„ESG geht ohne Regulierung nicht“
Im Gespräch: Rosa Sangiorgio
„ESG geht ohne Regulierung nicht“
ESG-Chefin von Pictet Wealth Management: Nachhaltigkeit rüttelt am Grundverständnis der Banken
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Mit Blick auf die gewaltigen Ausgaben im Bereich Sustainability müssen Banken ihr Selbstverständnis auf den Prüfstand stellen. Das Finanzsystem sei schon immer eine Brücke gewesen zwischen Menschen, die Vermögen besitzen, und Menschen, die Geld investieren. „Das muss wieder zur Priorität werden“, sagt Rosa Sangiorgio, ESG-Chefin bei Pictet im Wealth Management, einer Einheit der Schweizer Privatbank.
Brückenfunktion vernachlässigt
Es sei schon immer die Rolle der Finanzindustrie gewesen, die Realwirtschaft zu finanzieren, sagt Sangiorgio. Das müsse auch für den Bereich der Nachhaltigkeit gelten. „Diese Brückenfunktion ist jedoch etwas in den Hintergrund getreten.“
Rosa Sangiorgio, ESG-Chefin bei Pictet im Wealth ManagementFür die heutige und die nächste Generation geht es bei einem Geldgeschäft nicht nur um eine pure Transaktion.
Neue Generation von Anlegern
Die Herausforderungen für die Banken im Zuge von Nachhaltigkeit, ESG und Sustainability vollziehen sich vor deutlichen Umbrüchen. „Der Charakter von Investieren und Sparen hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Für die heutige und die nächste Generation geht es bei einem Geldgeschäft nicht nur um eine pure Transaktion“, sagt Sangiorgio. Es werde immer wichtiger, welche Wirkung, welchen Impact man mit einer Investition erreiche, so die ESG-Expertin.
Mit einem stärkeren Nachhaltigkeitsfokus könnte die Bankenbranche auch Attraktivität zurückgewinnen. „Früher galt das Arbeiten in Banken als cool. Das hat sich geändert. Heute finden Studenten die Arbeit in einer Bank oft unattraktiv, da sie verstärkt die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit hinterfragen“, sagt Sangiorgio. Indem Banken ihre Finanzierungsaufgabe im Bereich Nachhaltigkeit erfüllen würden, hätten sie vielleicht auch eine Chance, für künftige Generationen wieder cooler zu werden.
Für Sangiorgio müssen sich die Kreditinstitute wieder darauf besinnen, dass sie lediglich Intermediäre seien. Geld sei für die nachhaltige Transformation ein guter Treibstoff. „Die Transformation braucht Investoren, braucht Rückhalt und braucht Start-ups. Und dafür braucht es als Schmiermittel Banken und Finanzinstitute.“ Man dürfe aber nicht verwechseln: Die Banken seien nur der Katalysator, entscheidend komme es auf die Unternehmer an, auf die Realwirtschaft.
Rosa Sangiorgio, ESG-Chefin bei Pictet im Wealth ManagementDie Finanzindustrie ist nur dann nachhaltig, wenn sie profitabel ist.
Ungeachtet der Herausforderungen durch die Transformation müssten Banken weiterhin Geld verdienen. „Die Finanzindustrie ist nur dann nachhaltig, wenn sie profitabel ist. Deshalb muss die Finanzindustrie als Teil des Prozesses auskömmlich verdienen können.“
Ohne Regulierung wird die nachhaltige Transformation aus Sicht von Sangiorgio nicht gelingen. „Das Problem ist aber, dass für diese globalen Themen wie Klimawandel und Gleichheit bislang nie globale Regelungen vereinbart wurden“, sagt Sangiorgio.
Lernfähige Regulatoren
Immerhin sei sie glücklich, dass einige Regulatoren vorangehen und die Behörden sich untereinander beobachten würden. „So hat sich jetzt zum Beispiel ESG-Regulierung in Singapur und Hongkong von entsprechenden Gesetzen in der EU inspirieren lassen.“
Für den Prozess der Transformation sei es zudem wichtig, dass die Finanzindustrie extrem eng mit dem Regulierer zusammenarbeite, weil die Banken natürlich global tätig seien und daher ein enger Austausch wichtig sei.