beschäftigt. „Bei flächendeckenden, persistenteren Preisänderungen sollte die Geldpolitik reagieren.“

Wenn Lebensmittelpreise ansteigen, aber erkennbar ist, dass sich die Situation wieder legt, sollten Notenbanken nicht mit einer Zinserhöhung reagieren. Allein schon deshalb nicht, weil die Geldpolitik immer mit großer Verzögerung auf die Realwirtschaft wirkt. Strukturell höhere Lebensmittelpreise, etwa aufgrund von wiederkehrenden Ernteausfällen, sollte eine Notenbank hingegen in ihrer Geldpolitik berücksichtigen. Tut sie es nicht, droht sie ihr Inflationsziel dauerhaft zu verfehlen. Die strukturellen Komponenten von den vorübergehenden zu unterscheiden ist jedoch keine leichte Aufgabe.

„Die EZB macht einen guten Job“

Kotz bescheinigt der Europäischen Zentralbank, sich seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema Klimawandel und dessen Folgen auf die Geldpolitik zu beschäftigen. „Die EZB macht derzeit einen guten Job, diese Lücke zu schließen. Ein Beispiel dafür ist das Network for Greening the Financial System (NGFS).“ Das NGFS ist ein weltweites Netzwerk von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden. Ziel der Organisation ist es, die Folgen des Klimawandels für das Finanzsystem zu analysieren und eine nachhaltige Wirtschaft zu fördern.

Auch auf dem diesjährigen Forum der EZB in Sintra war der Klimawandel ein Thema. Theresa Kuchler, außerordentliche Professorin für Finanzen an der Stern School of Business der New York University, präsentierte eine Studie, die sich mit den ökonomischen Folgen des Verlustes von Biodiversität beschäftigt. Gemeinsam mit den anderen Studienautoren kam sie zu dem Schluss, dass beim Artensterben irgendwann ein Kipppunkt erreicht ist, an dem die wirtschaftlichen Schäden stark zunehmen. Dieser liegt dann vor, wenn die noch bestehenden Arten nicht mehr ausreichen, um die Lücke im Ökosystem zu füllen, die die ausgestorbenen Spezies hinterlassen haben.

Geringere Arbeitsproduktivität

Insgesamt wirkt sich der Klimawandel auf vielfältige Weise auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. „Er zerstört Kapital, senkt Ernteerträge und reduziert ersten Studien zufolge auch die Arbeitsproduktivität“, sagt Balleer. Dies beobachtet auch Kotz. Selbst bei Büroarbeiten sei ihm zufolge bei hohen Temperaturen eine niedrigere Produktivität feststellbar. In noch größerem Umfang gelte dies jedoch für Menschen, die im Freien arbeiten.

Während eine klimabedingte Lebensmittelinflation in den Daten eindeutig feststellbar ist, sei es jedoch bislang so, dass eine höhere Teuerung wegen der niedrigeren Produktivität nicht zweifelsfrei belegt werden kann.

Düsteres Szenario

So herausfordernd der Klimawandel für Europa auch sein wird, andere Regionen in der Welt werden noch stärker darunter leiden. Hier sind sich die Klimaforscher einig. Je heißer eine Region bereits ist, desto schädlicher sei der zusätzliche Temperaturanstieg. Dazu kommt noch, dass reiche Länder besser mit den Folgen des Klimawandels umgehen können. Beispielweise können sie zerstörte Gebiete nach einer Flut schneller wieder aufbauen. „Die globale Ungleichheit nimmt durch den Klimawandel also zu“, resümiert Kotz.

Prognosen von Wissenschaftlern zu den langfristigen globalen ökonomischen Folgen des Klimawandels variieren stark. „Schätzungen zufolge dürfte das weltweite Pro-Kopf-BIP bis zum Ende des Jahrhunderts im schlimmsten Fall um 10 bis 50% niedriger ausfallen als ohne den Klimawandel“, sagt Kotz. Mit dem „schlimmsten Fall“ ist gemeint, dass es den Staaten und Unternehmen nicht gelingt, eine nachhaltige Wirtschaftspolitik umzusetzen.

Grüne Transformation könnte zunächst wachstumshemmend sein

Auch die grüne Transformation könnte zunächst das Wirtschaftswachstum hemmen. Viele nachhaltige Firmen seien noch nicht so produktiv wie „braune“ Unternehmen, meint Balleer. Das dürfte sich mit der Zeit jedoch ändern. Zudem stellt die Ökonomin heraus: „Je schneller die grüne Transformation gelingt, desto geringer sind die Kosten. Die Fiskalpolitik ist daher gefordert, Investitionen in mehr Nachhaltigkeit anzukurbeln.“


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